Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am Mittwoch, dem 24. September, unter dem Vorsitz von US-Präsident Barack Obama die Resolution zu ausländischen Terrorkämpfern angenommen. Es handelt sich dabei nicht nur um eine politische Erklärung auf höchster politischer Ebene, sondern um eine „legislative“ Resolution mit „Zähnen“, beschlossen unter Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen und nach Art. 103 der Charta mit Vorrang im Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen ausgestattet.
Dieser Blogpost argumentiert, dass die Resolution einen gigantischen Rückschlag im UN-Terrorbekämpfungsregime darstellt, vergleichbar mit der Sicherheitsratsresolution 1373, die unmittelbar nach den fürchterlichen Terroranschlägen vom 11. September 2001 beschlossen wurde. Sie macht den über 13 lange Jahre Stück für Stück erzielten Fortschritt bei der Einführung von Menschenrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit in die hoch problematische Art, mit der der Sicherheitsrat seine supranationale Hoheitsgewalt ausübt, zunichte.
Als die UN-Charta 1945 angenommen wurde, schuf sie eine sorgfältig austarierte Balance zwischen den Zuständigkeiten der verschiedenen UN-Organe, vor allem zwischen der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat. Während die Generalversammlung die Entwicklung des Völkerrechts repräsentiert, die Annahme neuer rechtsverbindlicher Verträge, herkömmliche Wege der Entscheidungsfindung in internationalen Organisationen und dementsprechend Respekt vor der souveränen Gleichheit der Staaten, ist der Sicherheitsrat zuständig, sich um Bedrohungen gegen den internationalen Frieden und die Sicherheit zu kümmern, durch politisches Handeln einer kleinen Zahl von Staaten, eingeschlossen die fünf Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, und, wenn nötig, durch supranationale Durchsetzung. Die rechtsprechende Gewalt wurde dem Internationalen Gerichtshof anvertraut, mit der Autorität zur Streitschlichtung zwischen Staaten in umstrittenen Fällen.
Dann kamen Osama bin Laden, Al-Qaida und der 11. September. Der internationale Terrorismus wurde vom Sicherheitsrat als Bedrohung von Frieden und Sicherheit identifiziert, und der Sicherheitsrat nahm für sich selbst sowohl „legislative“ als auch „judikative“ Gewalt in Anspruch. Die beiden Schlüsselmomente waren die Resolutionen Nr. 1373 vom September 2001, die den Mitgliedsstaaten im Kampf gegen den Terrorismus rechtliche Verpflichtungen auferlegte, und Nr. 1390, die Anfang 2002 die früheren, zeitlich begrenzten Smart Sanctions gegen die Talibanführung in Afghanistan in eine dauerhafte weltweite Liste von Al-Qaida- und Taliban-Terroristen ausweitete.
Als erster UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Kampf gegen den internationalen Terror (2005-2011) hatte ich die Position eingenommen, dass der Sicherheitsrat jenseits seiner Zuständigkeiten nach der UN-Charta handelt. Der Grund war, dass die Smart-Sanctions-Mechanismen der Resolution Nr. 1267 umgewandelt worden waren, vor allem durch die Resolution Nr. 1390, in ein dauerhaftes Regime dauerhafter Sanktionen gegen Einzelne und Organisationen, ohne geografische und zeitliche Grenzen und die Grundlage für Sanktionen liefernd, die in ihrer Schwere dem Strafrecht entsprechen. Der Grund war außerdem, dass das Regime der Resolution Nr. 1373 als Rechtsbasis für UN-Aktionen herhielt, die zeitlich weit über die Krisensituation nach dem 11. September hinausgriffen. Den Hergang dieser Geschichte erzählt und dokumentiert Lisa Ginsborg in ihrer im Juni 2014 am EUI angenommen Dissertation „The New Face of the Security Council since 9/11: Global Counter-Terrorism, Human Rights and International Law„.
Die neue Sioherheitsratsresolution identifiziert im ersten Absatz der Präambel (PP1)als eine der ernstesten Bedrohungen für internationalen Frieden und Sicherheit “terrorism in all forms and manifestations”—nicht nur internationalen Terrorismus oder spezielle Formen davon. Sie legt allen Mitgliedsstaaten weitreichende neue Rechtspflichten auf, ohne sich irgendeine Mühe zu geben, die Kategorien von Personen zu definieren oder zu begrenzen, die von einem einzelnen Staat als „Terroristen“ identifiziert werden könnten. Dieser Ansatz birgt ein enormes Missbrauchsrisiko, da verschiedene Staaten dafür berüchtigt sich, weite, vage und missbräuchliche Definitionen von Terrorismus zu verwenden, oftmals mit klaren politischen oder unterdrückerischen Motiven.
