21. Dezember 2010

Maximilian Steinbeis

Friede auf Erden, und den Vätern ein Wohlgefallen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat heute mal wieder ein Urteil für die Geschichtsbücher gefällt. Und dabei nebenbei eine BGB-Norm in Stücke gehauen, die nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts modelliert worden war. Das wird bestimmt in Karlsruhe wieder für eine prächtige Vorweihnachtsstimmung sorgen.

In dem entschiedenen Fall geht es um einen nigerianischen Asylbewerber, der mit einer verheirateten Frau aus Deutschland eine Beziehung hatte und dabei Zwillinge zeugte. Vor der Geburt entschloss sich die Frau, in ihre Ehe zurückzukehren.

Der Mann bekam seine Kinder nie zu Gesicht: Nach deutschem Familienrecht ist der Ehemann der Vater, wenn Kinder in einer Ehe geboren werden und niemand die Vaterschaft anficht. Die deutsche Familie verwehrte dem Nigerianer jeden Kontakt zu seinen Kindern und unterstellte ihm, die Kinder nur als Vehikel für eine Aufenthaltsgenehmigung missbrauchen zu wollen.

Was da zwischen Ehefrau und Ehemann für ein Strindberg-Stück aufgeführt wurde, kann man sich nur schaudernd ausmalen.

Das OLG wies den biologischen Vater ab: Nach § 1685 II BGB kann eine „enge Bezugsperson“ ein Recht auf Umgang nur dann haben, wenn sie „tatsächliche Verantwortung“ für das Kind getragen hat. Was hier nicht der Fall war: Ein Umgangsrecht gebe es somit von vornherein gar nicht erst; auf die Frage, was für das Kind gut ist und was nicht, komme es dabei überhaupt nicht an.

Mit anderen Worten: Der rechtliche Vater kann den biologischen Vater nach Belieben draußen halten, wenn er es schafft, von Geburt des Kindes an den Kontakt zum biologischen Vater zu unterbinden. Dann kriegt der biologische Vater nie „tatsächliche Verantwortung“ und kann sich sein Umgangsrecht aus § 1685 II BGB auf den Hut stecken.

Tatsächliche Verantwortung: hätt’ste gerne!

§ 1685 BGB verdankt seine heutige Gestalt einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003 zu damaligen Kindschaftsrechtsreform: Bis zu diesem Zeitpunkt war nämlich der leibliche Vater gegenüber dem rechtlichen total rechtlos. Wenn im vorliegenden Fall die Mutter noch zehn Jahre bei ihrem nigerianischen Freund geblieben wäre und erst dann in die Ehe zurückgekehrt wäre, dann wäre der Vater von diesem Moment an seinen Kindern juristisch ein Fremder, ganz egal wie nah er ihnen vorher stand.

Mit diesem Zustand räumte das BVerfG 2003 auf und verschaffte dem biologischen Vater das Recht, mit seinen Kindern in Kontakt zu bleiben.

Die Familie steht nach Art. 6 I GG unter dem besonderen Schutz des Staates. Und Familie, so das BVerfG damals, sei jede

tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern, die für diese Verantwortung tragen.

Damit sei auch der leibliche Vater in diesen Schutz mit einbezogen – soweit er eben „tatsächliche Verantwortung“ für sein Kind übernommen hat.

Hence § 1685 II BGB n.F.

Ich vermute mal, dass das BVerfG mit dieser Formel nicht intendiert hatte, unserem Nigerianer den Stuhl vor die Tür zu stellen. Tatsächliche Verantwortung ist dazu gedacht, den bigotten Familienbegriff abzuwehren, wonach nur das Sakrament bestimmt, was Familie ist und was schlampige Verhältnisse.

Dass man dadurch genau dem leiblichen Vater, der um eben diese tatsächliche Verantwortung kämpft, die ihm schuldbeladene Mutter und rachsüchtiger gehörnter Ehemann in ihrer heillosen Verstrickung vorenthalten, wieder so rechtlos stellt wie eh und je, das konnte doch keiner vorhersehen.

Das sei jetzt mal mit adventlicher Versöhnungsgeste hier so hingestellt. Es ist doch ein Fest der Liebe (und der Familie).

(Dumm nur, dass das BVerfG durchaus Gelegenheit hatte, das Versäumte nachzuholen. Der Nigerianer war auch nach Karlsruhe gezogen. Und hatte sich eine begründungslose Nichtannahmeentscheidung eingefangen.

Okay. They had it coming.)

Das Wohl des Kindes, nicht der Ehe

Der EGMR löst das Problem so, dass er in Ausnahmefällen den Familienbegriff weiter zieht als bisher: Wenn es sich um den leiblichen Vater handelt, der sich aktiv um Kontakt zu seinem Kind bemüht und zeigt, dass er tatsächliche Verantwortung übernehmen will, dann könne das theorisch auch in den Schutzbereich des Rechts auf Familienleben fallen.

the Court has found that intended family life may, exceptionally, fall within the ambit of Article 8 in cases in which the fact that family life has not been established is not attributable to the applicant (…). This applies, in particular, to the relationship between a child born out of wedlock and the child’s biological father, who are inalterably linked by a natural bond while their actual relationship may be determined, for practical and legal reasons, by the child’s mother and, if married, by her husband.

Das Grundrecht auf Schutz des Familienlebens hilft somit aus EGMR-Sicht auch denjenigen, die gar keine Familie haben noch je eine hatten. Sondern nur gern eine haben würden.

Dogmatisch ist das vielleicht nicht so ziseliert wie das, was man aus Karlsruhe liest. Aber dafür lebenspraktisch.

Was den EGMR besonders verdrießt, ist die Nonchalance, mit der das OLG und das deutsche Familienrecht über das Kindeswohl hinwegbürstet.

The legal parents‘ motives for refusing contact did not necessarily have to be based on considerations relating to the children’s best interest,

erinnert er die deutsche Justiz. Es sei schon gut und richtig, darauf zu achten, dass nicht eine intakte Familie in Brüche geht, nur weil irgendein Samenspender oder One-Night-Stand-Casanova sein Leben unerfüllt findet. Aber das Dilemma lasse sich nicht einseitig auf Kosten des Vaters lösen, und schon gar nicht, ohne das Kindeswohl in Betracht zu ziehen.

Foto: absolut xman / momento mori, Flickr Creative Commons

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