5. November 2016

Johannes Graf von Luckner

PKW-Maut: Kein Sieg der CSU über die EU-Kommission

 

„Zur zusätzlichen Finanzierung des Erhalts und des Ausbaus unseres Autobahnnetzes werden wir einen angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen PKW erheben (Vignette) mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute. Die Ausgestaltung wird EU-rechtskonform erfolgen.“

Mit diesen Worten versprach die große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 „Deutschlands Zukunft gestalten“ das Unmögliche. Einen „Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen PKW erheben“ und „kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belaste[n]“ – dem steht der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV ins Gesicht geschrieben. Diese Garantie, als EU-Bürger in jedem Staat der Union zu jeder Zeit gleich behandelt zu werden wie dessen eigene Staatsangehörige, ist eine einzigartige Errungenschaft, von dir wir in großem Umfang bei praktisch jedem Kontakt mit dem europäischen Ausland profitieren – selbstverständlich sind wir deshalb ebenfalls an dessen Wahrung gebunden.

All das wusste die federführende CSU zu jedem Zeitpunkt – so viele Fragen im Europarecht auch strittig und diskutabel sein mögen, die nach der Rechtmäßigkeit eines Systems, in dem eine Maut (formal von allen) erhoben, dann aber sogleich von der KFZ-Steuer der Inländer abgezogen wird, war es nie. Weder in Brüssel bei der EU-Kommission noch in Luxemburg beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist man taub für die Wahlkampfreden und -versprechen in den Mitgliedsstaaten; wird dem (vornehmlich bayrischen) Wähler versprochen: „Die Ausländer bezahlen für die Benutzung unserer Straßen“, und „Jeder Deutsche, der KFZ-Steuer bezahlt, bekommt ein Pickerl und einen Bescheid, damit ist die Maut mit der KFZ-Steuer bezahlt!“ im Abensberger Gillamoos-Bierzelt entgegen geblökt (jeweils Horst Seehofer), ist auch dem Letzten klar: selbst bei formell von allen Autofahrern erhobener Maut geht es hier um die eindeutige und explizite Schlechterstellung (jedenfalls auch) von EU-Ausländern. Und die ist verboten.

Dass die Maut wie versprochen kommt, war also von Anfang an ausgeschlossen.

Damit konnte das Projekt stets nur einen von zwei Wegen gehen. Die Maut konnte eingeführt, umgesetzt und dann vom EuGH für rechtswidrig befunden und kassiert werden. Lange sah es danach aus, als würde das Bestehen der CSU auf der direkten Abzugsregelung auf diese Lösung hinauslaufen.

Oder sie konnte eingebettet werden in ein größeres System. Selbstverständlich ist auch unter Unionsrecht jederzeit eine Reform der nationalen KFZ-Steuer möglich; schon vor Jahren war eine Anpassung der Steuer an den CO2-Ausstoß geplant. Selbstverständlich kann ohne das Unionsrecht zu verletzten jederzeit eine PKW-Maut eingeführt werden, wie sie viele andere Mitgliedsstaaten der EU seit Jahren erheben – einzig die Reform der KFZ-Steuer, die sich darauf beschränkt, die neu zu erhebende Maut für Deutsche zu unmittelbar kompensieren, ist augenscheinlich rechtswidrig.

Somit existiert schon seit Beginn der Maut-Debatte eine offensichtliche Lösung: kombiniert mit einer Neuordnung der KFZ-Steuererhebung, die sich im Geist der Zeit wohl nur an der Umweltfreundlichkeit der Fahrzeuge orientieren kann, kann auch eine PKW-Maut für Autobahnen eingeführt werden (freilich würde auch das keine „Eintrittskarte“ für Deutschland auf allen Straßen ermöglichen, wie das Bundesverkehrsministerium sie kurzzeitig im Sinn hatte).

Eines muss dabei aber beachtet werden: eine 1:1-Erstattung, wie sie der CSU vorschwebte, kann es unter diesem System nicht geben. Es verbleiben auch hier zwei Möglichkeiten. Entweder, die Steuer wird für Fahrzeuge mit einem geringen Schadstoffausstoß radikal, für solche mit einem hohen Ausstoß moderat gesenkt. Die umweltfreundlichen PKW würden so auch unter Berücksichtigung der Kosten für eine Autobahnvignette deutlich weniger zahlen als bisher, die Fahrer umweltbelastender Autos dagegen müssten, damit das System sich rechnet, nach Bezahlung der Maut einer Mehrbelastung unterliegen. Eine sinnvolle Lösung, das CSU-Wahlversprechen, nach dem kein Deutscher mehr zahlen werde, wäre damit jedoch passé.

Oder aber, die KFZ-Steuer würde so stark gesenkt, dass selbst die Fahrer der dann teuersten Klasse alter oder kraftstoffintensiver PKW nach der Bezahlung der Maut nicht schlechter dastünden als bisher. Machbar wäre das; zu beachten ist aber, dass dafür die Steuerlast aller umweltfreundlicheren Fahrzeuge um dem Anschein einer Diskriminierung von Ausländern zuvorzukommen deutlich stärker entlastet werden müssten. Das würde Millionen, wenn nicht hunderte von Millionen weniger an Steuereinnahmen bedeuten, die aus anderen Quellen kompensiert werden müssen. Mit den zusätzlichen Einnahmen von Deutschland passierenden Ausländern, die dem Vernehmen nach mindestens 2,50€ für zehn Tage bezahlen sollen, wird dies nur schwer zu erreichen sein. In diesem Fall würden nicht deutsche Autofahrer mehr bezahlen als bisher. Vielmehr müssten alle Deutschen mehr Steuern aufbringen für diese Gesetz gewordene Bierzeltparole.

Das kann man aus wahlkampftechnischen Gründen gut finden; die CSU würde das Projekt sicher als Sieg des standhaften Bayerns gegen die Bürokraten aus Brüssel zu verteidigen wissen.

Aber sinnvoll oder gar ehrlich – das wäre eine solche Umsetzung nicht.

P.S.: Hingewiesen sei zu noch auf den potenziell letzten Akt der Tragödie. Zwar mag die Kommission in ihrer Zusammenarbeit mit dem Bundesverkehrsministerium bezwecken, das Ende September vor den EuGH gebrachte Vertragsverletzungsverfahren außerhalb von Luxemburg zu beenden. Indes werden die deutschen Nachbarstaaten, insbesondere Österreich und die Niederlande die Entwicklungen aufmerksam beobachten. Gegen eine Vertragsverletzung nämlich kann nach Art. 259 AEUV auch jeder Mitgliedsstaat vor den EuGH ziehen.

 

Schreibe einen Kommentar