Articles for author: Yannik Breuer

Full House in Karlsruhe

Gestern begann die mit Spannung erwartete mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition. Zwei Tage verhandelt der Zweite Senat über die Frage, ob die Einführung der Zweitstimmendeckung und der Wegfall der Grundmandatsklausel mit dem Grundgesetz vereinbar sind oder nicht. Viel Prominenz aus Politik und deutscher Staatsrechtlehre sorgen für – so hat es Vizepräsidentin Doris König ausgedrückt – „Full House“ in Karlsruhe. Nach einem humorvollen Auftakt dürften die Beteiligten versuchen, am heutigen zweiten Tag ihre Asse auszuspielen.

Zwischen Komplexität und Klarheit

Am vergangenen Mittwoch verkündete der Zweite Senat des BVerfG sein Urteil zur „kleinen“ Wahlrechtsreform aus dem Jahre 2020. In der mündlichen Verhandlung im April wurde die Frage aufgeworfen, wie verständlich das Wahlrecht sein muss. Nun folgt die Antwort: Wenn es nach der Senatsmehrheit geht, braucht der Wähler wohl nur die Wahlhandlung, nicht aber die Ergebnisermittlung zu verstehen. Damit bleibt die „kleine Revolution“ im Wahlrecht zwar vorerst aus, doch das energisch widersprechende Sondervotum dürfte die wissenschaftliche Diskussion befeuern.

Das Ende der Linksfraktion, nur wann?

Sahra Wagenknecht und weitere neun Abgeordnete der Fraktion „Die Linke im Bundestag“ sind am Montag aus der Partei „Die Linke“ ausgetreten. Dennoch möchten sie vorerst Mitglied ihrer Bundestagsfraktion bleiben. Auf den ersten Blick scheint das Fraktionsende bis auf Weiteres aufgeschoben, weil die nun ausgetretenen Parteilosen noch keiner konkurrierenden Partei angehören. Doch auf den zweiten Blick könnte das Gebot der politischen Homogenität einer Fraktion das Ende der Linksfraktion schon jetzt besiegeln: Dürfte der Bundestag der Linksfraktion den Fraktionsstatus aberkennen? Oder hat die Fraktion ihren Rechtsstatus bereits am Montag automatisch verloren?

Bayerische Bedrängnis

Erdbeben im bayerischen Landtagswahlkampf: Die Causa Aiwanger, ausgelöst durch die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung, und sein Umgang damit sorgen für zahlreiche Rücktritts- bzw. Entlassungsforderungen. Während ein freiwilliger Rücktritt jederzeit möglich ist, dürften auf den ersten Blick auch die Hürden für eine Entlassung überwindbar sein. Doch die politischen Auswirkungen einer Entlassung gegen den Willen der Freien Wähler könnten auf den zweiten Blick bisher wenig beachtete rechtliche Folgen für die bayerische Staatsregierung bedeuten: Wer übernimmt dann die bisherigen Ministerämter der Freien Wähler? Müsste Markus Söder zurücktreten?

Berlin hat gewählt, doch der Senat regiert weiter

Nachdem der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin am 16. November 2022 die Wahl zum 19. Abgeordnetenhaus vom 26. September 2021 für ungültig erklärt hatte, durften die Berliner Wahlberechtigten am vergangenen Sonntag erneut wählen. Auf den ersten Blick lief der Wahlabend für Franziska Giffey und ihre Berliner SPD alles andere als gut: Das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten bedeutet Platz 2 hinter der CDU und nur etwa hundert Stimmen vor den Grünen. Zwar haben sich damit die Kräfteverhältnisse innerhalb der regierenden rot-grün-roten Koalition verändert, doch eine parlamentarische Mehrheit hat das Bündnis behalten. Auf den zweiten Blick könnte sowohl der besondere Charakter der Wiederholungswahl als auch die Eigenart des sogenannten „ewigen Senats“ die Regierende Bürgermeisterin vor dem Machtverlust bewahren.