Die hohe Zahl der nach Europa fliehenden Muslime beflügelt die Angst vor Integrationsproblemen. Wie kann ein weltanschaulich neutraler Staat verhindern, dass Religionsfreiheit von Misstrauen zersetzt und demokratisches Zusammenleben durch fundamentalistische Glaubensvorstellungen gefährdet wird? In einem kürzlich erschienenen Beitrag für die Konrad-Adenauer-Stiftung setzt Christian Waldhoff auf die integrative Kraft staatskirchenrechtlicher Kooperation und schlägt vor die Verfassung zu ändern. Anstelle historisch begründeter Staatsleistungen an die Kirchen sollten zukünftig Religionssubventionen treten, von denen auch Muslime profitieren könnten.
Staatsleistungen
Schon die Weimarer Reichsverfassung forderte, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen.
Den in Art.138 I WRV postulierten Verfassungsauftrag hat das Grundgesetz übernommen. Staatsleistungen sind Entschädigungszahlungen, die den säkularisierungsbedingten Vermögensverlust der Kirchen ausgleichen sollen. Sie werden größtenteils zweckfrei gewährt und belaufen sich auf jährlich knapp 500 Millionen Euro, von denen v.a. die beiden großen christlichen Kirchen profitieren.
Trotz massiver Kritik säkularer Stimmen ist der Gesetzgeber dem Verfassungsauftrag bisher nicht nachgekommen. Einerseits mag dies an der mangelnden Initiative des Bundes liegen, ein entsprechendes Rahmengesetz für die Länder vorzulegen, wie dies in Art.138 I S.2 WRV i.V.m. Art. 140 GG vorgesehen ist. Andererseits besteht der Kniff einer Ablösung in der grundsätzlich einmalig zu leistenden Ablösungssumme, deren Ausmaß in die Milliarden gehen und die Länder finanziell überfordern dürfte.
Religionssubventionen
Mit dem Vorschlag die Staatsleistungen durch regelmäßige Religionssubventionen zu ersetzen, fordert Waldhoff eine gerechtere Verteilung staatlicher Zuwendungen. Diese müssten neu definiert und begründet werden, da die Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im öffentlichen Interesse liege, ihre Funktion geradezu „zivilitätsstiftend“ zu nennen sei. Das so beschriebene Konzept einer „Religionspflege als Verfassungsvoraussetzungspflege“ bewegt sich damit im Fahrwasser des berühmten Böckenförde-Diktums, wonach der freiheitliche säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht herstellen kann.
Schon heute subventioniert der Staat Religionsgemeinschaften indirekt durch Steuervergünstigungen oder direkt und zweckgebunden, indem er z.B. den kirchlichen Betrieb von Kindergärten und Krankenhäusern bezuschusst oder für Anstaltsseelsorge und Religionsunterricht aufkommt. Direkte bzw. zweckfreie Subventionen verstoßen gegen das Gebot staatlicher Neutralität. Fände sich hingegen ein staatliches Interesse an der bloßen Existenz von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, könnten direkte Subventionen wohl zulässig werden. Waldhoff verweist hier auf Radikalisierungstendenzen von Religionsgemeinschaften, die sich, wie in den USA, aus Spenden finanzieren müssen oder auf die Förderung aus dem Ausland angewiesen sind. Staatlich gewährte Religionssubventionen könnten somit „befriedend“ wirken, da sie externe Einflüsse beschneiden, ja letztlich überflüssig machen würden.
Zu diesem Zweck müssten die Kirchen vertraglich auf die ihnen zustehende Ablösungssummen verzichten und Religionssubventionen verfassungsrechtlich verankert werden. Nach Waldhoff sei dies keine unzulässige Neubegründung veritabler Staatsleistungen, sondern eine außerhalb des Art.138 I WRV angesiedelte Leistung, die eben nicht mehr im historischen Kontext, sondern mit einem säkularen staatlichen Nutzen begründet werden würde.
Staatliche Neutralität?
Einen Staat der Religionsgemeinschaften dafür subventioniert, dass sie Religionsgemeinschaften sind, wird man auf den ersten Blick schwer als „weltanschaulich neutral“ beschreiben wollen. Auf den zweiten Blick findet sich dann aber vielleicht ein öffentliches Interesse, eine „zivilitätsstiftende Funktion.“ Dass Waldhoffs Vorschlag bei kirchennahen Staatsrechtlern wie Hans-Michael Heinig Zuspruch findet, ist nicht weiter verwunderlich: direkte Subventionen wären eine religionsfreundliche Lösung.
