Articles for author: Daniel Thym

Wer kontrolliert den digitalen Frankenstein? Die Zukunft der Vorratsdatenspeicherung

Internet und Mobiltelefon sind Symbole unserer Zeit. Von daher überrascht es nicht, dass die Vorratsdatenspeicherung für das rechtspolitische Selbstverständnis der Gegenwart ungefähr dieselbe Bedeutung besitzt wie die Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch vor 30 Jahren. Dies erklärt die mediale Aufmerksamkeit, als Generalanwalt Cruz Villalón die EU-Richtlinie als Grundrechtsverstoß einstufte. Diesem Ergebnis dürfte sich alsbald auch der EuGH anschließen, nachdem bei der mündlichen Verhandlung im Juli bereits deutlich geworden war, dass die Große Kammer die Vorratsdatenspeicherung überaus kritisch beurteilt. Das Endergebnis in Luxemburg könnte mithin dasselbe sein wie beim Generalanwalt und zuvor beim BVerfG: Ein kraftvolles „Ja-Aber“, das den EU-Gesetzgeber zur Nachbesserung auffordert und diesem konkret vorschreibt, die Zugriffsvoraussetzungen restriktiv auszugestalten.

Who Controls the Digital Frankenstein? The Future of the Data Retention Directive

The internet and smartphones are symbols of our times. They define the self-perception of this generation in quite a similar way as debates about abortion did some thirty years ago. Hence the media attention when Advocate General Cruz Villalón found last Thursday that the Data Retention Directive violates the EU Charter of Fundamental Rights – a conclusion which the Court of Justice (ECJ) will confirm in all likelihood, considering the critical comments of the judges at the oral hearing in July. Thus, the final outcome in Luxembourg might confirm the recent position of the Advocate General (AG) and earlier findings of the German Federal Constitutional Court (FCC): a conditional yes with various distinctive strings attached, which effectively oblige the EU legislator to revisit the original compromise and to lay down strict conditions for the access to and the use of retained data.

Germany’s Domestic „Königstein Quota System“ and EU asylum policy

Nach der Tragödie von Lampedusa wird über die Verteilung von Flüchtlingen in der EU gestritten. Wie sähe diese aus, wenn sie nach dem gleichen Schlüssel wie in Deutschland organisiert wäre? Daniel Thym, Caroline Beverungen und Sigrid Gies haben errechnet, wie dies die Lastenverteilung verändern würde - mit überraschendem Ergebnis: Es sind keineswegs nur die Grenzstaaten im Süden und Osten der Union, die die Hauptlast tragen, sondern gerade auch Länder wie Belgien oder Schweden, die über tausend Kilometer von Lampedusa entfernt liegen. Länder wie Malta und Zypern sind sicherlich überlastet, umgekehrt gibt es jedoch in den meisten osteuropäischen Staaten sowie Italien und Spanien relativ wenig Asylanträge.

Ein „Königsteiner Schlüssel“ für die EU-Flüchtlingspolitik

Nach der Tragödie von Lampedusa wird über die Verteilung von Flüchtlingen in der EU gestritten. Wie sähe diese aus, wenn sie nach dem gleichen Schlüssel wie in Deutschland organisiert wäre? Daniel Thym, Caroline Beverungen und Sigrid Gies haben errechnet, wie dies die Lastenverteilung verändern würde - mit überraschendem Ergebnis: Es sind keineswegs nur die Grenzstaaten im Süden und Osten der Union, die die Hauptlast tragen, sondern gerade auch Länder wie Belgien oder Schweden, die über tausend Kilometer von Lampedusa entfernt liegen. Länder wie Malta und Zypern sind sicherlich überlastet, umgekehrt gibt es jedoch in den meisten osteuropäischen Staaten sowie Italien und Spanien relativ wenig Asylanträge.

A Trojan Horse? Challenges to the Primacy of EU Law in the Draft Agreement on Accession to the ECHR

The negotiations for a draft agreement on the accession of the EU to the ECHR was quite successful – and yet the draft provokes a couple of questions, bringing us back to the original challenges to the primacy of Union law, which the CJEU has always been eager to deter. It might do so again: just before the summer recess, the European Commission referred the matter to the CJEU in Luxembourg, in Opinion 2/13 whether the Draft Accession Agreement falls foul of the EU Treaties.

