Articles for author: Christoph Möllers

Parlamentarische Verfassungskontrolle: Von Schweden lernen

In der letzten Woche waren Mitglieder des schwedischen Verfassungskomitees zu einem kurzen Besuch in Berlin. Sie sprachen mit Abgeordneten des Bundestages, Parteien und Wissenschaftlern, vornehmlich über die parlamentarische und die verfassungsgerichtlichen Kontrollen des politischen Handelns in der Bundesrepublik. Ihr besonderes Interesse galt der Beteiligung der Verfassungsorgane des Bundes an der europäischen Integration. Das Schwedische Verfassungskomitee ist ein Ausschuss des schwedischen Parlaments, des Reichstags. Als solcher hat er die Aufgabe, das Handeln der Regierung und des Gesetzgebers auf seine Vereinbarkeit mit der schwedischen Verfassung und anderen Regeln zu überprüfen. Traditionell ist dies in Schweden – wie auch in anderen nordischen Ländern, ... continue reading

„Wir stehen vor Jahrzehnten der institutionellen Schizophrenie“

Wenn Du die Augen schließt und an Europa 2023 denkst, was siehst Du vor Dir? Ich sehe das vor mir, was ich jetzt sehe. Die europäische Integration verläuft meist unsichtbar und inkremental, ihr Fortschritt ist oft schwer erkennbar, und erst wenn man größere Zeiträume in den Blick nimmt, sieht man, dass sich ganz viel verändert hat. Es gibt da ein Auseinanderfallen zwischen der Befindlichkeit des Wartens auf den großen Knall, des Unbehagens an der Langsamkeit, der mangelnden Dramatik des Prozesses auf der einen Seite, während auf der anderen Seite die Mühle immer weiter mahlt. Ich sehe also im Grunde das ... continue reading

Der Episkopat und das Grundgesetz

Laut einer Meldung der Katholischen Nachrichtenagentur wendet sich der Vorsitzende der Familienkommission der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Tebartz van Elst, gegen die Ausweitung des Ehegattensplittings auf homosexuelle Lebensgemeinschaften. «Aufgrund der besonderen Bedeutung der Ehe ist es sinnvoll und der staatlichen Gemeinschaft selbst förderlich, wenn der Staat Ehe und Familie besonders schützt und fördert» wird der Bischof zitiert. Die Meldung fährt fort: „Nach katholischem Verständnis sei die Ehe ein «Bund zwischen Mann und Frau in gegenseitiger Verantwortung, der für die Weitergabe des Lebens offen ist», so der Bischof. Das Grundgesetz stelle die Ehe deshalb unter besonderen Schutz. Daraus ergäben sich ... continue reading

Die Euro-Verfassung und die Ewigkeitsklausel in Karlsruhe, Teil II: Stabilisierungsmechanismus

Leider hat es etwas länger mit Teil II gedauert. In der Zwischenzeit ist der Autor, gemeinsam mit Martin Nettesheim aus Tübingen, zum Prozessvertreter des Deutschen Bundestages im Verfahren bestellt worden. Er muss sich also um Objektivität bemühen, die Leser seien in jedem Fall zu besonders misstrauischem Lesen ermuntert. Der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) dürfte den Befürchtungen des Zweiten Senats aus zwei Gründen zumindest näher kommen als der Fiskalvertrag: zum Ersten, weil es in ihm um die Verteilung immenser Mittel geht, welche die Handlungsfähigkeit des Bundes wesentlich einschränken könnte – eben nicht wie im Fiskalvertrag um deren Einsparung, die zumindest langfristig neue ... continue reading

Die Euro-Verfassung und die Ewigkeitsklausel in Karlsruhe, Teil I: Fiskalvertrag

Der Europäische Stabilitäts-Mechanismus und der Fiskalvertrag, dies ist nun zumindest halbamtlich, werden Gegenstand von Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Sollten beide eine verfassungsändernde Zustimmungsmehrheit erhalten, wird das juristische Hauptproblem auf der Bedeutung von Art. 79 Abs. 3 GG iVm Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG liegen: Verstoßen beide oder einer von beiden gegen den unabänderlichen Kern des grundgesetzlichen Demokratieprinzips? Nach den Ausführungen des Gerichts in seiner ersten Entscheidung zur Euro-Rettung versteht sich eine Antwort nicht von selbst. Trotzdem – und wohl wissend, dass ein Blog eine juristische Begründung nicht ersetzen kann – scheinen mir die besseren Gründe dafür zu sprechen, ... continue reading

