Grenzfälle sind ein Test für die Tragfähigkeit juristischer Dogmatik. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die sog. Raser-Fälle, die u.a. zu einer vertieften Befassung mit der Vorsatzlehre veranlasst haben, nicht von den Taten jener, die Straßen blockieren, um mehr Klimaschutz anzumahnen. Die Aktionen der sog. Letzten Generation haben unter anderem eine Debatte um die Grenzen des Nötigungstatbestandes und die Weite des Notwehrrechts angestoßen. Noch bevor sich Gerichte höherer Instanz näher mit dem Verhältnis zwischen Versammlungsfreiheit und Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB befasst haben, begegnet der interessierten Fachöffentlichkeit und vor allem den Mitgliedern der Letzten Generation ein neues Problem: Stellt das Bündnis von Klimaaktivisten eine kriminelle Vereinigung dar, deren Unterstützung strafbar sein könnte?
Um einen Grenzfall handelt es sich dabei zunächst in tatsächlicher Hinsicht. Typischerweise agieren kriminelle Vereinigungen arkan oder verbergen jedenfalls ihre Straftaten hinter legalen Tätigkeiten: Man denke an kleine Unternehmen, die vordergründig einen Geschäftsbetrieb unterhalten, vor allem aber der Geldwäsche dienen, oder an Motorradclubs, deren Mitglieder gelegentlich nicht einmal über eine Fahrerlaubnis verfügen, wohl aber von Einnahmen aus dem Handel mit Betäubungsmittel profitieren. Diejenigen hingegen, die sich auf Straßen festkleben oder anderweitig den Verkehr blockieren, verdecken ihr Verhalten nicht, sondern handeln vor den Augen der Öffentlichkeit; sie stellen sich bereitwillig der Strafverfolgung. Dies auch deshalb, weil ihr Handeln nicht von egoistischen Motiven getragen ist, sondern weil sie sich auf einen altruistischen Zweck berufen: Sie wollen den Gesetzgeber zur Verabschiedung von Gesetzen veranlassen, die der Erreichung völkerrechtlich verbindlicher und verfassungsrechtlich zwingender Ziele dienen. Daher ist es, beiseite gesprochen, auch falsch, ihnen eine Fehlvorstellung von einer repräsentativen, parlamentarischen Demokratie zu unterstellen; vielmehr nutzen sie den öffentlichen Raum, um im politischen Feld Impulse auszulösen, die den Gesetzgeber zum Handeln veranlassen.
Der wesentliche Unterschied zu anderen Interessenvertretungen besteht darin, dass die Letzte Generation diesen Einfluss nicht durch Hintergrundgespräche, (lancierte) Presseartikel oder Gutachten zu nehmen versucht, sondern durch Verkehrsblockaden, die vor allem Nicht-Mitglieder des Deutschen Bundestags treffen und die sich daher – nicht zu Unrecht – als Objekte fühlen, auf deren Rücken die Auseinandersetzungen ausgetragen werden. Ob sie dadurch auch Opfer strafbarer Nötigungen geworden sind, ist noch nicht endgültig ausgemacht. Dies hängt von versammlungsrechtlichen Einzelfragen (Anmeldung, Auflösungszeitpunkt etc.) und den angedeuteten verfassungsrechtlichen Grundfragen ab. Zudem wäre sub specie § 240 StGB zu klären, ob das Festkleben auf der Straße anders zu behandeln ist als beispielsweise das Lahmlegen des Verkehrs durch Fahrten hunderter Lastwagen oder Traktoren durch Berlin oder das „Spazieren“ auf Verkehrsflächen in Dresden.
Obgleich all diese Fragen gegenwärtig offen sind, wird wegen der Gründung von bzw. der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Einige der von § 129 StGB aufgeworfenen Rechtsfragen sind hier und hier bereits angesprochen worden; im Kern dreht sich diese Debatte um die Berücksichtigungsfähigkeit sog. Fernziele. Hinzu kommen jedoch zwei weitere Aspekte. Sie werden bei der Prüfung relevant, ob die Begehung von Straftaten „eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist“ und die Letzte Generation daher gemäß § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB aus dem durch § 129 Abs. 2 StGB sehr weit gefassten Anwendungsbereich auszuscheiden ist. Zum einen ist von Bedeutung, in welchem Verhältnis die tatsächlich strafbaren Taten zu anderen nicht strafbaren Aktionen stehen. Angriffe auf die Pipelines und andere Einrichtungen der kritischen Infrastruktur sind klar strafbar, bislang aber zum Glück vereinzelt geblieben und prägen daher nicht das Erscheinungsbild der Letzten Generation; sie sind auch nicht repräsentativ für ihr Tätigkeitsspektrum. So bleiben im Wesentlichen Verkehrsblockaden, von denen, wie gesagt, abzuwarten bleibt, ob sie auch nach höchstrichterlicher Befassung überwiegend als strafbar einzustufen sind. Selbst wenn aber die Mehrheit der Klebeaktionen als strafbare Nötigung erachtet werden sollte, bliebe zu beachten, dass die strafrechtliche Beurteilung von Verkehrsblockaden nichts daran ändert, dass die Teilnehmer im Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG agiert haben. Nicht das Fernziel, wohl aber die Form, mit der das Ziel angestrebt wird, wäre dann bei einer grundrechtssensiblen Prüfung des § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB zu berücksichtigen. Diese könnte dann zu dem Ergebnis führen, dass das Unrecht insgesamt betrachtet gering und daher die Straftaten von untergeordneter Bedeutung im Verhältnis der Gesamttätigkeit der Letzten Generation sind.
All dies zeigt, dass die Ermittlungen wegen § 129 StGB zu einem sehr frühen Zeitpunkt begonnen haben und auf einer rechtlich alles andere als sicheren Grundlage stehen. Die Strafverfolgungsbehörden manövrieren an der Grenze des Tatbestandes. Dies heißt aber auch, dass alle, die die Letzte Generation als Mitglied unterstützen, sich der Gefahr von Ermittlungsmaßnahmen aussetzen, also an der Grenze dessen agieren, was man sich selbst guten Gewissens zumuten möchte und kann. Schon die Ermittlungen wegen § 129 StGB haben damit eine prohibitive Wirkung. Da die Prüfung des Verdachts in aller Regel viele Monate dauert, haben sie das Potenzial, ausgerechnet jene Personen der bürgerlichen Mitte von der Letzten Generation zu distanzieren, die diese Vereinigung vor einer Radikalisierung bewahren. Damit könnten die Ermittlungsverfahren auch und gerade dann eine fatale Wirkung entfalten, wenn sie letztlich im Sande verlaufen sollten.