2. Dezember 2014

Sophia Henrich

Im Dutzend mehr Freiheit – mit Finnland gibt es bald in 12 europäischen Staaten die Ehe auch für Homosexuelle

Letzten Freitag beschloss das finnische Parlament die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Eine Nachricht, die kaum mehr überrascht. Fast jede Woche findet sich eine neue Meldung zur weltweiten Rechtsstellung von Homosexuellen – ihr Inhalt variiert, fast immer geschmückt mit Fotos von Demonstranten mit und ohne Regenbogenflaggen. Am Freitag hatten wieder einmal die RegenbogenflaggenträgerInnen den Erfolg auf ihrer Seite – oder in diesem Fall das finnische Parlament, das mit seinem Beschluss vom 28.11.2014 den Weg für die „geschlechtsneutrale“ Ehe öffnet. Vorangegangen war im letzten Jahr die Bürgerinitiative „Thadon 2013“, die zur Unterstützung der Umwandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften (diese sind in Finnland seit 2002 zulässig) in Ehen nach eigenen Angaben 166 851 Unterschriften sammeln konnte. Zentrale Folgen der Umwandlung und der mit ihr verbundenen Öffnung der Ehe wären das Recht auf einen gemeinsamen Nachnamen, sowie das auch in Deutschland stark umstrittene Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Nachdem der Rechtsausschuss des Parlaments den Gesetzentwurf im Frühsommer ablehnte, mussten die Parlamentarier entscheiden. Diese entschieden sich – losgelöst vom Fraktionszwang – mit knapper Mehrheit (105-92) für eine Öffnung der Ehe.

Damit gesellt sich Finnland spätestens ab 2016, wenn das neue Gesetz voraussichtlich in Kraft tritt, zum Kreis der Staaten, die Ehe nicht länger ausschließlich als Verbindung von Mann und Frau verstehen. 12 europäische Staaten gehören zu diesem Kreis, 18 Staaten sind es weltweit (in den USA ist die gleichgeschlechtliche Ehe in 33 Bundesstaaten zulässig). Im weltweiten Vergleich scheint diese Zahl noch sehr gering: Gerade einmal ungefähr 9,8 % aller Staaten kommt es bei der Ehe nicht auf das Geschlecht der (hoffentlich) Liebenden an. Konzentriert man den Blick auf Europa, sind es schon 42,8 %. An diesen Zahlen erfreut sich sicher nicht nur jeder Statistik-Interessierte, sondern auch jeder Leser, der Europa gerne als fortschrittlichen Ort der Freiheit und der Menschenrechte sieht.

Unter den 42,8 % europäischer Staaten findet man Deutschland (noch) nicht. Dies gibt Anlass zu einer kurzen Bestandsaufnahme.

Seit 2001 gewährt das LPartG homosexuellen Paaren die Möglichkeit, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen. Große Unterschiede zur Ehe gibt es kaum mehr. Über die Jahre hinweg sorgte gerade das BVerfG für eine weitgehende rechtliche Angleichung der beiden Rechtsinstitute. Dennoch bestehen (noch) rechtliche Divergenzen. Prominentes, aber nicht einziges Beispiel ist die gemeinschaftliche Adoption durch zwei Lebenspartner (die im Gegensatz zur Sukzessivadoption bisher nicht zulässig ist). Neben der vollständigen rechtlichen Angleichung der Lebenspartnerschaft an die Ehe stellt sich für Interessenverbände und Parteien aber noch immer die Frage nach der Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Ehepartner.

Grundgesetzlich ist die Ehe als Institut durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Sie gilt als Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft noch immer als Fundament der Gesellschaft. Traditionell war eine notwendige Voraussetzung der Ehe i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG die Geschlechtsverschiedenheit der Ehepartner. (BVerfGE 105, 313, 345f; BVerwGE 100, 287, 294). Befürworter dieses Verständnisses verweisen auf das Eheverständnis, wie es der Parlamentarische Rat selbstverständlich vorausgesetzt hatte, sowie bedeutender auf die prinzipielle Ausrichtung der Ehe als Voraussetzung bzw. Schutzschirm der Familie (BVerfGE 76, 1, 51; BVerfGE 117, 316, 328). Dass auch das Bundesverfassungsgericht mittlerweile den Familienbegriff vom Begriff der Ehe loslöste, macht diese Argumentation heute nicht mehr unangreifbar. Dennoch findet sich in einer Vielzahl juristischer Literatur zu Art. 6 Abs. 1 GG der Hinweis, dass eine Verfassungsänderung notwendig wäre, um eine Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare einführen zu können.