Zweierlei Staatsoberhaupt

Zwei Ereignisse, der Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Israel und das Thronjubiläum der Königin von England, geben Anlass über die Funktion von Staatsoberhäuptern nachzudenken, einer Funktion, die ja nicht selten (zumal angesichts hiesiger präsidialer Malaisen) in Frage gestellt wird. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Nicht nur können Staatsoberhäupter auch heute noch eine Funktion erfüllen, sie können auch ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen – und gerade letztere, nur historisch oder vergleichend zu gewinnende Einsicht sollte uns vor zu allgemeinen Thesen über die Nutzlosigkeit dieses oder anderer Ämter warnen. Das Thronjubiläum bot dem Vereinigten Königreich die Gelegenheit, sich als Nation in einem großen klassenlosen allgemeinen ... continue reading

Rätsel des Fiskalpakts

Die Bundesregierung vertritt zwei Ansichten zum Fiskalpakt. Mir scheint, dass sie sich widerspechen: Zum einen bedürfe dieser der Zustimmung einer verfassungsändernden Zwei-Drittel-Mehrheit. Zum anderen gelte dieser auf ewig und sei unkündbar. Einmal offen lassend, ob letzteres stimmt (es erscheint zweifelhaft und wir reden auch sonst bei völkerrechtlichen Verträgen nicht von „Ewigkeit“), es könnte doch nur richtig sein, wenn ersteres falsch wäre. Denn das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit kann sich, soweit ich sehe, nur aus Art. 23 Abs. 1 S. 3, 2. Alt. GG ergeben. Um dessen Anwendbarkeit zu rechtfertigen, müssen wir das zwischen Völkerrecht und Europarecht stehende Gebilde des Fiskalpaktes auf ... continue reading

Verfassungsrecht in Paris

Zwei Wochen konnte ich als Professeur Invité das Institut Michel Villey der Université Paris II – Panthéon-Assas besuchen. Die Rechtswissenschaften spielen in Frankreich vielleicht die Rolle, vor der uns Anhänger der deutschen Staatsprüfung immer warnen: ein kleineres Fach, das keine politischen Karrieren generiert, mit weniger praktischem Gewicht. Nun, mir gefällt gerade dies sehr gut: eine wirklich akademische Disziplin, in welcher die Rechtsgeschichte, die Verfassungstheorie und Rechtsvergleichung eine größere Rolle spielen, ohne dass das Ganze weltfremd würde. Die Doktorarbeien sind rein wissenschaftliche Angelegenheit und im Schnitt von höherem Niveau als bei uns. Natürlich gibt es auch in Frankreich wie überall sonst ... continue reading

Braucht der Fiskalpakt wirklich eine Zweidrittelmehrheit?

Aus dem Deutschen Bundestag hört man, dass der neue Fiskalpakt mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden solle. Eine kurze Überlegung dazu, warum dies geboten sein könnte, wirft auch ein bezeichnendes Blick auf die juristischen Konjunkturen der europäischen Integration. Grundsätzlich sollen völkerrechtliche Verpflichtungen einer bestimmten Wertigkeit durch ein parlamentarisches Zustimmungsgesetz verbindlich gemacht werden, so schreibt es Art. 59 Abs. 2 GG vor. Wenn die internationale Verpflichtung die Verfassung ändert, so könnte man meinen, müsste auch ein verfassungsänderndes Parlamentsgesetz mit qualifizierter Mehrheit entsprechend Art. 79 Abs. 2 GG beschlossen werden. Dieser Schluss ist aber keineswegs zwingend. Schließlich werden in diesem Fall auch andere ... continue reading

Überwachte Bundestagsabgeordnete

Ist die Empörung um die Überwachung von Bundestagsabgeordneten der Linkspartei durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder berechtigt? Ich denke, ja. Zwar gibt es eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Juli 2010 (6 C 22.09) , die die Überwachung des damaligen Abgeordneten Bodo Ramelow für zulässig erklärte. Das überraschende Urteil hob die zwei Vorinstanzen auf und schien nach Eindruck von Beteiligten auch innerhalb des erkennenden Senats sehr umstritten zu sein. Die Begründung ist zudem schwach, insbesondere gelang es dem Gericht nicht, einen spezifischen Maßstab für die Überwachung von Abgeordneten zu entwickeln (wer mehr wissen will: Anmerkung bei Möllers, JZ ... continue reading