23. Januar 2014

Maximilian Steinbeis

Kampf gegen Korruption in Rumänien: Das Verfassungsgericht verhindert eine Katastrophe

Die EU-Kommission hat gestern ihren 13. Fortschrittsbericht unter dem Kooperations- und Kontrollverfahren für Rumänien veröffentlicht. Sowohl Rumänien als auch Bulgarien werden seit 2007 von der EU-Kommission überwacht, die dabei hilft, rechtsstaatliche Reformen umzusetzen. Der Bericht betont die Sorgen der Kommission über die bedrohte Unabhängigkeit der Justiz und lobt den Verfassungsgerichtshof dafür, das Desaster einer „übereilten und intransparenten Änderung des Strafgesetzbuchs im Dezember 2013“ verhindert zu haben.

Die starken Bedenken über politisch motivierte Angriffe auf die Justiz waren nicht zuletzt durch den so genannten „schwarze Dienstag“ ausgelöst worden. Am 10. Dezember 2013 hatte Rumäniens untere Abgeordnetenkammer verschiedene Änderungen am Strafgesetzbuch verabschiedet. Völlig unerwartet beschlossen die Abgeordneten, sich selbst und dem Präsidenten eine Art Superimmunität zu gewähren und es der Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft (DNA) und der Nationale Agentur für Integrität (ANI) unmöglich zu machen, eine Klage wegen Korruption und Interessenkonflikt gegen sie zu erheben, während sie im Amt sind.

Die Änderungen des Strafgesetzbuches wurden in einer geheimen Sitzung des Justizausschusses der Abgeordnetenkammer vorbereitet und im Parlament mit überwältigender Mehrheit von 266 Ja- gegen 32 Nein-Stimmen verabschiedet, bei einer Mehrheit der regierende Mitte-Links- Koalition USL von 70 Prozent. Unerwartet kamen die Änderungen, weil sie nicht auf der Tagesordnung der Abgeordnetenkammer standen und weder der Justizrat noch die Öffentlichkeit  konsultiert worden waren. Es stand viel auf dem Spiel, denn die Abgeordneten wollten sich von dem Risiko entlasten, wegen Korruption und Interessenkonflikten angeklagt zu werden.

Entkriminalisierung von Korruption und Interessenkonflikten

Einer der umstrittensten Änderungen zielte auf die Definition von öffentlichen Amtsträgern, die Gegenstand einer Untersuchung durch die DNA-Staatsanwälte sein können. „Der rumänische Präsident, Abgeordnete und Senatoren und Personen, die freie Berufe betreiben und unter einem besonderen Gesetz und nicht aus dem Staatshaushalt finanziert werden, werden von diesen Bestimmungen befreit“, heißt es jetzt im neuen Art. 147 Abs. 3. Diese Ausnahme zielt auf die Entkriminalisierung von Korruption durch gewählte Beamte und schließt auch Rechtsanwälte und Notare als Teil der freien Berufe ein.

Durch ein anderes Gesetz änderte das Abgeordnetenhaus Artikel 253/1, der den Interessenkonflikt als kriminelle Handlung definiert und die öffentlichen Bediensteten einschließlich gewählten und ernannten Beamten ein. Die Änderungen an diesem Artikel schließen die letztere Kategorie von der Definition des öffentlichen Bediensteten aus, sodass Senatoren und Abgeordnete, der Präsident und auch Bürgermeister, Berater und Präsidenten der örtlichen Kreisräte nicht strafrechtlich wegen Interessenkonflikt verfolgt werden können. All diese Personen wurden auch von Interessenkonflikten bei der Annahme, Genehmigung und Unterzeichnung von Verwaltungsakten ausgenommen, was bedeutet, dass sie nicht verantwortlich gemacht werden können, wenn sie mit Verwandten Geschäfte machen, etwa bei öffentlichen Übernahmen. Die Abgeordneten haben überdies die maximale Gefängnisstrafe für Interessenkonflikt von fünf auf drei Jahre herabgesetzt.

Mehr als 100 Bürgermeister, Vize- Bürgermeister und Präsidenten der Gemeinderäte  stehen für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Verwandte vor Gericht. All diese und weitere 19 Fälle, in denen Abgeordnete Verwandte in ihren Büros eingestellt haben, könnten insoweit jetzt nicht mehr aufgeklärt werden.

