Grundrechte sind für Menschen da, nicht für Staaten. Das ist nach deutscher Verfassungsdoktrin so selbstverständlich, dass man sich kaum traut es hinzuschreiben. Der Staat hat keine Grundrechte, kann schon aus denklogischen Gründen keine haben. Grundrechte binden die öffentliche Gewalt: Sie sollen ihr nicht Freiheit geben, sondern welche nehmen. Wenn die Bundesbildungsministerin der AfD auf ihrer Ministeriums-Website die „Rote Karte zeigen“ möchte, dann kann sie sich dafür nicht auf ihre Meinungsfreiheit berufen, denn als Ministerin ist sie in punkto Meinungsfreiheit auf der Seite der Verpflichteten, nicht auf der der Berechtigten.
Gilt das auch für europäische Grundrechte? Das könnte zweifelhaft erscheinen, wenn man das heute verkündete Urteil Bank Mellat des Europäischen Gerichtshofs ansieht. Es handelt sich um eine iranische Bank, die verdächtig ist, am iranischen Atomprogramm mitzuwirken, und daher mit UN-Sanktionen belegt wurde. Dagegen klagte sie vor dem EuG und bekam Recht: Der Ratsbeschluss, der die Bank auf die Sanktionsliste gesetzt hatte, war unzureichend begründet und verletzte die Bank in ihrem Recht, sich zu verteidigen und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu bekommen. Der Rat wiederum ging in Berufung, und über diese hatte der EuGH in dem heute verkündeten Urteil zu entscheiden.
Das wäre alles nicht weiter spektakulär, wäre die Bank Mellat nach Auffassung des Rats nicht ein vom Staat Iran beherrschtes Unternehmen.
Privatrechtlich organisierte Unternehmen, die vom Staat beherrscht werden, sind in Deutschland in punkto Grundrechte als Staat zu behandeln. Das wissen wir seit der epochalen Fraport-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein staatlich beherrschter Flughafenbetreiber Demonstrationen in seinem Flughafen genauso dulden muss wie der Staat auf einem öffentlichen Platz. Wenn ein staatlich beherrschtes Unternehmen aber den Grundrechten verpflichtet ist, so die Konsequenz, dann kann es nicht durch sie berechtigt sein. Ergo: wenn hinter der Bank Mellat eigentlich der Staat Iran steht, dann kann sie sich nicht auf Grundrechte wie das Recht auf Verteidigung und auf fairen Prozess berufen.
Das EuG hatte dies vor zwei Jahren entschieden anders gesehen: So sei
der Umstand, dass ein Staat Garant für die Einhaltung der Grundrechte in seinem eigenem Hoheitsgebiet ist, ohne Bedeutung hinsichtlich der Reichweite der Rechte, die juristische Personen, die Emanationen des betreffenden Staates sind, im Hoheitsgebiet von Drittstaaten in Anspruch nehmen können.
Und was sagt der EuGH? Jedenfalls was prozedurale Grundrechte betrifft, so scheint er in der angeblichen Staatsnähe der Bank kein Problem erkennen zu wollen. Das Recht auf Verteidigung, auf effektiven Rechtsschutz und auf angemessene Begründung könne jeder geltend machen, der vor dem EuGH klagt.
Nun muss man sagen, dass bei Verfahrensgrundrechten wie Art. 101 und 103 GG auch das Bundesverfassungsgericht staatliche Hoheitsträger durchaus als grundrechtsfähig angesehen hat. Das gilt aber nicht für das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 IV GG.
In der Tat ist laut BVerfG bei prozeduralen Grundrechten die Situation eine andere: hier geht es nicht um Rechte, die man als staatlicher Hoheitsgewalt unterworfenes Individuum genießt, sondern um solche, die Verfahrensbeteiligte geltend machen können müssen, damit das Verfahren fair genug ist, um seinen Zweck zu erfüllen. Da kann es nicht darauf ankommen, ob ein Verfahrensbeteiligter der privaten oder der staatlichen Sphäre angehört.
Damit scheint mir die Frage, wie es nun aussieht mit Staaten als Träger europäischer Grundrechte, weiterhin offen zu sein; die knappen Worte des EuGH geben dazu nichts her. Die weit interpretierbare Position des EuG, die der Zuordnung staatlich/privat jede Relevanz in Bezug auf die Grundrechtsträgerschaft abzusprechen scheint, bleibt allerdings unwidersprochen stehen.