30. Mai 2017

Sven Jürgensen

Das Parteiverbot ist tot, es lebe der Entzug staatlicher Parteienfinanzierung?

Nun ist also der Stein im Rollen. Gestern fand – wie auf diesem Blog berichtet – die Sachverständigenanhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages zur Änderung des Art. 21 GG statt. Verfassungsfeindlichen Parteien soll die finanzielle Unterstützung durch den Staat verwehrt bleiben.

Die Debatte im Ausschuss kreiste dort fast ausschließlich um die konkrete Umsetzung der Grundgesetzänderung. Während also wichtige Detailfragen der Ausgestaltung der Grundgesetzänderung diskutiert wurden, gerieten grundlegende Bedenken in den Hintergrund, dies obgleich sich solche in einigen der Stellungnahmen der geladenen Sachverständigen durchaus finden. Nach der Berichterstattung wirkt es jedoch so, dass diese Warnungen lediglich „zu Protokoll gegeben“ oder gar nicht erhoben wurden. Eines scheint damit klar: das sogenannte „kleine Parteiverbot“ wird kommen. Und auch wenn eine Instanz wie der Parteienrechtler Uwe Volkmann der Überlegung, dass der Staat nicht diejenigen finanzieren solle, die ihn abschaffen wollten, eine „so schlagende Plausibilität“ attestiert, dass man nichts dagegen sage könne, sollen hier einige Zweifel geäußert werden.

Die Kategorie der verfassungsfeindlichen Partei

Am Anfang steht das NPD-Nichtverbotsurteil des BVerfG. Die Implementierung des Tatbestandsmerkmals der Potentialität hat eine neue rechtliche Kategorie von Partei geschaffen: die der verfassungsfeindlichen. Vorher galt: Eine Partei ist entweder Partei, was grundsätzlich verhindert, staatliche Sanktionen an die inhaltliche Ausrichtung einer Partei zu knüpfen oder aber sie war verfassungswidrig und wurde verboten. Nun gesellt sich diese dritte Kategorie dazu, die eben nicht einfach nur Partei ist, sondern verfassungsfeindlich, aber für ihre Verbotswürdigkeit nicht wirkmächtig genug ist und die jetzt mit den Mitteln des Parteienfinanzierungsrechts angegangen werden soll.

Die Realität zeichnet ein etwas anderes Bild. In den Räumen des Düsseldorfer Parteieninstituts türmen sich Entscheidungen zu Fällen, in denen der NPD der Zugang zu öffentlichen Leistungen wie Stadthallen oder Girokonten versagt wurden. Dies war und ist – zumindest nach Einschätzung einzelner Verfassungsrichter – nach wie vor rechtswidrig, was von den Gerichten auch regelmäßig so festgestellt wurde. Dies hinderte indes zahlreiche Stellen nicht daran, weiterhin entsprechend zu handeln. Der Sparkassenangestellte von nebenan, der selbsternannte Hüter der Verfassung?

Das Verbot, Parteien wegen ihrer Inhalte über das Parteiverbot hinaus zu sanktionieren, ist jedenfalls schon seit geraumer Zeit erodiert.

Verfassungsrechtliche Problemlage

Von diesem Impetus ist die geplante Änderung des Parteienartikels getragen. Feinde der Verfassung gehören nicht mit staatlichen Mitteln gefördert, sondern bekämpft. Dies scheint auch so naheliegend und richtig, dass ein Widerspruch einigen Begründungsaufwand erfordert.

Das Parteiensystem ist als Wettbewerbsordnung ausgestaltet, Parteienrecht ist damit Wettbewerbsrecht (Morlok). Die staatliche Parteienfinanzierung gründet sich darauf, sie soll die Chancengleichheit der Parteien gewährleisten und fördern, der politischen Minderheit von heute die Möglichkeit geben, die Mehrheit von morgen zu werden. Der Ausschluss einzelner Parteien wegen ihrer inhaltlichen Ausrichtung kratzt an den Grundpfeilern dieses Systems. Der bisherigen Dogmatik zur Chancengleichheit wird der Boden entzogen.

Als Begründung soll die wehrhafte Demokratie herhalten. Dieses gleichermaßen schwierige wie existentielle Verfassungsprinzip ist Grundlage für das Parteiverbot und wird mit dem Appell „keine Freiheit den Feinden der Freiheit“ paraphrasiert.

Es gilt jedoch zu beachten, dass das Verbot verfassungswidriger Parteien der Gefahrenprävention dient und kein Gesinnungsverbot darstellt, wie das BVerfG im NPD-Urteil ausdrücklich feststellt. Dies war es auch, woran der Antrag des Bundesrats scheiterte; von der NPD geht für die Verfassung keine Gefahr aus, es fehlen gar Tatsachen, welche die Annahme rechtfertigen, dass dies in absehbarer Zeit der Fall ist.

