9. Mai 2019

Anna von Notz

Nein sagen können: zur AfD und ihrem Anspruch auf einen Platz im Bundes­tags­präsidium

Das war nicht unclever, was sich die AfD da gestern hat einfallen lassen, um sich doch noch einen Platz im Präsidium des Deutschen Bundestages zu verschaffen: Wenn ihre Kandidaten, ob der islamophobe Albrecht Glaser oder die weniger Anstoß erregende Mariana Harder-Kühnel, von der CDU/CSU/SPD/Grün/Linken-Mehrheit ein ums andere Mal niedergestimmt werden – dann schicken sie halt gleich drei Kandidaten auf einmal ins Rennen.

Das führt bei unbefangenem Blick in § 2 Abs. 2 S. 4 der Geschäftsordnung des Bundestags dazu, dass im dritten Wahlgang, wo keine absolute Mehrheit mehr verlangt ist, die Stichwahl entscheidet: Das Plenum kann wählen zwischen AfD-Kandidatin A und AfD-Kandidat B. Aber eine AfD-Kandidatin muss sie wählen.

Die Bundestagsverwaltung hat diesen Vorstoß gestern abgewehrt: Der Antrag der AfD sei unzulässig. Die Begründung dafür ist nach allem, was wir hören, dass die Fraktion für den Posten im Parlamentspräsidium, der ihr nach § 2 Abs. 1 S. 2 GO-BT zusteht, nur eine Kandidat_in zur Wahl stellen dürfe.

Wieso das? Auf den ersten Blick würde man denken, dass es Sache der Fraktionen ist zu entscheiden, nicht nur wen, sondern auch wie viele Kandidat_innen sie ins Rennen schicken, zumal das in der Geschäftsordnung niedergelegte Verfahren mit einer Wahl zwischen mehreren Bewerber_innen ausdrücklich rechnet. Auf den zweiten Blick hat die Position der Bundestagsverwaltung aber eine Menge für sich.

In-sich-Stichwahl

Die Wahl der Bundestagspräsident_in und ihrer Stellvertreter_innen ist in der Geschäftsordnung so geregelt, dass die von den Fraktionen vorgeschlagenen Kandidaten im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit brauchen (§ 2 Abs. 2 S. 1 GO-BT). Wenn sie die nicht bekommen, können neue Bewerber vorgeschlagen werden (S. 2). Wenn auch die keine absolute Mehrheit bekommen, gibt es einen dritten Wahlgang, in dem es darauf ankommt, ob eine oder mehrere Bewerber_innen antreten: Ist es nur eine, dann reicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (S. 3). Sind es mehrere – und das ist der Trick –, dann ist wie in einer Stichwahl diejenige gewählt, die mehr Stimmen hat als ihre Konkurrent_in (S. 4).

Das heißt im Extremfall: wenn von zwei Kandidat_innen eine ihre eigene und noch eine Stimme erhält und die andere nur ihre eigene, dann ist die eine mit einer relativen Mehrheit von 1 gewählt, selbst wenn alle anderen Mitglieder des Bundestags sie noch so wütend ablehnen: Denn Nein-Stimmen gibt es nach gängiger Praxis in der Stichwahl nicht, und Enthaltungen fallen nicht ins Gewicht.

Davon, dass in dieser Konstellation die Bewerber_innen von verschiedenen Fraktionen vorgeschlagen werden müssen, ist dabei nicht die Rede. Wie kommt die Bundestagsverwaltung darauf, trotzdem zu verlangen, dass jede Fraktion nur eine Bewerber_in vorschlägt?

Ein Argument dafür wäre, dass die Fraktion im Präsidium als Einheit repräsentiert sein soll und nicht als Vielheit. Wenn es in einer Fraktion mehrere Kandidat_innen gibt, dann ist es der Job der Fraktion zu entscheiden, wer davon sie repräsentieren soll und wen sie zu diesem Zweck zur Wahl stellt. Der Parlamentsbetrieb ist ja auch sonst ganz darauf ausgerichtet, im Zusammenwirken und in Abgrenzung der Fraktionen untereinander zu funktionieren.

