13. Februar 2018

Hans Michael Heinig

Kann der SPD-Parteivorstand Andrea Nahles zur kommissarischen Vorsitzenden ernennen?

Zuletzt machte die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen Bedenken geltend. Gar keine schlechte Idee von den Genossinnen und Genossen, mal ins Parteiengesetz zu schauen: Denn die Bedenken sind gewichtig.

§ 9 Abs. 4 ParteienG weist die Wahl des/der Vorsitzenden, der Stellvertreter und der weiteren Vorstandsmitglieder dem Parteitag zu. Es besteht ein Parteitagsvorbehalt (S. Augsberg, in: Kersten/Rixen [Hrsg.], Parteiengesetz und europäisches Parteienrecht, 2009, § 9 Rn. 18). Das Parteiengesetz ist da so eindeutig, wie eine Rechtsnorm nur sein kann: Nur der Parteitag kann einen/eine Vorsitzende, die Stellvertreter und die weiteren Vorstandsmitglieder wählen.

Geschenkt, würde das Willy-Brandt-Haus antworten. Es geht ja nur um eine kommissarische Bestellung. Doch auch die vorläufige Bestellung einer Organwalterin ist eine Bestellung.

Machtstrategisch gibt es gute Gründe für eine schnelle Regelung der Schulz-Nachfolge in der SPD. Doch das Parteiengesetz zielt nicht auf maximale Machtstrategie, sondern auf die Erfüllung der Parteien nach Art. 21 GG zugewiesenen Aufgaben. Dazu ist die Wahrung innerparteilicher Demokratie elementar. Besonderen Schutz solcher innerparteilicher Demokratie erfährt der Parteitag.

Genau deshalb ist der nach dem Parteiengesetz das maßgebliche Kreationsorgan für den Vorstand. Parteiengesetzlich zugelassen ist lediglich eine satzungsrechtliche Ergänzung, nach der bestimmte Personen qua Amt dem Vorstand angehören (§ 11 Abs. 2 ParteienG). Über eine solche Satzungsbestimmung entscheidet wiederum der Parteitag. In Vorstandsbesetzungsfragen gilt deshalb: alle Macht dem Parteitag.

Der gesetzliche Parteitagsvorbehalt besagt zugleich, dass ein bestehender Vorstand keine Kooptationsbefugnis hat. Er darf nicht neue Vorstandsmitglieder bestimmen. Das ist dem Parteitag vorbehalten.

Schaut man in § 23 des SPD-Parteistatuts, wird deutlich, dass diese Partei eine Vorstandsmitgliedschaft qua Amt nicht kennt (anders als bei Regelungen zum Parteikonvent). Andrea Nahles gehört gegenwärtig weder als gewähltes Mitglied noch aufgrund einer Satzungsbestimmung qua ihrem Amt als Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion dem SPD-Bundesparteivorstand an. Ergo kann der SPD-Bundesparteivorstand sie nicht durch eigenen Willensbeschluss zum Vorstandsmitglied machen. Erst recht kann er sie nicht zur Vorsitzenden bestimmen.

Eine kommissarische Bestellung ändert daran nichts: Ein alter Parteivorstand bleibt als solcher bis zur Konstituierung eines neu gewählten Vorstandes im Amt (§ 24 VIII Organisationsstatut der SPD). Scheidet ein Vorsitzender durch Rücktritt aus dem Vorstand aus, kann der bestehende Vorstand durch Geschäftsführungsregeln darauf reagieren. Zum Wahlturnus sieht § 17 des SPD-Organisationsstatuts ausdrücklich die Möglichkeit vorgezogener Vorstandswahlen vor; § 10 der Wahlordnung der SPD sieht die Möglichkeit einer Nachwahl vor. Auch der Rechtsgedanke des § 11 Abs. 4 Organisationsstatut spricht für die hier skizzierte Rechtsauffassung: Ein aus mindestens drei gewählten Personen bestehender Vorstand ist handlungsfähig, eine Neuwahl solange nicht erforderlich. Damit korrespondiert § 11 Abs. 1 S. 2 ParteienG.

Ergo gilt nach dem nach dem Parteiengesetz und den Satzungsregeln der SPD: Ein außerordentlicher Parteitag kann nach einem Rücktritt des amtierenden Parteivorsitzenden eine neue Vorsitzende wählen. Der Vorstand kann interimistisch auf einen Rücktritt durch Neuordnung der internen Geschäftsführungsregeln reagieren. Der Vorstand kann aber nicht eine vorstandsfremde Person zur (kommissarischen) Vorsitzenden bestellen.

 

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