26. Januar 2012

Christoph Möllers

Überwachte Bundestagsabgeordnete

Ist die Empörung um die Überwachung von Bundestagsabgeordneten der Linkspartei durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder berechtigt? Ich denke, ja. Zwar gibt es eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Juli 2010 (6 C 22.09) , die die Überwachung des damaligen Abgeordneten Bodo Ramelow für zulässig erklärte. Das überraschende Urteil hob die zwei Vorinstanzen auf und schien nach Eindruck von Beteiligten auch innerhalb des erkennenden Senats sehr umstritten zu sein. Die Begründung ist zudem schwach, insbesondere gelang es dem Gericht nicht, einen spezifischen Maßstab für die Überwachung von Abgeordneten zu entwickeln (wer mehr wissen will: Anmerkung bei Möllers, JZ 2010, 668-673). Außerdem betrifft die Entscheidung nicht die Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, wie sie nun von Landesbehörden eingeräumt wurde.

Wenn das Parlament die Exekutive unter den Bedingungen eines freien Mandats, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG,  kontrollieren soll, dann dürfen seine Abgeordneten allenfalls in extremen Ausnahmefällen durch die Exekutive überwacht werden, etwa um ein Parteiverbotsverfahren vorzubereiten. Dies gilt umso mehr, wenn die Auswahl der Überwachten so seltsam ist wie im vorliegenden Fall, in dem gerade Abgeordnete betroffen waren, die als Reformer gelten. Die Vorstellung, man könne jeden Abgeordneten einer Partei überwachen, die zumindest auch verfassungsfeindliche Mitglieder hat (so das Bundesverwaltungsgericht), zieht den Befugnissen des Verfassungsschutzes keine Grenze. Besonders abwegig ist die Überwachung von Abgeordneten, denen die Parlamentsmehrheit das Vertrauen ausgesprochen, etwa durch die Wahl zur Vizepräsidentin des Parlaments oder zum Obmann im parlamentarischen Kontrollgremium. Eine saubere Lösung müsste neben einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage ein Verfahren vorsehen, in dem das Parlament selbst eine Überwachung von Abgeordneten genehmigt. Auch wenn es in der Linkspartei weiterhin alte und neue Freude autoritären verfassungsfeindlichen Denkens geben mag, und selbst wenn der Verfassungsschutz die Befugnis hätte, Abgeordnete zu überwachen: Zu erwarten wäre in jedem Fall,  dass die Behörden ihre Kompetenzen gegenüber Abgeordneten nicht ohne Not ausschöpfen und Respekt vor dem demokratischen Mandat aller Abgeordneten zeigten. Einen Gefallen haben sich die Behörden in keinem Fall getan: Wenig spektakuläre Erkenntnisse bezahlen sie mit einem weiteren Reputationsverlust.

Nun muss das Bundesverfassungsgericht die Verfassung vor dem Verfassungsschutz schützen.

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