26. April 2020

Kevin Fredy Hinterberger

Österreich setzt das Asylrecht aus

Österreich hat aufgrund der grassierenden Coronapandemie de facto einen Einreisestopp für Asylwerber*innen erlassen (siehe hier, hier und hier). Diese (völker-)rechtswidrige Vorgehensweise scheint für nicht viel Empörung zu sorgen, da in Österreich bekanntlich das Recht der Politik folgt. Dass dadurch aber ein EU-Mitgliedstaat die Genfer Flüchtlingskonvention mit Füßen tritt und das Asylrecht aussetzt, sollte – vor allem auch aus juristischen Kreisen – zu einem lauteren Aufschrei führen. In der Folge wird daher gezeigt, inwiefern die österreichische Praxis sowohl völkerrechtswidrig ist als auch dem nationalen Recht widerspricht.

Der Erlass vom 27. März 2020

Bereits im November 2019 wurden an den österreichischen Grenzen wieder Grenzkontrollen eingeführt. Begründet wurde dies in der entsprechenden Verordnung (BGBl. II 316/2019) mit einer „angespannten Migrationslage“. Im Zuge der „Coronakrise“ wurden derartige Grenzkontrollen auch wieder zu Italien, Deutschland, Liechtenstein, Tschechien, zur Slowakei, zur Schweiz sowie zu Ungarn eingeführt (BGBl. II 84/2020, BGBl. II 91/2020 und siehe diesbzgl. Mitteilung der Europäischen Kommission).

Vor diesem Hintergrund hat das Sozialministerium eine weitere Verordnung (BGBl. II 87/2020) erlassen, die sich auf § 25 Epidemiegesetz 2005 stützt. Nach dieser Bestimmung darf Personen die Einreise nach Österreich unter bestimmten Voraussetzungen verweigert werden.

In einem dem Autor vorliegenden Erlass des Bundesministeriums für Inneres (BMI) vom 27. März 2020 (GZ 2020-0.183.126, siehe hier) wird diese Einreiseverweigerung konkretisiert: „Aufgrund dieser Ausnahmesituation wurde die Verweigerung der Einreise von Drittstaatsangehörigen und EU-Bürgern ohne bestehendes Aufenthaltsrecht in Österreich, die ohne ärztliches Zeugnis einreisen wollen, verordnet. Diese Einreiseverweigerung ist von den Organen der Gesundheitsbehörde auszusprechen“.

Dies bedeutet, dass Fremde ohne Aufenthaltsrecht nur mehr mit einem entsprechenden Gesundheitszeugnis nach Österreich einreisen dürfen, das nicht älter als vier Tage sein darf (siehe hier). Dies trifft alle Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft, das heißt sowohl Unionsbürger*innen als auch Drittstaatsangehörige. Besonders brisant ist dabei aber, dass eine Einreiseverweigerung durch die Gesundheitsbehörden auch möglich ist, wenn an der Grenze ein Asylantrag gestellt wird. Der Erlass begründet dies wie folgt:

„Eine gegenteilige Rechtsaufassung würde alle zum Schutz der Bevölkerung ergriffenen Maßnahmen im Rahmen des Grenz- und Einreiseregimes konterkarieren. Jede Person – beispielsweise auch ein EU-Bürger – könnte in diesem Falle, trotz Nichterfüllen der Einreisevoraussetzungen, wie das Vorliegen eines Gesundheitszeugnisses, durch die bloße Asylantragsstellung die Einreise in das Bundesgebiet erzwingen“.

Die Genfer Flüchtlingskonvention

Der Erlass vom 27. März 2020 verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Dieser völkerrechtliche Vertrag ist das zentrale Dokument des internationalen Flüchtlingsrechts. Neben der Flüchtlingsdefinition in Art. 1, die festlegt, wer Flüchtling im Sinne der GFK ist, ist Art. 33 GFK von besonderer Bedeutung. Das darin geregelte, sogenannte Refoulementverbot bestimmt, dass eine Person nicht in den Herkunftsstaat zurückgeschickt werden darf, wenn ihr dort Verfolgung droht. Dieses Verbot ist zudem auch aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abzuleiten, die in Österreich im Verfassungsrang steht.

