In der Eurokrise ist bisweilen, was rechtens ist, nicht ohne politische Folgenabschätzung zu bestimmen. Damit war das BVerfG im Fall ESM/Fiskalpakt konfrontiert, und jetzt ist es das Gericht der Europäischen Union (EuG): Dessen Präsident hat Griechenland einstweiligen Rechtsschutz vor der Forderung der EU-Kommission gewährt, bestimmte Beihilfen an die heimische Landwirtschaft zurückzufordern. Argument: Die griechischen Finanzbehörden haben in der gegenwärtigen Situation wahrhaftig anderes zu tun.
In dem Fall hatte die griechische öffentlich-rechtliche Agrarversicherung griechischen Bauern eine Gesamtsumme von 425 Millionen Euro ausgezahlt, um Schäden durch widrige Wetterbedingungen zu kompensieren. Die EU-Kommission hielt dies für eine unzulässige Beihilfe. Griechenland klagte und bekam jetzt einstweiligen Rechtsschutz: Die griechischen Bauern, die im Schnitt 500 Euro erhielten, können das Geld einstweilen behalten, bis das endgültige Urteil fällt.
Die Art und Weise, wie der EuG-Präsident diese Dringlichkeit begründet, ist dabei bemerkenswert: Die 800.000 Empfänger, so das Argument würden in der gegenwärtigen finanziellen Situation im Land sich mit Händen und Füßen gegen die Rückzahlung der Beihilfen wehren. Damit wären die griechischen Steuerbehörden zu einem erheblichen Teil damit beschäftigt, diesen Beihilfen hinterherzulaufen, und könnten sich nicht mehr mit voller Kraft ihrer Top-Priorität widmen, nämlich das notorisch löcherige Steuereintreibungssystem zu stopfen.
Damit aber nicht genug:
It is common knowledge that a deterioration of confidence in the public authorities, generalised discontent and a feeling of injustice are features of the current social climate in Greece. In particular, violent demonstrations against the draconian austerity measures adopted by the Greek public authorities are constantly increasing. In those circumstances, the risk that the immediate recovery of the contested payments in the entire agricultural sector may trigger demonstrations liable to degenerate into violence appears neither purely hypothetical nor theoretical or uncertain. It is evident that the perturbation of public order that is brought about by such demonstrations and by the excesses to which, as recent dramatic events have shown, they may give rise would cause serious and irreparable harm which Greece may legitimately invoke.
Ich verstehe nicht genug vom Beihilferecht, um das beurteilen zu können. Aber gibt es das sonst auch, dass das EuG im einstweiligen Rechtsschutz solch allgemeinpolitische Betrachtungen anstellt? Und gar so freimütig sagt, dass es Wichtigeres geben kann als der Verfügung der Kommission nachzukommen, Beihilfen zurückzufordern? Wer da was Einordnendes beisteuern kann – bitte kommentieren!
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