Entscheidend aber dürfte sein, dass nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz der Bundestag ausdrücklich die Wahl haben soll, was die Zusammensetzung des Präsidiums betrifft – und die Wahl hat er nur, wenn er auch Nein sagen kann. Er hat sie nicht, wenn die AfD-Fraktion ihm gleichsam von vornherein eine Stichwahl zwischen AfD und AfD hinstellen könnte. In einer solchen Stichwahl hätte der Bundestag keine Möglichkeit, seinen Willen zu artikulieren, wenn er in seiner übergroßen Mehrheit – nicht ganz fernliegend – beide Kandidat_innen gleichermaßen furchtbar findet. Das wäre für sich genommen noch nicht unbedingt ein Killer, wie Wähler_innen aus Frankreich aus eigener biographischer Anschauung millionenfach bestätigen können. Das Problem entsteht dadurch, dass es zwar zwei Alternativen gibt, aber einen, der beide zur Wahl stellt: die AfD. Damit wird die Stichwahl zu einem Insichgeschäft und das Wahlrecht des Bundestags zur Farce.

Konkurrenz oder Repräsentanz

Generell zeigt dieser Vorgang, dass das Verfahren zur Präsidiumswahl in Art. 2 Abs. 2 GO-BT fehlerhaft konstruiert ist. Es gestaltet die Wahl als Konkurrenz zwischen mehreren Bewerber_innen für den gleichen Posten aus. Das mag sinnvoll sein, soweit es um das Amt der Bundestagspräsident_in selber geht, immerhin das zweithöchste im Staate, denn wie bei den Ämtern der Bundeskanzler- oder Bundespräsident_in geht es hier darum, dass das Amt jedenfalls besetzt wird, wenn nicht von jemandem mit absoluter Mehrheit, dann halt von dem unter mehreren, der relativ am meisten Stimmen erhält. Aber was die Ämter der Vizepräsident_innen betrifft, so erscheint diese Konkurrenzlogik regelrecht systemwidrig, jedenfalls solange die Geschäftsordnung den Fraktionen den Zugang zum Präsidium nicht als Konkurrenz um ein knappes Gut gestaltet, sondern als Anspruch auf gleiche Repräsentanz. Es gibt ja auch praktisch überhaupt keinen Druck, diese Ämter zu besetzen: Wenn die Kandidat_in einer Fraktion keine Mehrheit im Plenum bekommt, dann bleibt der Posten halt unbesetzt, bis die jeweilige Fraktion jemanden aufstellt, die eine bekommt. So wie bei der AfD bislang geschehen.

Bei den Vizepräsident_innen des Bundestags wird deshalb aus gutem Grund normalerweise nach einer ganz anderen Logik abgestimmt: Zur Wahl stehen nicht konkurrierende Kandidaten, sondern die Optionen Ja, Nein und Enthaltung. Dass in § 2 Abs. 2 S. 4 der Geschäftsordnung plötzlich die Stichwahllogik auftaucht, führt dazu, dass die Nein-Option vom Tableau der wählbaren Möglichkeiten verschwindet. Genau das hat die AfD mit ihrem Vorschlag auszunutzen und herbeizuführen versucht. Dass das nicht sein kann, hat die Bundestagsverwaltung in ihrer Entscheidung richtig erkannt.

Die Wahlvorschläge der AfD für unzulässig zu erklären, ist insoweit vertretbar, wenngleich nicht besonders relevant. Besser wäre es, wenn der Bundestag von seiner Geschäftsordnungsautonomie Gebrauch machte und klarstellte, dass bei der Wahl der Vizepräsident_innen über je einen Fraktionsvorschlag nach Ja, Nein und Enthaltung abgestimmt wird und nicht durch eine Stichwahl, die niemand braucht und nichts als Verwirrung stiftet.

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