Eine Lösung, die nicht jedem einleuchten wird: das richtige Verständnis staatlicher Neutralität ist hochumstritten und emotional vorbelastet. Eine säkulare Begründung von Religionssubventionen würden Kirchen- wie Islamkritiker auf die Barrikaden treiben. Daher spekuliert der Vorschlag auch auf die Angst vor der scheinbaren Ausweglosigkeit des Art.138 I WRV. Tatsächlich ist unter Religionsrechtlern aber nicht ganz unumstritten, ob die Ablösungssumme wirklich auf einmal geleistet werden muss oder auf Basis eines Tilgungsplans auch Ratenzahlung vereinbart werden könnte.
Religiöses Selbstverständnis?
Waldhoff verspricht einen höheren Integrationserfolg und schwindende Radikalisierungstendenzen. Er setzt dabei auf den Anreizeffekt regelmäßiger Subventionen. Um diese zu erhalten, müssen sich Muslime jedoch so organisieren, dass verbindliche Ansprechpartner vorhanden sind und strukturierte Verteilungsmechanismen bedient werden können. Ist das überhaupt möglich? Schon länger zeigt sich hier die Untauglichkeit des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus für muslimische Religionsgemeinschaften. Diese sind weit weniger einheitlich organisiert als die großen christlichen Kirchen, deren Binnenstruktur einst Modell für die Körperschaft des öffentlichen Rechts gestanden hatte.
Der Staat sehnt sich nach Verantwortungsstrukturen und läuft dabei Gefahr Religionen mitgestalten zu wollen. Nimmt man Böckenförde ernst, kann das jedoch nicht gelingen, denn ein freiheitlicher säkularisierter Staat lebt von eben jenen Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.
Waldhoffs Vorschlag kaschiert, wie reformbedürftig deutsches Religionsverfassungsrecht eigentlich ist. Ein neutraler Staat agiert paritätisch. Er muss sich am Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften ausrichten. Nach Islamwissenschaftlern wie Peter Heine ist dem muslimischen Selbstverständnis eine Hierarchisierung im Sinne des Körperschaftsstatus jedoch fremd.
Bereits Anfang letzten Jahres hatte Gunnar Folke Schuppert darauf hingewiesen, dass im staatlichen Umgang mit dem Islam ein Umdenken dringend nötig geworden sei. Um der Vielfalt religiösen Selbstverständnisses wieder gerecht werden zu können, bedürfe es neben dem Körperschaftsstatus auch anderer „modes of governance.“ In seinem Buch „Europas Angst vor der Religion“ sieht José Casanova die Governancestruktur des Netzwerks am ehesten dafür geeignet den Islam zu erfassen. Eine Religionssubvention ohne Empfänger verfehlt ihren Zweck.
Der zweite Schritt vor dem ersten
Fehlende Hierarchisierung sollte also weniger die Rechtfertigung dafür liefern, Religionsgemeinschaften von staatlichen Zuwendungen auszunehmen, als vielmehr den Anlass bieten, das staatskirchenrechtliche Instrumentarium zu überdenken und anhand von Gleichheitserwägungen auszubessern. Religion ist auch bzw. vor allem Selbstzweck. Ein Staat, der das verkennt, liefe Gefahr Radikalisierungen eher zu befeuern statt sie zu vermeiden. Gerade bei derart globalisierten Glaubensrichtungen wie Islam und Christentum sind und waren einseitige Anforderung der Verfasstheit selten von Erfolg gekrönt. Die in Frankreich nachträglich eigens für die Katholische Kirche geschaffene „association diocésaine“ verdeutlicht dies.
Religionssubventionen ohne einen reformierten bzw. erweiterten Körperschaftsstatus wären der zweite Schritt vor dem ersten. Sie verkämen zu einem Instrument der Assimilation. Leicht nachvollziehbare Verantwortungsstrukturen allein leisten aber weder Integrationsarbeit noch beugen sie Radikalisierungen vor. Will der Staat Religionsgemeinschaften unterstützen, muss er sie auch ernst nehmen. Abseits historischer Vorprägungen wäre ein auf diesem Wege gefestigtes Neutralitätsverständnis in der Lage, Integrationsarbeit zu leisten, die Religionsgemeinschaften dort abholt, wo sie sich befinden: im eigenen Selbstverständnis.