Da lacht die Londoner City: Auch Briten dürfen in Deutschland, Frankreich und überhaupt in der ganzen EU Notardienstleistungen anbieten. Die kontinentale Gepflogenheit, den Zugang zum Notarberuf an die Staatsangehörigkeit zu knüpfen, ist mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar. Das hat nach mehr als zehn Jahren Streit der EuGH heute entschieden.

Das könnte man getrost die Sorge der ansonsten ja ziemlich sorgenfrei lebenden Notare sein lassen, würde der Fall nicht ein paar sehr grundsätzliche Fragen aufwerfen.

In der EU darf sich jeder EU-Bürger beruflich niederlassen, wo er will. Ausgenommen sind Tätigkeiten, die mit der „Ausübung öffentlicher Gewalt“ verbunden sind. Die Frage, die sich stellte, war: Ist Beurkunden „öffentliche Gewalt“?

Bisher hatte der EuGH noch nie irgendeine Tätigkeit als „öffentliche Gewalt“ anerkannt: Lehrer, Anwälte, Gutachter, alle möglichen Berufe, die irgendwie mit der hoheitlichen Sphäre zu tun haben, hatte er samt und sonders der privaten Sphäre zugeschlagen und damit der Niederlassungsfreiheit unterworfen.

Der wilde Generalanwalt

Diesmal sah es so aus, als würde es anders kommen: Generalanwalt Pedro Cruz Villalón hatte in seinen außerordentlich  verbosen und weit ausholenden Schlussanträgen den Versuch unternommen, das Verhältnis von öffentlich und privat ganz grundsätzlich zu klären. Sein Ergebnis: Wenn Notare berurkunden, dann machen sie damit private Erklärungen beweisbar und vollstreckbar und verleihen ihnen damit Sicherheit und Eindeutigkeit zur Befriedung des Rechtsverkehrs. Sie spenden dem Rechtsverkehr etwas, was sonst nur vor Gericht zu haben ist. Also: öffentliche Gewalt.

Allerdings, und das ist noch kühner: Der Generalanwalt nimmt anschließend eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, und zwar mit Hilfe der Unionsbürgerschaft. Etwas verkürzt: Selbst wenn der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit überhaupt nicht eröffnet ist, dürfen die Mitgliedsstaaten nicht nach Staatsangehörigkeit diskriminieren. Und an diesem Maßstab gemessen sei die Zugangsbeschränkung zum Notarberuf unverhältnismäßig: Die besondere Loyalität der „öffentlichen Gewalt“ zum Staat sei ja schön und gut, aber:

Ist in dem europäischen Integrationsprozess ein Moment erreicht, in dem die Unionsbürger dort, wo sie wohnen, zur Teilnahme an den nationalen demokratischen Entscheidungsprozessen berechtigt sind, wie es beim kommunalen Wahlrecht der Fall ist, oder im legislativen Bereich Bürgerinitiativen auf europäischer Ebene einleiten können, kann sich der Begriff der Loyalität nicht mehr allein und zwingend auf die Staatsangehörigen des eigenen Staates beziehen. Versteht man Loyalität als eine Bindung in der Wahrnehmung von Rechten und Pflichten, die den Bürger mit dem Mitgliedtaat und mit der Union eint, halte ich es unter den Umständen des vorliegenden Falles weder für erforderlich noch für gerechtfertigt, ein Staatsangehörigkeitsband zu dem Mitgliedstaat zu verlangen, um dieser Verantwortung Ausdruck zu verleihen.

Wenn das zum Urteil geworden wäre, das wäre ein Riesenhammer gewesen: Der EuGH setzt auf Basis einer wackeligen Verhältnismäßigkeitsprüfung in einem Fall, der anerkanntermaßen zur Sphäre der öffentlichen Gewalt gehört und damit anerkanntermaßen aus dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit herausfällt, ein Diskriminierungsverbot durch? Staatsangehörigkeit als eine Loyalität unter vielen, und zwar von Ausübern öffentlicher Gewalt?

Ich persönlich fände das ja prima. Aber da hätte ich gern mal Roman Herzogs Meinung dazu gehört.

Der zahme EuGH

Doch, hélas, der EuGH ist zu tiefschürfenden Betrachtungen über die Sphären des Handelns und dergleichen im Augenblick offenbar überhaupt nicht aufgelegt und belässt es fürs Erste auch diesmal bei der lapidaren Ansage: Bloß weil die Notare beurkunden, sind sie noch lange keine „öffentliche Gewalt“.

Was im Ergebnis aufs Gleiche herausläuft, aber ohne die hoch explosiven Implikationen, die die Argumentation des Generalanwalts gehabt hätte.

Nach Ansicht des EuGH sind Notare nichts als Dienstleister für private Personen, die Verträge schließen wollen. Dass an ihre Dienstleistungen bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind, ist ja nichts Ungewöhnliches. Ihre Beweiskraft verdankt die notarielle Urkunde nicht dem Wirken des Notars, sondern der ZPO. Und vollstreckbar werden sie auch nur, wenn der Schuldner sich der Vollstreckbarkeit zuvor unterwirft.

Von öffentlicher Gewalt also weit und breit keine Spur.

Foto: Markusram, Flickr Creative Commons

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