Was ist nun der Grund für den Ausschluss der NPD aus der Parteienfinanzierung? Gefahrenprävention im Bereich der Potenzlosen zu betreiben scheint kaum erforderlich. Zugleich stellt das bloße Unbehagen, der NPD Mittel zukommen zu lassen, keinen eine rechtliche Beschränkung legitimierenden Grund dar. Was also beflügelt die verfassungsändernde Gewalt, angestachelt durch das hinweisgebende Verfassungsgericht?

Von Freunden und Feinden

Das Politische, so der stets mit Vorsicht zu rezipierende Carl Schmitt, zeichnet sich durch die Unterscheidung von Freund und Feind aus, wobei es sich bei dem Feind nie um den persönlichen, sondern den öffentlichen Feind, den hostis, handelt. Zur Identifizierung eines solchen bedarf es, so Schmitt in seinem Begriff des Politischen, einer Feinderklärung. Organisationsverbote seien ein Beispiel für eine solche hostis-Erklärung in einer abgeschwächten Form.

Vergegenwärtigt man sich diese Konzeption von Politik, mag die Problematik des zu diskutierenden Entwurfs zur Änderung des Grundgesetzes deutlicher hervortreten. Der Entzug der Parteienfinanzierung soll als verlängerter Arm des Parteiverbots dienen und teilt damit dessen Charakter. Dieses Mittel ist aber in einer Verfassung des Pluralismus ultima ratio für den Umgang mit politischen Kräften. Eine weitere Waffe könnte der grundgesetzlichen Ordnung einer auf Pluralismus basierenden und an ihr ausgerichteten Demokratie abträglicher sein als ihr nutzen.

Indem der Finanzierungsausschluss die ausgemachten Feinde der Verfassung klein halten möchte, folgt sie dem Grunde nach dem Freund-Feind-Schema. Denn ihr Ziel ist die Verdrängung aus dem Wettbewerb durch die Verhinderung der gleichberechtigten Teilnahme an diesem. Das Parteiverbot kann und soll dies erreichen, wenn tatsächlich Gefahren zu befürchten sind. In der Auseinandersetzung mit menschenverachtenden, aber tatsächlich chancenlosen Ideologen kann deren Verdrängung jedoch nicht das Ziel sein, ist dies doch – und das wird nicht umsonst oft betont – ein Motor von Systemkritik und Populismus.

Der Wunsch nach Verdrängung, nach Verhinderung der Artikulation reicht dabei über den Parteienwettbewerb hinaus, er lässt sich auch feststellen im Bereich der Versammlung. Wo eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht möglich scheint oder nicht gewünscht ist, wird nicht selten zu den Mitteln des Rechts gegriffen.

Schlussbetrachtung

Das Grundgesetz hat dies nicht im Sinn. Das Mehrparteiensystem, das Verhältnis von Mehrheitsprinzip und Freiheitsrechten verfolgen andere Zwecke als die Verhinderung auch noch so problematischer Ansichten.

Das Ziel der politischen Willensbildung ist der (Wahl-)Sieg über die Konkurrenz als Ergebnis einer fairen Auseinandersetzung. Dies dient auch der Integration der Unterlegenen, auch wenn gerade Verfassungsfeinde wie die NPD dies sicherlich so nicht wahrhaben wollen. Doch diese werden eine eindeutige Entscheidung des Volkes in freier und gleicher Wahl nicht von der Hand weisen können. Welch besseres Mittel gegen Verfassungsfeinde gibt es also, als der Beleg, dass die Bevölkerung eben nicht deren Ideen folgt, sondern denen demokratischer Parteien?

Anstatt also ihr stärkstes Instrument zu schwächen, den möglichst freien und chancengleichen Wettstreit politischer Konzepte, sollten die an der Verfassungsänderung beteiligten Organe die Lehren aus den essentiellen Passagen des NPD-Urteils ziehen. Politische Parteien gehören verboten, wenn sie die Potenz haben (könnten), unsere Grundordnung anzutasten. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die wehrhafte Demokratie sollte sich auf seine Bedrohungen ausrichten, nicht auf Gesinnungen. Man könnte paraphrasieren: keine Macht den Feinden der Verfassung!

Ob die beabsichtigte Neuregelung schon die Qualität verfassungswidrigen Verfassungsrechts erreicht, bleibt der Klärung durch das BVerfG vorbehalten – wenngleich hier eine Tendenz erkennbar sein dürfte. Eine dahingehende Feststellung würde der demokratischen Wettbewerbsordnung allerdings einen Bärendienst erweisen.

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