Die alarmierendste Passage in der Resolution ist ihr Absatz 6 (OP6):
“6. Recalls its decision, in resolution 1373 (2001), that all Member States shall ensure that any person who participates in the financing, planning, preparation or perpetration of terrorist acts or in supporting terrorist acts is brought to justice, and decides that all States shall ensure that their domestic laws and regulations establish serious criminal offenses sufficient to provide the ability to prosecute and to penalize in a manner duly reflecting the seriousness of the offense:
a) their nationals who travel or attempt to travel to a State other than their States of residence or nationality, and other individuals who travel or attempt to travel from their territories to a State other than their States of residence or nationality, for the purpose of the perpetration, planning, or preparation of, or participation in, terrorist acts, or the providing or receiving of terrorist training;
b) the wilful provision or collection, by any means, directly or indirectly, of funds by their nationals or in their territories with the intention that the funds should be used, or in the knowledge that they are to be used, in order to finance the travel of individuals who travel to a State other than their States of residence or nationality for the purpose of the perpetration, planning, or preparation of, or participation in, terrorist acts or the providing or receiving of terrorist training; and,c) the wilful organization, or other facilitation, including acts of recruitment, by their nationals or in their territories, of the travel of individuals who travel to a State other than their States of residence or nationality for the purpose of the perpetration, planning, or preparation of, or participation in, terrorist acts or the providing or receiving of terrorist training”
Diese Norm ist zwar schwer vom Sicherheitsrat selbst durchzusetzen und stellt daher auf UN-Ebene eine hauptsächlich symbolische Panikreaktion dar. Sie stattet aber repressive Regimes mit einem praktischen Werkzeug aus, die alles als „Terrorismus“ stigmatisieren wollen, was sie nicht mögen – ob das die politische Opposition ist, Gewerkschaften, Glaubensgemeinschaften, Minderheiten oder Ureinwohnergruppen usw.. Angenommen ein Land verwendet eine Terrorismusdefinition, die organisierte, gewaltfreie Kampagnen von Ureinwohnergruppen für mehr Selbstbestimmung einschließt – die Kriminalisierung von Trainingsmaßnahmen, um diese Gruppen etwa im Bereich der Menschenrechte auszubilden, könnte dann durch OP6 legitimiert werden. Das repressive Regime könnte sich auf seine Pflichten aus der UN-Charta stützen, um ein hartes Durchgreifen gegen Reisen, Training und Finanzierung von Organisationen und Bewegungen zu rechtfertigen, die man als Bedrohung für das Unterdrückungsregime selbst darstellt – sogar wenn sie völlig gewaltfrei sind.
Die Situation der Uighuren in China oder die Behinderungen, die kürzlich die Führungspersonen von Ureinwohnergruppen aus Russland erleben musste, als sie nach New York zur Weltkonferenz indigener Völker reisen wollten, zeigen, dass das besagte Szenario absolut realistisch ist.
Es gibt noch andere Probleme mit dem Resolutionsentwurf, darunter:
- das Fehlen jeder Erwähnung der Menschenrechte in PP5;
- die Wiederholung der falschen Implikation in PP19, dass der Missbrauch des Flüchtlingsstatus eine reale Terrorgefahr darstellt;
- die Auferlegung einer Pflicht in OP9, Passagiernamensdaten auszutauschen, ohne jegliche Sicherungsmaßnahme; sowie
- das Versäumnis, die zuerst in der Resolution 1822 entwickelten Idee fortzuführen und auszubauen, dass die Vereinten Nationen selbst die Menschenrechte im Kampf gegen den Terror achten müssen.
Was die neue Resolution zu einem ernsten, in Panik beschlossenen Rückschlag macht, ist die Kombination von OP1 und PP6. Die Resolution muss korrigiert werden, indem :
- die identifizierte Bedrohung für Frieden und Sicherheit auf den internationalen Terrorismus oder besondere Formen desselben begrenzt wird;
- in jedem Absatz sorgfältig erwogen wird, ob die Maßnahmen in ihrem Geltungsbereich beschränkt werden können, so dass sie nur in Bezug auf Individuen und Organisationen in Verbindung mit Al-Qaida gelten; und
- die Möglichkeit missbräuchlicher Anwendung durch einzelne Staaten eingeschränkt wird, indem eine Definition der konstitutiven Elemente des internationalen Terrorismus, die legitimerweise Gegenstand von UN-Aktionen sind, eingefügt wird.
Die letztgenannte Korrektur könnte vorgenommen werden, indem man OP3 der Resolution Nr. 1566 aus dem Jahr 2004 einfügt, ein wichtiger Schritt in der Entschärfung der Konsequenzen der Post-9/11-Panik. Das Versäumnis, eine solche Norm einzufügen, ist der klarste Beweis, dass wir es jetzt mit einem Rückschlag zu tun haben, der in Panik durchgesetzt wurde. Resolution Nr. 1566 mag keine perfekte Definition des Terrorismus sein, aber es ist nichtsdestotrotz das Beste, was der Sicherheitsrat in dieser Sache hervorgebracht hat, und es ist in der Lage, Missbrauch zu verhindern, da der Sicherheitsrat die Mitgliedsstaaten nur zum Kampf gegen solche Formen des internationalen Terrorismus verpflichten kann, die unter anderem tödliche oder anderweitige physische Gewalt gegen Menschen einschließen und in internationale Abkommen und Protokolle zu spezifischen Formen des Terrorismus aufgenommen wurden. Alles in allen müssen nach OP3 der Resolution Nr. 1566 drei Bedingungen kumulativ erfüllt sein, damit internationaler Terrorismus vorliegt:
“[1] criminal acts, including against civilians, committed with the intent to cause death or serious bodily injury, or taking of hostages, [2] with the purpose to provoke a state of terror in the general public or in a group of persons or particular persons, intimidate a population or compel a government or an international organization to do or to abstain from doing any act, [3] which constitute offences within the scope of and as defined in the international conventions and protocols relating to terrorism.”
Das sollte besser früher als später korrigiert werden. Die Resolution Nr. 1373 hat eine Menge fortlaufender Korrekturen erfordert und wurde nie wirklich gut. Warum müssen wir das jetzt schon wieder erleben?
Dieser Artikel ist zuvor auf JustSecurity.org erschienen. Übersetzung aus dem Englischen: Maximilian Steinbeis.