7. März 2017

Anna Katharina Mangold

Schlechte (und verfassungswidrige) Ideen reisen schnell: Einreisestopp und Grundgesetz

Es war wohl zu erwarten. Die europäischen Rechtspopulisten haben unlängst in Koblenz den grenzüberschreitenden Schulterschluss geübt. Anwesend im Geiste war ohne Zweifel auch Donald Trump, der in vielerlei Hinsicht gegenwärtig der Posterboy der rechten Populisten ist. Mit seinem Einreisestopp vom Januar ist Trump zwar bislang krachend an den rechtsstaatlichen Prinzipien gescheitert, die die Gerichte ihm entgegengehalten haben (vgl. dazu nur die Eilentscheidungen hier und hier, die Verfahrensdokumentation zum 9th-Circuit-Berufungsverfahren hier, sowie die Beiträge hier, hier und hier). Dieses Scheitern hielt aber weder Trump davon ab, am Montag einen zweiten Anlauf zu unternehmen, einen Einreisestopp zu verankern (erste Reaktionen dazu etwa hier und hier), noch hindert es seine Epigonen daran, ähnlich krude Vorschläge für andere Staaten in die Welt zu setzen.

Einreisestopp für Muslime nach Deutschland? Eine weitere kalkulierte Provokation der AfD

Nun hat der stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, seines Zeichens wohl kalkulierender Skandal-Fabrikateur, in einem Interview mit den Regionalzeitungen der Funke Mediengruppe gefordert, auch Deutschland solle einen Einreisestopp für Muslime verhängen, was wiederum etwa von der FAZ aufgegriffen und damit überregional verbreitet wurde.

Auf die Frage: „Will die AfD von Donald Trump lernen? Der amerikanische Präsident versucht, Muslimen aus bestimmten Staaten generell die Einreise zu verwehren …“, antwortete Gauland in dem Interview unter anderem: „Der Islam, der einen politischen Anspruch erhebt, ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Deswegen bin ich bei der Zuwanderung von Muslimen sehr skeptisch. … Wir sollen [sic] nur diejenigen Muslime ins Land lassen, die wirklich um ihr Leben fürchten müssen. Muslime, die etwa aus Nordafrika kommen, sind offensichtlich Wirtschaftsflüchtlinge.“ Weiter gefragt, ob er „einen Einreisestopp für Muslime aus allen Ländern“ wolle, „in denen gerade kein Krieg herrscht“, erwiderte Gauland: „Das wäre eine Linie, die mir persönlich naheliegen würde: ein genereller Einreisestopp für Menschen aus muslimischen Ländern, in denen die politische Lage stabil ist. Wir sollten keine Muslime ins Land lassen, denen es nur um das persönliche Fortkommen geht. Denn der Islam ist nach Khomeini politisch – oder er ist nicht. Und das widerspricht der Werteordnung des Grundgesetzes. Muslimische Gläubige sind kein Problem, der Islam als Religionsgemeinschaft schon.“

Da Gauland selbst auf das Grundgesetz verweist, ist es allemal angebracht, seinen Vorschlag einmal auf seine Vereinbarkeit mit der Verfassung zu überprüfen – und bei dieser Gelegenheit jene verfassungsrechtlichen Argumente zu benennen, die populistischen Vorschlägen dieser Art in einer liberalen Demokratie entgegengehalten werden können und müssen. (Unions– und völkerrechtliche Vorgaben lassen wir im Folgenden weitgehend beiseite; insbesondere unterstellen wir im Folgenden, dass es sich um eine nicht unionsrechtlich determinierte Regelung handelt, auf die die deutschen Grundrechte Anwendung finden.) Konkret sind vor allem die Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und das spezielle Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG einschlägig, das Benachteiligungen wegen des Glaubens oder wegen der religiösen Anschauungen untersagt. Aus ihnen ergibt sich, dass das Grundgesetz im Ergebnis so ziemlich das Gegenteil von dem verlangt, was Gauland behauptet.