Ein trojanisches Pferd? Der Vorrang des Unionsrechts im Lichte des Beitrittsübereinkommens der EU zur EMRK

Der Entwurf für den Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Aus EU-Sicht verliefen die Verhandlungen durchaus erfolgreich – und dennoch wirft der Vertragsentwurf eine Reihe von Fragen hinsichtlich des Vorrangs des Unionsrechts auf. Eben diese Fragen wird der EuGH alsbald zu beantworten haben: vor der Sommerpause verwies die EU-Kommission den Beitrittsentwurf nach Luxemburg, auf dass dieser im Gutachten 2/13 über die Vertragskonformität entscheide. Nach den EU-Verträgen dürfen völkerrechtliche Verträge, wie derjenige über den EMRK-Beitritt, nämlich nur in Kraft treten, wenn Sie mit den EU-Gründungsverträgen der vereinbar sind.

Demnächst in Karlsruhe: die EZB vor Gericht

Im Fußball hat Karlsruhe nach einer tollen Siegesserie derzeit gute Chancen für einen Aufstieg in die Zweitklassigkeit. Unter den Verfassungsgerichten spielt Karlsruhe längst in der Königsklasse. Karlsruher Urteile  zur EU-Integration werden auf dem ganzen Kontinent gelesen. Aus diesem Grund dürfte auch die Pressemitteilung vom Freitag in vielen Hauptstädten registriert worden sein. Vor allem jedoch die EZB dürfte aufgehorcht haben. Nach der Verhandlungsgliederung, die das BVerfG veröffentlichte, wird nämlich das Verhalten der scheuen Zentralbanker im Zentrum der mündlichen Verhandlung zur Euro-Rettung stehen. Dies wird weltweit Beachtung finden, zumal Karlsruhe gewiss Platz für die internationalen Medien vorhalten wird (auch wenn die „Akkreditierungsbedingungen“ ... continue reading

Von Karlsruhe nach Bückeburg – auf dem Weg zur europäischen Grundrechtsgemeinschaft

Es gibt Urteile, deren Tenor ist ein Paukenschlag – und es gibt Entscheidungen, die eher leise daherkommen und dennoch tektonische Machtverschiebungen bewirken. Den Anlass für ein solches Urteil bot die Steuerhinterziehung eines schwedischen Fischers, der in den nördlichen Ausläufern der Ostsee tätig ist. In der Rechtssache Åkerberg Fransson verschiebt der EuGH das Machtgefüge im Verfassungsgerichtsverbund. Ein Verlierer ist schnell ausgemacht: Das stolze BVerfG wird den Eigenstand der bundesrepublikanischen Grundrechtsordnung nicht mehr lange durchhalten können. Ein Besuch in Bückeburg mag den Karlsruher Richtern einen Vorgeschmack auf die künftige Rolle bieten; der dortige Niedersächsische Staatsgerichtshof sammelt seit Jahrzehnten Erfahrungen mit einer Verfassungsjudikatur ... continue reading

Des Kaisers neue Kleider

Die Diskussion der vergangenen Wochen hatte etwas Unwirkliches. Die globalen Finanzmärkte zeigten schonungslos die Konstruktionsschwächen der Währungsunion – und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit schauen gebannt nach Karlsruhe. Die dortigen Verfassungsrichter sollten mit juristischen Methoden die Euro-Rettung in geordnete Bahnen lenken. Diese Erwartung an die obersten Juristen des deutschen Nationalstaats konnte nur enttäuscht werden. Nun trägt das BVerfG gewiss keine Verantwortung für den übersteigerten Medienhype (etwa: Meinungsumfragen zum Entscheidungsausgang). Ganz schuldlos ist der zweite Senat dennoch nicht. Ganz bewusst nährten die Richter in den vergangenen Jahren die Erwartung, dass die Interpretation der Volkssouveränität eine Schlüsselfrage der Euro-Rettung sei. Es ist ... continue reading

Rescue Package for Fundamental Rights: Comments by DANIEL THYM

The parallels between the emergency rescue operations for the Euro and the fundamental rights intervention of the ECJ in Hungary are evident: both cases reveal structural shortcomings of the EU Treaties and the advocates of „more Europe“ support enhanced supranational supervision and control. This return to the method of integration of the 1970s is risky. The shortcomings of the EU Treaties are obvious. The creation of the Euro has not been accompanied by a common EU economic policy and EU fundamental rights are characterized by  asymmetry. It is unconvincing that the EU scrutinises the human rights compliance of accession candidates ... continue reading