Befürworter ihrer Zulassung argumentieren dagegen für eine einfachgesetzliche Lösung: Durch Ergänzung des Wortlauts von §1353 BGB soll klargestellt werden, dass die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Personen offen steht. Dies entspricht auch dem Gesetzentwurf des Bundesrates vom 13.3.2013, sowie der Gesetzentwürfe der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 12.3.2013 und der Fraktion DIE LINKE vom 23.10.2013. Eine Änderung des Art. 6 Abs. 1 GG sei nicht nötig. Das Grundgesetz schütze die Ehe nicht als vorpositives Institut, das auch für kommende gesellschaftliche Vorstellungen unveränderlich festgelegt ist. Vielmehr sei (eben wie bei dem veränderten Familienbild in der Gesellschaft) das Grundgesetz in seinem Schutzgehalt offen für veränderte gesellschaftliche Auffassungen.

In der Begründung der Entwürfe zur Öffnung der Ehe findet sich immer wieder der Verweis auf die veränderte gesellschaftliche Akzeptanz homo- und bisexueller Personen. Während bei Verabschiedung des Grundgesetzes Homosexualität als sittenwidrig galt und mit Hilfe von § 175 f. StGB strafrechtlich verfolgt wurde, gilt heute eine (durchaus auch rechtlich bedingte) grundsätzliche Akzeptanz homosexueller und bisexueller Lebensformen. Diese wurden nicht nur als Diskriminierungsverbote (AGG!) rechtlich gefasst, sondern eben auch durch Einführung des Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft im Jahr 2001. Dass diese von Teilen der Bevölkerung zumindest als ehe-ähnlich gesehen werden, zeigen schon die sprachlich nicht wirklich gelungenen Allgemeinbezeichnungen als „Homo-Ehe“ oder „Schwulen-Ehe“ in den deutschen Medien. Unterstützung bietet weiterhin das Bundesverfassungsgericht durch die immer stärker laufende rechtliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit Ehen (zuletzt zur Unvereinbarkeit des Verbots der Sukzessivadoption mit Art. 3 Abs. 1 GG). Da Art. 6 Abs. 1 GG die Entscheidung über die konkrete Ausfüllung des Instituts Ehe der Gesellschaft und dem Gesetzgeber überlassen habe, sei in der heutigen Gesellschaft auch eine „Homo-Ehe“ denkbare Ehe i.S.d. Art. 6 Abs. 1 GG.

Der Argumentationsweg über § 1353 BGB ohne Änderung des Art. 6 Abs. 1 GG ist auch praktischer Natur. Eine Verfassungsänderung wäre gesetzlich weit schwieriger als die Änderung des BGB. Und überhaupt – was sollte man da auch ändern? Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 GG spricht das Geschlecht der Ehepartner nicht an, wenn es heißt: (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Das Fehlen einer Definition von Ehe und Familie trägt dazu bei, geänderten Vorstellungen der Gesellschaft Rechnung tragen zu können. Dies macht die Argumentation pro Öffnung der Ehe durchaus schlüssig. Wenn sich der Begriff der Familie weiterentwickeln, auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften und die mit ihnen in sozial-familiärer Gemeinschaft lebenden Kinder umfassen kann, dann ist eine gesellschaftliche Öffnung der Institution Ehe – welche nach Argumentation der Gegner der Öffnung aufgrund ihres Endzwecks „Schutzschirm der Familie“ selbst schutzwürdig ist – nicht durch Art. 6 Abs. 1 GG verwehrt.

Dass diese Gesetzesentwürfe in der laufenden Legislaturperiode wenig Aussicht auf Erfolg haben, liegt wohl eher an politischer Interessenpolitik als an der tatsächlichen Überzeugung vieler Parlamentarier. Wahrscheinlicher ist da die vollständige rechtliche Angleichung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft an die Ehe. Mindestens bis zu den nächsten Bundestagswahlen wird dafür aber wohl eher nach Karlsruhe als nach Berlin zu blicken sein. Dabei geht der europäische Trend (noch) in Richtung der Eheöffnung. Wann Deutschland zum Kreis der Fortschrittlichen gehört, ist lediglich eine Frage der Zeit.

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