Der islamische Glaube ist nicht mit dem Grundgesetz unvereinbar, sondern er wird vom Grundgesetz grundrechtlich geschützt

Wenden wir uns zunächst der Behauptung zu, „der“ Islam sei mit der Wertordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar. Seit geraumer Zeit sollte es zur Allgemeinbildung gehören, dass es „den“ Islam im Sinne einer Religionsgemeinschaft mit einheitlichen Glaubenslehren gar nicht gibt. Mehr noch als bei den ja auch nicht eben einheitlichen christlichen Glaubensgemeinschaften ist es seit der Frühzeit ein Charakteristikum islamischer Glaubenslehren, dass unterschiedliche, ja widersprüchliche Auffassungen zu einzelnen Glaubensfragen existieren (siehe etwa die rechtshistorischen Arbeiten von Nahed Samour). Diesen Befund hat Hatem Elliesie überzeugend als Ausdruck einer Binnenpluralität sowohl der islamischen Religion als auch des islamischen Rechts gedeutet.

Pluralität freilich ist ein Konzept, das den auf einem angeblich homogenen Volk beharrenden rechtspopulistischen Strömungen von Grund auf suspekt ist. Da wird dann rasch ein einheitlicher Islam behauptet, wo es eine solche Einheitlichkeit überhaupt nicht gibt. Das gelingt nur, indem Gauland auf Khomeini verweist – was ungefähr so überzeugend ist wie sich allein auf Äußerungen von Opus Dei oder von evangelikalen Radikalen zu stützen, um den wahren Gehalt des christlichen Glaubens zu ermitteln. Wie auch im Falle der christlichen Glaubenslehren reagiert das Grundgesetz auf die innerreligiöse Pluralität mit einem umfassenden grundrechtlichen Schutz, der zur Folge hat, dass Freiheitsbeschränkungen und Ungleichbehandlungen im konkreten Fall gerechtfertigt werden müssen.

Der islamische Glaube ist nicht mit dem Grundgesetz unvereinbar, sondern als Religion im Sinne des Grundgesetzes grundrechtlich geschützt. Personen muslimischen Glaubens können sich auf den grundrechtlichen Schutz der Glaubensfreiheit und auf den Schutz vor religiöser Diskriminierung berufen. Es ist bedauerlich, dass eine solche verfassungsrechtliche Binsenweisheit gegenwärtig ausdrücklich hervorgehoben werden muss.

Verfassungswidrige Diskriminierung von Personen wegen ihres muslimischen Glaubens

Was folgt aus den Grundrechten nun für die Gaulands konkrete Forderung nach einem generellen Einreisestopp „für Menschen aus muslimischen Ländern, in denen die politische Lage stabil ist“?

Zunächst stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Bindung der deutschen Staatsgewalt bei extraterritorial wirkendem Handeln. Sie ist zwar alles andere als trivial. Jedoch wird heute zu Recht weithin anerkannt, dass der weit gefasste Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG die deutsche Staatsgewalt unabhängig davon an die Grundrechte binden muss, ob sie im In- oder Ausland handelt oder wo die Handlungsfolgen eintreten. Das hat etwa Mehrdad Payandeh in seinem Begleitaufsatz zur Linzer Staatsrechtslehrertagung zuletzt eingehend und überzeugend dargelegt (s. hier, S. 1073-1075).

Aus der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) folgen grundrechtliche Schranken richtigerweise zumindest in Gestalt von Refoulementverboten (zu Abwehrrechten auf Non-Refoulement als Korollarrechten der Grundrechte s. etwa hier, S. 148-154), die derzeit zwar weitgehend von unionsrechtlichen Regelungen überlagert sind, in ihrem Menschenwürdekern aber auch unabhängig davon weiterhin verfassungsrechtliche Geltung beanspruchen (zur Identitätskontrolle am Maßstab der Menschenwürde s. hier und hier).

Vor allem aber ist bei allen hoheitlichen Entscheidungen über die Einreise jedenfalls Art. 3 Abs. 3 GG zu beachten, der alle Menschen (nicht nur Deutsche) vor einer Diskriminierung wegen ihres Glaubens schützt. So, wie Gauland seinen Einreisestopp formuliert hat, soll er unmittelbar an den (muslimischen) Glauben eine nachteilige Behandlung (Einreisestopp ohne Einzelfallprüfung) knüpfen. Dabei handelt es sich um eine unmittelbare Ungleichbehandlung, die selbst auf der Grundlage eines rein formalen Gleichheitsverständnisses strengsten Rechtfertigungsanforderungen unterliegt: Sie kann allenfalls zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts gerechtfertigt werden. Selbst, wenn der muslimische Glaube nur eines unter mehreren tragenden Kriterien wäre, läge eine solche unmittelbare Ungleichbehandlung vor, denn auch in einem Motivbündel bleibt die diskriminierende Stoßrichtung erkennbar (vgl. dazu etwa die Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz zum Racial Profiling unter II.3.b).

