
Es wurden viel Mutmaßungen angestellt, warum in Deutschland nach dieser Woche des Schreckens die öffentliche Stimmung sich so erstaunlich angstresistent erweist. Der Bundesinnenminister empfiehlt uns im SPIEGEL, unsere Angst „auszuhalten“, anstatt nach irgendwelchen brachialen Sicherheitsmaßnahmen zu schreien, und das tun wir zum großen Verdruss von Henrik M. Broder und seinesgleichen im Großen und Ganzen auch. Im Spiegel der Medien schauen wir Deutschen uns auf wahlweise „heroisch gelassene“ oder „mürrisch indifferente“ Weise entgegen, und was wir da sehen, das gefällt uns ziemlich gut.
Ob uns diese Haltung auch gelänge, wenn – sagen wir mal – anstatt eines psychisch labilen Teenagers mit „Arier“-Rassismus im Kopf und scharf gemachter Theaterwaffe in der Hand tatsächlich drei regelrechte IS-Kämpfer mordend durch München gezogen wären, wie zeitweise zu befürchten war? Darüber kann man lange spekulieren, genauso wie über die Frage, wie lange wir gelassen respektive indifferent blieben, wenn aus dieser Woche voller Horrormeldungen Monate oder gar Jahre würden.
Vor allem aber scheint mir der Ansatz, das Ausbleiben einer aufgeheizten Sicherheitsdebatte durch Haltung zu erklären, aus ganz anderem Grund fragwürdig.
Zusammenbrechende verfassungskulturelle Gewissheiten
Jeder, der sich im Moment in Europa und der Welt umschaut, sieht in allen Himmelsrichtungen Verfassungsordnungen schwanken oder zusammenbrechen. Die Türkei hat sich binnen zweier Wochen von einer ins Autoritäre neigenden Demokratie zu einer brutalen Autokratie gewandelt, in der für geteilte Meinungen darüber, wen zu ermächtigen und was mit der Macht anzufangen, auf absehbare Zeit überhaupt kein Raum mehr vorhanden sein wird. Polen, das von Berlin aus gesehen nächst gelegene Nachbarland, wird von Leuten regiert, die sich um ihre verfassungsrechtliche Bindungen erklärtermaßen einen Dreck scheren und sich anschicken, ihre demokratisch erworbene Macht dazu einzusetzen, sie nie mehr wieder hergeben zu müssen – ein Manöver, das Ungarn bereits hinter sich hat. Österreich, von den meisten Deutschen sogar als noch viel näheres Ausland empfunden, wird ab Herbst mit einiger Wahrscheinlichkeit Schritt für Schritt von reaktionären Rassisten übernommen. Großbritannien, das Mutterland der parlamentarischen Demokratie, hat sich als ein Land ohne Gewähr dagegen herausgestellt, von einer verantwortungslosen politischen Elite um Kopf und Kragen gezockt zu werden. Italien droht ab Herbst in die Hände von Leuten zu fallen, die zwar des Rassismus einstweilen einigermaßen unverdächtig sind, gegen deren Planlosigkeit sich aber Boris Johnson wie Solon von Athen ausnimmt.
Und jenseits des Atlantik: Donald Trump.
Wenn ich mich frage, warum ich trotz dem Terror und der Angst der letzten Wochen zögere, mich jubelnd der Fahne der Vorratsdatenspeicherung und des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren anzuschließen – hier liegt ein erheblicher Teil der Antwort.
What would Donald do?
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten erfahren, dass der Verlust aller verfassungskulturellen Gewissheiten in Demokratien, an deren Stabilität wir bis vor kurzem nicht im Traum gezweifelt hätten, nicht nur abstrakt, sondern ganz real möglich ist und teilweise sogar bereits passiert.
Vor diesem Erfahrungshintergrund ist es nicht allein unsere Angst, die darüber entscheidet, was wir uns an staatlichen Sicherheitsbefugnissen wünschen. Wir fragen uns auch, oder sollten uns zumindest fragen, ob wir uns diese Sicherheitsbefugnisse auch dann noch wünschen, wenn sie in die Hände von Leuten wie, sagen wir mal, Donald Trump fallen.
Der Donald-Test: Ist es auch dann gemessen am Zugewinn an Sicherheit ein hinnehmbarer Freiheitsverlust, all meine Verbindungsdaten zur polizeilichen Auswertung parat stellen zu müssen, wenn es Donald Trump ist, der sie auswertet? Ist es auch dann eine schiere Frage der Praktikabilität, das Militär zur Abwehr von Gefahren für die innere Sicherheit zu Hilfe rufen zu können, wenn es Donald Trump ist, der sie befehligt?
Wem das zu weit hergeholt erscheint: Der Test funktioniert auch mit Frauke Petry, Hans-Christian Strache, Marine Le Pen und Nigel Farage – Figuren von abgestufter Grässlichkeit, die aber eins gemeinsam haben, nämlich ihren Machtanspruch darauf zu stützen, das angebliche echte „Volk“ zu vertreten, die „ganz normalen Deutschen/Österreicher/Franzosen usw.“. Und die gerade deshalb ein Anderes benötigen, von dem sie das Normale und Eigene abgrenzen können und das sie tüchtig zu drangsalieren versprechen, wenn sie erst mal an der Macht sind.
Wie groß diese Macht zum Zeitpunkt der hypothetischen Machtübernahme ist – darüber entscheidet unsere kollektive Antwort auf den Donald-Test.