30. August 2010

Maximilian Steinbeis

Seit wann kann ein Gericht eine Legislaturperiode halbieren?

powered by Fotopedia

Hat es das schon mal irgendwo gegeben? Dass ein Gericht befindet, die Regierungsmehrheit im Parlament sei auf verfassungswidrige Weise zustandegekommen? Und dann freihändig ein Datum für das Ende der Legislaturperiode festlegt, gleichsam aus höheren verfassungspolitischen Erwägungen heraus?

Der Landtag von Schleswig-Holstein ist 2009 gewählt worden, laut Verfassung für fünf Jahre. Die Verfassung sieht ferner vor, dass der Landtag 69 Sitze haben soll und dass eventuelle Überhangmandate ausgeglichen werden sollen. Solche Überhangmandate gab es 2009 in absurd hoher Zahl, weil CDU und SPD beide zwar mies abschnitten, aber die 40 Wahlkreismandate trotzdem unter sich ausmachten.

Die Folge war, dass der im geltenden Wahlrecht unvorhergesehenerweise nicht ausreichte und plötzlich unausgeglichene Überhangmandate stehen blieben – und zwar drei Stück.

Das hat das Landesverfassungsgericht heute für verfassungswidrig erklärt, wogegen ich auch überhaupt nichts habe.

Nichtig, rechtswidrig oder falsch angewandt

Interessant ist aber, was für Schlussfolgerungen die Landesverfassungshüter daraus ziehen. Eigentlich gibt es drei Möglichkeiten:

  1. Das Wahlrecht ist verfassungswidrig und nichtig, die Wahl ungültig, der Landtag wird aufgelöst. Das ist schon deshalb schwierig, weil es dann ja gar kein Wahlgesetz gäbe, nach dem der neue Landtag gewählt werden könnte.
  2. Das Wahlrecht ist verfassungswidrig, aber nicht nichtig. Der Landtag kann fortbestehen, muss aber ein neues Wahlrecht beschließen. Das ist im Prinzip der Weg, den das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf das Bundeswahlrecht (negatives Stimmgewicht) 2008 gewählt hat.
  3. Das Wahlrecht ist in Ordnung, wurde aber in verfassungswidriger Weise ausgelegt und angewandt. Wenn der Fehler – wie hier – nicht in der Wahl selber liegt, sondern in der Zuteilung der Mandate, ist die Lösung eigentlich einfach: Dann werden die Mandate nach korrekter, verfassungskonformer Auslegung des Wahlrechts neu zugeteilt.

Das LVerfG wählt jetzt einen vierten Weg: Das Wahlrecht ist verfassungswidrig, aber nicht nichtig. Der Landtag darf weitermachen, aber nicht bis zu dem in der Verfassung festgelegten Datum. Sondern kürzer.

Das ist echt originell. Wie kommen die denn dazu?

Das „mildere Mittel“

Das sei aus Gründen der „Verhältnismäßigkeit“ nötig, beteuern die Richter. Das Wahlgesetz sei nicht verfassungskonform auslegbar, und sonst bleibe nur die Nichtigkeit, und das gehe ja wohl nicht. Da sei die Verkürzung der Legislaturperiode das „mildere Mittel“.

Gerade ein Verfassungsgericht sollte aber wissen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur die Auswahl unter den Mitteln betrifft, zu denen man befugt und kompetent ist. Wo das Gericht aber die Befugnis hernimmt, die Legislaturperiode anders als in der Verfassung niedergelegt zu bestimmen, dazu hätte es doch zumindest ein paar Worte verlieren können.

Und selbst wenn: Ist die verfassungskonforme Auslegung des Wahlrechts wirklich so ganz und gar ausgeschlossen, wie das Verfassungsgericht suggeriert? Hat da nicht doch vielleicht eine klitzekleine Rolle gespielt, dass nach vollständigem Ausgleich der Überhangmandate die schwarz-gelbe Regierung Carstensen ihre Mehrheit verloren hätte?

Schreibe einen Kommentar