Sollte eine etwaige Regelung die ausdrückliche Bezugnahme auf das Merkmal der Religionszugehörigkeit vermeiden, so ließe sich aus dem Kontext dennoch unschwer eine mittelbare Diskriminierung erschließen. Das Verbot mittelbarer Diskriminierung hat verschiedene Funktionen, von denen hier vor allem das Umgehungsverbot relevant ist. Es soll gerade verhindern, dass Stellvertretermerkmale an die Stelle der unerlaubten Kategorien gesetzt werden. Würde auf die Staatsangehörigkeit lediglich als Stellvertretermerkmal zurückgegriffen (Länder mit überwiegend muslimischer Bevölkerung), wäre diese Ungleichbehandlung also ebenfalls als (mittelbare) Benachteiligung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauungen an Art. 3 Abs. 3 GG zu messen.

So sprechen etwa im Falle von Trumps Einreisestopp vom Januar deutliche Anhaltspunkte dafür, dass er „nicht durch rationale Bedenken der nationalen Sicherheit“ motiviert wurde, sondern von der Absicht religiöser Diskriminierung getragen war (so Judge Leonie M. Brinkema in ihrer Virginia betreffenden Eilentscheidung vom 13. Februar 2017, die auf eine wahrscheinliche Verletzung des ersten Verfassungszusatzes wegen religiöser Diskriminierung gestützt ist, s. hier, Umdruck S. 17-20, Zitat S. 17: “The ‘specific sequence of events’ leading to the adoption of the EO bolsters the Commonwealth’s argument that the EO was not motivated by rational national security concerns.”; vgl. dazu auch hier).

Selbst wenn man aber nur eine in Art. 3 Abs. 1 GG zu verortende Ungleichbehandlung anhand des Kriteriums der Staatsangehörigkeit sähe, würde auch diese nach der zustimmungswürdigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon wegen der Nähe dieses Kriteriums zu jenen des Art. 3 Abs. 3 GG ebenfalls strenge Rechtfertigungsanforderungen auslösen (s. hier, S. 255 f.). Es liegt nahe, dass diese Anforderungen sich zudem umso mehr an diejenigen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern müssen, je stärker die tatsächlichen Anhaltspunkte dafür sind, dass in Wahrheit doch (auch) an die Religion angeknüpft werden soll.

Eine Rechtfertigung einer solch einschneidenden Benachteiligung aufgrund des Glaubens oder der Staatsangehörigkeit wie durch einen derartigen Einreisestopp wird nicht gelingen. Es gibt schlicht keine rational nachvollziehbaren Gründe, die sich je auf alle Personen muslimischen Glaubens beziehen könnten. Es sind nicht alle Personen muslimischen Glaubens gefährlich oder gar terrorismusverdächtig, so dass eine Rechtfertigung durch eine hinreichend gewichtige Bedrohung für ein Schutzgut von Verfassungsrang nicht in Sicht ist. Aber auch soweit sich ein Einreisestopp gegen Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung richtet, ist derzeit nicht ersichtlich, wie sich für alle Staatsangehörigen eines solchen Staates (etwa für die von Trumps Einreisestopp erfassten zunächst sieben, nunmehr noch sechs Staaten) pauschal eine solche Bedrohlichkeit nachweisen lassen sollte.

Sinn und Zweck des strikten Diskriminierungsverbotes aus Art. 3 Abs. 3 GG

Es ist die Ratio des Art. 3 Abs. 3 GG, Ungleichbehandlung aufgrund von Zuschreibungen zu verbieten, die an ganze Personengruppen gerichtet werden, ohne dass die einzelnen Personen überhaupt sichtbar oder gesehen würden. In solchen Zuschreibungspraktiken werden die Einzelnen auf die (vermeintliche) Zugehörigkeit zu bestimmten Personengruppen reduziert und damit ihrer Individualität beraubt. Das Grundgesetz hat, gerade auch mit Blick auf die menschenverachtenden Praktiken des nationalsozialistischen Regimes, in Art. 3 Abs. 3 ein striktes Diskriminierungsverbot festgelegt, das sicherstellen soll, dass die Einzelnen stets in ihrer Individualität wahrgenommen und nicht auf eine bestimmte (vermeintliche) Gruppenzugehörigkeit reduziert werden. Ein pauschaler Einreisestopp für Personen muslimischen Glaubens wäre mit dieser zentralen Aussage der deutschen Verfassung unvereinbar.

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