26. April 2022

Thomas Groß

Der „Tankrabatt“ verstößt gegen Art. 20a GG

Die Energiesteuersenkung konterkariert die Klimaschutzverpflichtungen

Der Verkehrssektor ist das größte Sorgenkind des nationalen Klimaschutzes. Er ist der einzige Bereich, dessen Treibhausgasemissionen in den vergangenen Jahrzehnten kaum vermindert wurden. Zwar sanken die Emissionen des Verkehrs in 2020 durch die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung auf rund 146 Mio. t CO2-Äquivalente. Nach vorläufigen Schätzungen des Umweltbundesamtes (UBA) sind sie aber 2021 wieder auf rund 148 Mio. t CO2-Äquivalente gestiegen. Damit wird das Sektorziel überschritten, das in § 4 Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) i.V.m. Anlage 2 auf 145 Mio. t CO2-Äquivalente festgelegt wurde. Nach den Berechnungen im jüngsten Projektionsbericht der Bundesregierung können die Emissionen des Verkehrs durch die bisher beschlossenen Maßnahmen bis zum Zieljahr 2030 nur auf 126 Mio. t CO2-Äquivalente gesenkt werden, so dass das dafür gesetzlich festgelegte Sektorziel von 85 Mio. t CO2-Äquivalente um fast die Hälfte überschritten würde.

Nun hätte man meinen können, dass die Bundesregierung die seit Monaten steigenden Energiepreise nutzt, um eine Einsparkampagne für den mit fossilen Brennstoffen betriebenen Autoverkehr zu starten, etwa durch ein generelles Tempolimit und eine Strategie zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sowie des Rad- und Fußverkehrs. Auch das mittlerweile weitgehend konsentierte Ziel, von russischen Öllieferungen unabhängig zu werden, hätte dafür gesprochen. Stattdessen hat sich die Koalition im März auf ein Paket verständigt, das als zentralen Bestandteil eine Senkung der Energiesteuern für drei Monate umfasst. Sie wirkt sich praktisch ausschließlich als eine Verbilligung von Benzin und Diesel aus und entlastet damit umso mehr, je größer der Verbrauch ist. In der Begründung des Referentenentwurfs wird eingeräumt, dass die Senkung der Steuersätze zu einem Anstieg des Verbrauchs der fossilen Kraftstoffe führen könnte. Auch die Erhöhung der Pendlerpauschale durch das Steuerentlastungsgesetz 2022 wirkt in die gleiche Richtung, weil sie v.a. Fernpendler mit dem Auto belohnt, formal ist sie aber verkehrsmittelneutral.

Ergänzend soll zwar für drei Monate ein Monatsticket für den ÖPNV eingeführt werden, das nur neun Euro kostet. Da allerdings so schnell keine Angebotsverbesserungen möglich sind, wird es sich um ein Strohfeuer handeln, das in den Ballungszentren zu einer frustrierenden Überlastung von Bahn und Bus führt, während in den ländlichen Bereichen das Angebot oft so schlecht ist, dass ein vergünstigtes Ticket kaum zum Umsteigen anreizen kann. Wenn beide Maßnahmen parallel verwirklicht werden, werden die Verbraucher*innen zudem widersprüchlichen Signalen ausgesetzt, indem das Autofahren und der ÖPNV gleichzeitig verbilligt werden.

Verfassungsrechtlich relevant ist dieser Ansatz der Koalition, weil er aktiv dazu beiträgt, dass die Kosten des fossil betriebenen Autoverkehrs gesenkt werden, so dass er das im KSG vorgegebene Ziel für den Verkehrssektor konterkariert. Vielleicht noch fataler ist das politische Signal, das mit diesen Beschlüssen verbunden ist. Die Bundesregierung macht damit deutlich, dass sie Einschränkungen für die Verbraucher*innen von Benzin und Diesel für unzumutbar hält. Wie will man die Bevölkerung für mehr Klimaschutz gewinnen, wenn ihr die damit verbundenen Belastungen genau dann abgenommen werden, wenn sie zum ersten Mal einen ernsthaften Lenkungseffekt erzielen könnten?

Der mit der Verteilung der Reduktionspflichten auf die Sektoren verfolgte Budgetansatz ist aber ein zentrales Element nicht nur der Umsetzung des Pariser Abkommens, sondern auch Ausdruck einer verbindlichen Vorgabe, die unmittelbar aus Art. 20a GG, dem Staatsziel Umweltschutz, folgt. Aus den internationalen Vereinbarungen zum Klimaschutz ergibt sich die Pflicht jedes Staates, eigene Maßnahmen zu ergreifen, um die Erderwärmung deutlich unter 2° C zu halten, denn es kann nur erreicht werden, wenn alle Staaten tätig werden. Hieraus kann für jeden Staat ein bestimmter Anteil an den noch zulässigen Treibhausgasemissionen abgeleitet werden, die kontinuierlich auf Null reduziert werden müssen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Klimaschutz-Beschluss vom 24. März 2021 ausführlich begründet, dass diese schrittweise Reduktion der Jahresemissionsmengen nicht nur ein geeigneter, sondern auch ein notwendiger Ansatz ist, um vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Gerade die nach Sektoren differenzierte Festlegung von Reduktionsmaßgaben „erzeugt den erforderlichen Planungsdruck, weil nur so erkennbar wird, dass und welche Produkte und Verhaltensweisen im weitesten Sinne schon bald erheblich umzugestalten sind“ (Rn. 254). Deshalb verlangt Art. 20a GG auch, dass der Bundesgesetzgeber zusätzliche Maßnahmen zur schnelleren Reduktion der Emissionen im Verkehrssektor erlässt und nicht das Erreichen dieses Ziels durch eigenes Handeln zusätzlich erschwert. Eine Senkung der Energiesteuer wäre allenfalls dann verfassungskonform, wenn sie gleichzeitig durch andere Maßnahmen flankiert würde, die insgesamt ausreichen, um die notwendige Verringerung der deutschen Gesamtemissionen zu bewirken. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall.

Der aktuelle Vorgang macht deutlich, wo die zentrale Schwachstelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes und damit auch in der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts liegt. Beide legen den Fokus auf die Zielsetzungen und vernachlässigen die Ebene der Maßnahmen. Durch die Festlegung von Zielen wird aber keine einzige Tonne Treibhausgas eingespart. Gerade die Entwicklung im Verkehrssektor zeigt, dass die notwendigen Reduktionen nur durch verbindliche regulative Vorgaben und/oder durch wirksam verhaltenslenkende ökonomische Anreize erzielt werden können. Diese sind nach wie vor unzureichend.

Zwar sieht § 8 KSG vor, dass das zuständige Ministerium bei der Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor ein Sofortprogramm vorlegen muss. Ob und wie dieses verabschiedet wird, bleibt aber allein dem politischen Prozess überlassen. Das ist zwar natürlich der demokratische Normalfall. Wenn aber aus Art. 20a GG (und aus europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz des Klimas) folgt, dass die Treibhausgasemissionen kontinuierlich reduziert werden, kann es gerade nicht im Belieben des Gesetzgebers liegen, ob er dieser Pflicht nachkommt. Es spricht viel dafür, dass das Bundesverfassungsgericht bald Gelegenheit bekommen wird, sich dieser Problematik vertieft zu widmen, weil sich erneut die politischen Kräfte als durchsetzungsfähiger erweisen, die den Klimaschutz bremsen. Andernfalls kann Art. 20a GG endgültig in der Rubrik „totes Verfassungsrecht“ abgelegt werden.

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