26. Januar 2011

Maximilian Steinbeis

Asylrecht: Karlsruhe zieht sich kreativ aus der Affäre

Das europäische Asylrecht liegt in Trümmern, und das nicht erst seit letzten Freitag, als der EGMR seinen Daumen über Dublin II senkte.

Heute hat das Bundesverfassungsgericht in aller Stille sein eigenes Verfahren über die Frage, ob ein an Menschenrechte gebundener Verfassungsstaat Asylbewerber in die Flüchtlingshölle Griechenland abschieben darf, beerdigt. Begründung: Innenminister Thomas De Maizière hatte kürzlich ohnehin, wie vor ihm schon eine Reihe seiner europäischen Amtskollegen, einen Abschiebestopp nach Griechenland verhängt. Damit, so der Zweite Senat, habe das Verfahren seine „allgemeine Bedeutung verloren“:

Die im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen lediglich abstrakt zu klären, ist nicht angezeigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit der Überforderung des Asylsystems eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verbundene transnationale Probleme vornehmlich auf der Ebene der Europäischen Union zu bewältigen sind.

Finde ich ja sehr schön und richtig.

„Erledigung ohne Urteil sachangemessen“

Interessant ist aber ein Satz, den man im Urteil nicht findet, sondern nur in der Pressemitteilung:

Bereits unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung hatte der Senat beim Bundesministerium des Innern angeregt zu prüfen, ob von dem  Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht und damit das Verfahren erledigt werden könnte.

Und weiter im Text:

Da die mit der Überforderung des Asylsystems eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verbundenen transnationalen Probleme vornehmlich auf der Ebene der Europäischen Union zu bewältigen sind, und in Anbetracht der vom Bundesminister des Innern in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargestellten Anstrengungen, Defizite des griechischen Asylsystems in naher Zukunft zu beheben, erschien dem Senat eine Erledigung des Verfahrens ohne Urteil sachangemessen.

Sachangemessen, was?

Werfen wir doch einmal einen Blick in das BVerfGG. Dort heißt es in § 25:

(2) Die Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung ergeht als Urteil, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung als Beschluß.

Von einem Ermessen, aus Sachgründen auch andere Arten der Verfahrensbeendigung herbeizuführen, steht dort nix.

Prozessrechtlich kreativ

Der Senat wollte offenbar kein Urteil fällen. Und deswegen hat man mal beim Bundesminister des Inneren „angeregt“, ob das nicht auch anders geht.

Wieso? Rechtsgrundlage der Abschiebeentscheidung war die Dublin-II-Verordnung, also ein Rechtsakt der Europäischen Union. Das kann man schon verstehen, dass der Senat im Augenblick der Frage, wer da für welche Entscheidung zuständig ist oder nicht, lieber aus dem Weg gehen möchte.

Aber muss das sein, dass er sich stattdessen auf diese mauschelige Weise aus der Affäre zieht?

Nochmal: Ich bin sehr dafür, die Abschiebungen nach Griechenland auszusetzen. Das ist nicht der Punkt.

Der Punkt ist: Mir scheint, dass das BVerfG hier seine eigenen gesetzlichen Prozessgrundlagen auf eine Weise auslegt, die mir – sagen wir mal – ziemlich kreativ vorkommt.

Oder hab ich da was falsch verstanden?

Foto: Tom Peck (threadedthoughts), Flickr Creative Commons

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