Im Ergebnis brauchen die Parlamentarier keine Ermittlungen durch die DNA-Staatsanwälte wegen Korruption, Amtsmissbrauch, Bestechlichkeit, Bestechung, Fälschung oder Interessenkonflikte zu befürchten.

Nicht nur das hohe Maß an Geheimhaltung im Gesetzgebungsverfahren wirkte dabei verdächtig, sondern auch die Tatsache, dass das Parlament ein  Amnestiegesetz auf die Tagesordnung setzte, das Straftäter mit bis sechs Jahren Haft in vollem Umfang begnadigen würde, einschließlich durch das Gericht verhängter zusätzlicher Sanktionen und Geldbußen. Das stieß allerdings auf so harsche Kritik, dass das  Amnestiegesetz von der Tagesordnung entfernt wurde. Es kann aber jederzeit wieder aus der Schublade geholt werden.

Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit

Der Oberste Gerichtshof und die liberal- Demokrat Partei PDL brachten diese Änderungen vor den Verfassungsgerichtshof. Am 15. Januar 2014 verkündete dieser sein Urteil – und das Ergebnis war eine krachende Niederlage für den Gesetzgeber.

Der Verfassungsgerichtshof erklärte dabei die Änderungen an der Definition von Beamten und die Entfernung des Interessenkonflikts für verfassungswidrig: Die Bestimmungen verletzten das in der Verfassung verankerte Rechtsstaatsprinzip (Artikel 1 (1) und (5)) und das Gleichheitsprinzip (Artikel 16 (1) und (2)) verletzen, sowie Artikel 11 (1), der Rumänien verpflichtet, internationale Verträge einzuhalten.

Das Urteil des Verfassungsgerichts vom 15. Januar 2014 stieß international auf großen Applaus. Es war eine schnelle und einstimmige Entscheidung mit 9 Ja-Stimmen. Jetzt muss das Parlament die verfassungswidrigen Änderungen binnen 35 bis 60 Tagen anpassen.

Um die Bedeutung und die Ernsthaftigkeit dieser Veränderungen zu verstehen, ist es wichtig auf die Korruptionsbekämpfung zurückzublicken, die Rumänien seit 2005 mit aller Kraft  gestartet hat. Experten weisen darauf hin, dass die von der EU gelobten Antikorruptions-Institutionen wie DNA bei der Untersuchung von hochrangigen Beamten zunehmend als effizient wahrgenommen werden. Die Politik hat Angst vor der Justiz, die sie nicht mehr kontrollierenkann.

Die Angst erhöhte sich vor allem, nachdem der ehemalige rumänische Ministerpräsident Adrian Nastase wegen Bestechung und Erpressung zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde, kurz nachdem er eine frühere Gefängnisstrafe wegen Korruption verbüßt hatte. So wurde eine starke Botschaft  vermittelt: falls korrupt, kann jeder hochrangige Politiker  als nächstes ins Gefängnis landen. Die Angriffe auf die Justiz, die von hochrangigen Politikern gestartet wurden, zielten darauf ab, die Justiz und die Anti-Korruptions-Institutionen zu schwächen und Korruption und Betrug zu entkriminalisieren.

Die Ereignisse des „schwarzen Dienstags“ zeigen, dass die Reform der Rechtsstaatlichkeit bei weitem nicht vollständig ist und dass, um die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren, politischer Wille notwendig ist.

Full Disclosure: Anitta Hipper arbeitet im Stab von MEP Monica Macovei, von 2004 bis 2007 Justizministerin Rumäniens und Initiatorin von Justizreformen und einer strikten Antikorruptionspolitik. Alle hier geäußerten Positionen sind ausschließlich ihre eigenen.The EU Commission published yesterday its 13th progress report under the Cooperation and Verification Mechanism (CVM) for Romania. Both Romania and Bulgaria have been subjected to monitoring by the EU Commission since 2007, which assisted the countries in their rule of law reforms. The report stressed the EU Commission’s concerns about threats to the independence of justice and praised the Constitutional Court for preventing the disaster of the “rushed and untransparent amendment of the Criminal Code in December 2013.”