Der UNHCR hat bereits am 16. März 2020 festgestellt, dass das Refoulementverbot – auch in Zeiten der Coronapandemie – in Bezug auf alle Personen eingehalten werden muss, die um Schutz vor Verfolgung ansuchen. In ähnlicher Weise hat sich dazu auch die Europäische Kommission geäußert. Es sei zwar erlaubt, dass Mitgliedstaaten Grenzkontrollen temporär wiedereinführen, dabei müssen jedoch Ausnahmen für Personen vorgesehen werden, die internationalen Schutz benötigen. Der Grundsatz des Non-Refoulement muss jedenfalls eingehalten werden.

In Österreich werden nunmehr aber seit 27. März 2020 Personen, die an der österreichischen Grenze einen Asylantrag stellen, zurückgewiesen, ohne dass geprüft wird, ob dadurch das Refoulementverbot verletzt wird. Zwar schreibt das BMI im Erlass, dass der Grundsatz des Non-Refoulement „unberührt bleibt“. Wie das in der Praxis möglich sein soll, bleibt allerdings völlig unklar. Nach derzeitigem Stand ist die österreichische Praxis also völkerrechtswidrig.

Am Rande ist noch auf eine weitere Bestimmung in der GFK hinzuweisen, die für die vorliegende Frage relevant ist. Art. 9 GFK bestimmt, dass Staaten in bestimmten Ausnahmesituationen vorläufige Maßnahmen gegen Einzelpersonen erlassen können, wenn dies für die Aufrechterhaltung der Staatssicherheit erforderlich ist. Auch nach dieser Bestimmung ist eine Zurückweisung an der Grenze rechtlich jedoch nur zulässig, wenn damit eine individuelle Prüfung einhergeht und das Non-Refoulement-Gebot nicht verletzt wird. Zusammengefasst können also keine Maßnahmen gem. Art. 9 GFK erlassen werden, die zu einer Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze führen würden. Aus diesem Grund ist auch die 2015/2016 vieldiskutierte Asyl-Obergrenze völkerrechtswidrig (siehe zu dem Thema hier).

Das Asylgesetz 2005

Der Erlass vom 27. März 2020 verstößt aber nicht nur gegen die GFK, sondern auch gegen das österreichische Asylgesetz 2005 (AsylG 2005 und siehe bereits hier). Stellen Sie sich folgenden Sachverhalt vor: Eine syrische Frau namens X versucht am 24.4.2020 beim Grenzübergang Spielfeld einzureisen. Sie verfügt über kein Gesundheitszeugnis, ersucht jedoch bei der Grenzkontrolle um Schutz vor Verfolgung.

Dadurch hat X einen Asylantrag gemäß § 17 AsylG gestellt. Aufgrund der Antragsstellung kommt X in den Genuss des Refoulementverbots und genießt einen sogenannten „faktischen Abschiebeschutz“ (§ 12 AsylG). Sie kann erst zurückgewiesen werden, wenn das zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine durchsetzbare Entscheidung erlassen hat. Würde der Erlass vom 27. März 2020 wie oben dargestellt umgesetzt, wäre dies somit auch nach dem geltenden österreichischen Recht eine rechtswidrige Praxis. Darüber hinaus sei angemerkt, dass die Asylkoordination überzeugend ausgeführt hat, dass sich die vollziehenden Beamt*innen wegen Amtsmissbrauchs strafbar machen würden.

Österreich tritt das Asylrecht mit Füßen. In der „Coronakrise“ werden zentrale menschenrechtliche Verpflichtungen wie der Flüchtlingsschutz hintangestellt. Der Schutz vor Verfolgung scheint in solchen Zeiten scheinbar nicht mehr zu zählen. Diese (völker-)rechtswidrige Praxis ist auf das Schärfste zu kritisieren. Flüchtlingsrechte sind nicht verhandelbar und Personen, die um internationalen Schutz in Österreich ansuchen, dürfen keinesfalls an der Grenze zurückgewiesen werden!

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