10. September 2010

Maximilian Steinbeis

Von der Freiheit, nicht mit jedem Knallkopf in einem Verein sein zu müssen

(c) Valeria C. Pressler, Flickr Creative Commons

FAZ-Herausgeber Berthold Kohler ängstigt sich um die Meinungsfreiheit in Deutschland: Linke Gesinnungsvögte sieht er durchs Land ziehen und jeden, der nicht genau das sagt, was sie für sagenswert halten, brutal zum Schweigen bringen. Ihre Methode nennt Kohler die „Methode Ausschlussandrohung“: Wer abweichend denke und rede, müsse damit rechnen, hinausgeworfen zu werden. Und so klagt Kohler mit zarter Anspielung auf die linke Ikone Rosa Luxemburg an: „Die Freiheit des Andersdenkenden war einmal“.

Ob Hohmann, Clement, Sarrazin oder Steinbach: In keinem dieser Fälle wurde aufgedeckt, dass gegen ein Strafgesetz verstoßen worden ist,

wettert der Frakturschrift-Leitartikler.

Zur Erinnerung: Hohmann war der CDU-Abgeordnete aus Fulda, der in Zusammenhang mit Juden das hübsche Wort „Tätervolk“ in den Mund nahm und aus der Unionsfraktion rausflog. Clement war der SPD-Ex-Wirtschaftsminister im Sold der Energiewirtschaft, der Atomkraftwerke plötzlich so super fand, dass er öffentlich eine Wahlempfehlung gegen die hessische SPD aussprach, und mit seinem Austritt aus der SPD seinem Parteiausschluss zuvorkam. Steinbach ist die Vertriebenste unter den Vertriebenen, die soeben ihre Parteiämter in der CDU niederlegte, weil sie zuvor keinen Fehler daran erkennen konnte, dass zwei Funktionäre ihres Verbandes finden, die Polen hätten den Zweiten Weltkrieg angefangen.

Die Freiheit des Anders-Andersdenkenden

Aus Sicht des FAZ-Meinungsmachers besteht der Skandal offenbar darin, dass diesen drei Gestalten der Ausschluss aus Partei respektive Fraktion angedroht wurde.

Parteien und Fraktionen sind freiwillige Zusammenschlüsse von Individuen. Was sie zusammenhält, ist nicht, wie Kohler offenbar vermutet, dass sie alle miteinander nichts strafrechtlich Verbotenes tun, sondern dass sie ähnliche Präferenzen, Interessen und Vorstellungen haben und diesen gemeinsam besser Geltung verschaffen können als alleine. Das ist der Zweck der ganzen Sache. Im Detail wird immer wieder mal gestritten, aber im Prinzip will man das gleiche. Sonst könnte man es ja gleich lassen mit dem sich Zusammenschließen.

Wenn ich SPD-Mitglied wäre und mich abrackere und reinhänge für diese Partei, und dann kommt Clement und sagt, alle sollen die CDU wählen – wer will mir übel nehmen, wenn ich mit dem nicht mehr in einem Verein sein will? Mit welchem Recht verlangt Kohler von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion, die sich jeden Tag für die Verfassung und den Frieden in Europa und die Buße für die Verbrechen der NS-Zeit krumm legen, Antisemiten und nationalistische Revanchisten in ihren Reihen zu dulden?

Jeder kann natürlich ganz allein seine eigene Meinung haben. Aber er riskiert dabei, dass er dann halt ganz allein ist.

Meinungs- und Parteienvielfalt

Die Meinungsfreiheit kommt ins Spiel, wenn die Organisation, um deren Mitgliedschaft es geht, übermächtig ist und man womöglich lieber den Mund hält, als sich mit ihr anzulegen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass die Gefahr, Wolfgang Clement und Erika Steinbach könnten verstummen, so furchtbar groß ist. Thilo Sarrazin kommt augenscheinlich auch ganz gut zurecht, was seine Möglichkeiten betrifft, sich Gehör zu verschaffen.

Was die FAZ da predigt, ist – wieder einmal – die alte Bonner Bundesrepublik. Zwei große Volksparteien und die kleine, feine FDP für die besseren Herrschaften in der Mitte. In dieser Konstellation war ein Parteiausschluss ein ganz anderer Vorgang als heute.

Diese Konstellation gibt es aber bekanntlich nicht mehr. Und deshalb ist es auch kein Wunder und schon gar kein besorgniserregendes Zeichen von politischem Kulturverfall, wenn die Zahl der Parteiausschlussverfahren in letzter Zeit zunimmt.

Es hat schon seine Gründe, dass jetzt alle rätseln, ob jetzt mit Sarrazin und Steinbach die sechste Partei kommt, die rechts von der Union für all die vielen Wähler, die den Türken ihre Moscheen und den Schwulen das Eheschließen verbieten und ihrem Unbehagen an dieser ganzen bunten neuen Vielfalt dadurch Erleichterung verschaffen wollen, dass sie einer so richtig antipluralistischen fiesen Scheißpartei ihre Stimme geben.

Das geht nämlich jetzt. Das ist möglich, sogar wahrscheinlich, dass das passiert (allerdings ohne Sarrazin, der ist vermutlich zu arrogant und intelligent für so einen Verein).

Man kann das nicht gut finden.

Aber bedrohlich für die Meinungsfreiheit?

Ist was anderes.

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