The strong concerns regarding the politically motivated attacks on the judiciary have been mostly triggered by the ‘Black Tuesday’ events. On 10 December 2013, Romania’s lower-house Chamber of Deputies enacted several changes to the Penal Code. The MPs unexpectedly decided to grant themselves and the president super-immunity by making it impossible for the National Anti-Corruption Directorate (DNA) and the National Agency for Integrity (ANI) to bring corruption and conflict of interest charges while they are in office. The changes were prepared in a secret session within the Justice Committee of the Chamber of Deputies and passed in the Parliament with a crushing majority of 266 votes in favour and only 32 against, with the governing center-left coalition USL holding 70% of the seats.

The adoption of the amendments came unexpectedly as they were neither on the Chamber of Deputies’ nor the Judicial Council’s agenda, and the public had been consulted. The stakes were high as the MPs wanted to exonerate themselves from corruption and conflict of interest charges.

Decriminalizing Corruption and Conflicts of Interest

One of the most controversial amendments targeted the definition of public officials who are subject to investigation by the DNA prosecutors.  According to a new amendment, paragraph (3) to article 147: “the Romanian President, deputies and senators and people who work in liberal professions, under a special law and which are not financed under the state budget are exempted from the provisions of art. 147.” The exemption from the category of public officials meant decriminalising acts of corruption committed by the country’s elected officials. It also includes lawyers and notaries as part of the liberal profession in this category.

Using a separate law, the Chamber of Deputies amended art. 253/1 which defines conflicts of interest as criminal acts and applies to public servants, including elected and appointed officials. The amendments to this article removed the latter category from the definition of public servants so that senators and deputies, the president and also mayors, councilors and presidents of the local county councils cannot be held criminally liable for being in a conflict of interest. All those persons have also been exempted of conflicts of interests with respect to the adoption, approval and signing of administrative acts which means that they cannot be held accountable for offering a contract, for instance in public acquisitions to their relatives. The MPs also decreased the maximum penalty for conflicts of interest from 5 years to 3 years of prison.

Over 100 mayors, vice-mayors and presidents of local councils are on trial for awarding public contracts to relatives. These and some 19 cases involving MPs who hired their relatives in their offices would not be investigated anymore for conflicts of interest.

In conclusion, the lawmakers can no longer be investigated by DNA’s prosecutors on corruption charges related to public servants such as abuses in office, bribery, influence peddling, forgery or conflict of interest.

Not only the high secrecy level of the legislative process arose suspicion but also the fact that the Parliament put an amnesty law on the agenda which aimed at fully pardoning crimes up of to six years, including additional penalties and punishment fines imposed by the court. This was met with harsh criticism, though, so the amnesty law was removed from the order of the day. However, it can be put back at any time.

Restoring the Rule of Law

The High Court of Justice and the liberal-democrat opposition party PDL brought these changes before the Constitutional Court. On 15 January 2014 the Constitutional Court handed down its judgment – and the result was a crushing defeat for the lawmakers.

The Constitutional Court declared unconstitutional the changes to the definition of public officials and the removal of the conflict of interest. The Constitutional Court stated that the provisions violate the rule of law enshrined in the article 1 (1) and (5) of the Constitution and the principle of equality of rights laid down in article 16 (1) and (2), as well article 11 (1) which obliges Romania to comply with international treaties.

The Court’s ruling on 15 January 2014 has been applauded by the international community. It was a rapid decision taken unanimously with 9 votes in favour. The Parliament is obliged to modify the unconstitutional amendments within 45 to 60 days.

In order to understand the importance and seriousness of these changes it is imperative to look back to anti-corruption efforts Romania has mastered since 2005. Experts noted that the institutions praised by the EU such as DNA and ANI have increasingly proven efficient in investigating high-level officials and there is a real fear that the judiciary cannot be politically controlled anymore. The fear increased particularly after the former Romanian Prime-Minister, Adrian Nastase was sentenced to 4 years in prison for bribery and blackmail, soon after he finished serving a previous term, also on corruption charges. A powerful message was sent: anyone could be next. The attacks on the judiciary coming from high-level politicians aimed to weaken the justice and anti-corruption institutions, as well as authorising corruption and theft.

The ‘Black Tuesday’ events reveal that Romania’s rule of law reform is far from being complete and preserving the independence of the judiciary is not possible without political will.

Full Disclosure: Anitta Hipper is a staff member of MEP Monica Macovei, Minister of Justice of Romania from 2004 to 2007 and initiator of strict anti-corruption policies and judicial reforms. All views expressed here are entirely her own.

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