Articles for author: Tim Wihl

Die Renten- als Demokratiedebatte

Am Freitag hat der französische Verfassungsrat die Rentennovelle der Borne-Regierung im Wesentlichen nach präventiver Normenkontrolle bestätigt und die Initiative der linken Opposition zu einem Referendum („RIP“) über das Rentenalter verworfen. Die Entscheidungen sind juristisch so erwart- wie politisch kritisierbar und werfen mehrere grundsätzliche Fragen auf, die die Zukunft der französischen konstitutionellen Demokratie betreffen.

Zur Nichtigkeit des Berliner Mietendeckels

Das Bundesverfassungsgericht hat zum Berliner Mietendeckel gesprochen, und zwar in Gestalt des Zweiten Senats, dessen Zuständigkeit wohl durch das Überwiegen der kompetenzrechtlichen Frage gegeben war. Berichterstatter war der frühere CDU-Minister Peter Huber; es handelte sich vorwiegend um eine abstrakte Normenkontrolle, die die Fraktionen der Union und FDP angestrengt hatten. Die Entscheidung ist überraschend klar und eindeutig ausgefallen (7:1 in der Begründung, einstimmig im Ergebnis). Darin liegt ein Problem. Abermals fällt ein tiefer Schatten auf die Judikatur des Zweiten Senats, der sich in immer deutlicherer Weise als politökonomisch uninformiert und naiv erweist, in juristischer Hinsicht als handwerklich schwach.

Noch eine Chance für die Sozialdemokratie?

Die Neue Linke, der man den hier zu feiernden Ulrich K. Preuß zurechnen kann, war immer ein sowohl soziales als auch kulturelles Projekt. Gleiches gilt für die enorme innere Vielfalt der Frauenbewegung. Oder das Problem des (Inter-)Nationalismus, eine besonders scharfe Variante von Verteilungspolitik. Denn die kulturell-zivilisatorisch stets wünschenswerte Weitung des Blicks erfordert keine Freihandelspolitik (liberal), sondern den Streit darum. Wie soll die Nord-Süd-Politik aussehen? Benötigen wir heute eine Präferenz für den Süden? Erst recht gilt für die Umweltpolitik als absolut prioritäre Querschnittsfrage unserer Zeit, als Frage des menschlichen Überlebens in den nächsten 50-100 Jahren: Sie war, ist und wird immer mehr nicht zuletzt – eine Verteilungsfrage.

Das Ende des Hufeisens

Es ist viel zu früh, um die Ereignisse in diesem Thüringer und deutschen Winter abschließend zu bewerten. Nicht zu früh ist es dafür, einige falsche Gewissheiten endgültig zu verabschieden. Die erste ist parteipolitischer Art, die zweite demokratie- und staatspolitischer Natur. Jedenfalls die zweite hat weitreichende juristische Implikationen.

Macrons Revolte

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich den teils gewalttätigen Protesten der Gilets jaunes, der Gelbwesten, gebeugt und am Montagabend ein Paket sozialer Umverteilungsmaßnahmen im Umfang von etwa 10 Mrd. Euro angekündigt. Ob das ausreicht, um den Frieden in der französischen Gesellschaft wieder herzustellen, ist fraglich. Zu vielfältig sind die Ursachen für den Aufstand - ökonomisch, politisch und institutionell.

Von Diensten und Pflichten

Wenige Gespensterdebatten tauchen in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit so regelmäßig auf wie die allgemeine Dienstpflicht für junge Erwachsene, derzeit im Zeichen des Rechtsextremismus, Pflegekräftemangels und der demographischen Alterung. Dabei kommt in der Diskussion ein höchst legitimes Unbehagen an Entsolidarisierung in der Marktgesellschaft zum Ausdruck, das sich aber ein voreiliges Ventil verschafft, statt zu den Gründen der Misere vorzustoßen. Dass die allgemeine Dienstpflicht unter dem geltenden Grundgesetz rechtlich nicht zulässig, im Wege der Verfassungsänderung aber möglich wäre, ist daher das geringere Problem einer politisch befremdlichen Debatte.