22. März 2016

Maximilian Steinbeis

Beschütze uns, Europa!

08:45 Uhr, heute morgen. Der erste Anschlag am Flughafen Brüssel-Zaventem war noch keine Stunde alt. Die Bombe in der Metro-Station Maelbeek war noch gar nicht hochgegangen. Aber Allison Pearson, Kolumnistin des Daily Telegraph, war bereits mit einer ersten politischen Einschätzung auf dem Markt:

Der Tweet wurde mehr als tausend mal weiterverbreitet. Es gab auch noch allerhand andere schnelle Reaktionen in den sozialen Netzwerken, die ich schon aus Gründen des psychischen Selbstschutzes hier gar nicht näher betrachten will. Ich hatte heute eigentlich das starke Bedürfnis, einfach erst mal die Klappe zu halten. Zu trauern, um die Menschen, die gestorben sind, die mörderische Gewalt ganz buchstäblich am eigenen Leib erfahren haben. Und schon auch damit fertig zu werden, dass ich selbst vor weniger als drei Wochen um 8 Uhr morgens am Flughafen Brüssel-Zaventem angekommen bin, übellaunig und unausgeschlafen mit meinen Rollkoffer durch die Gänge und Hallen, treppauf, treppab, auf dem Weg zum Bus Nr. 12, der ins Europaviertel fährt, dass ich selbst viele Male um kurz nach 9 Uhr morgens in der Linie 1 oder 5 gesessen und an der Haltestelle Maelbeek ausgestiegen bin, ein paar Schritte zu Fuß zum Europaparlament. Wie jeder Pariser, der gern im XI. Arrondissement ausgeht, wie jeder Tourist, der sich für jüdische Geschichte in Brüssel oder die blaue Moschee in Istanbul interessiert, so spüre ich die Wirkung des Terrors diesmal in meinen höchstpersönlichen Knochen: Das galt exakt meinesgleichen... Aber andererseits: Ich habe auch genug davon, den Euroskeptikern jedesmal das Feld zu überlassen, wenn irgendwo etwas Schreckliches passiert in Europa. Ja, ich habe Angst. Ja, ich fühle mich bedroht. Und EBEN DESHALB bin ich, um meiner höchst eigenen Sicherheit willen, für ein stärkeres Europa und nicht für ein schwächeres. Schutz vor Terror ist ebenso wie sichere Außengrenzen und eine humanitäre Flüchtlingspolitik ein europäisches öffentliches Gut. Kein Einzelstaat in (Schengen-)Europa kann und wird dieses Gut alleine bereitstellen – und zwar gar nicht unbedingt, weil er dazu zu blöd ist, sondern aus strukturellen Gründen. So wie der Schengen-Raum im Augenblick konstruiert ist, erlaubt er einerseits Mitgliedsstaaten von den Bemühungen anderer mitzuprofitieren, ohne sich an den Kosten adäquat zu beteiligen. Und andererseits bringt er andere Mitgliedsstaaten in die Situation, unter den Versäumnissen anderer leiden zu müssen, ohne selbst aktiv werden zu können. Dass eine solche Konstruktion auf Dauer nicht stabil sein kann, haben wir in der Flüchtlingskrise mit übergroßer Deutlichkeit erfahren. Wir erfahren das wieder und wieder. Schon die Pariser Anschläge vom 13. November haben gezeigt, was passieren kann, wenn man sich auf die bloße Kooperation der nationalen Sicherheitsdienste verlässt. Offenbar ist es möglich, dass ein in Belgien polizeibekannter Verdächtiger der französischen Polizei durchs Netz schlüpft, nur weil man zuvor nicht ausreichend miteinander geredet hat. Obendrein spricht eine Menge dafür, dass die heutigen Anschläge tatsächlich von den gleichen Netzwerken geplant worden sind wie die von Paris. Wenn sich bestätigen sollte, dass tatsächlich die gleichen Leute innerhalb eines Vierteljahres zweimal so brutal zuschlagen konnten, dann hätte das eine ganz neue Qualität. Vor diesem Hintergrund möchte ich zu bedenken geben, dass es mir im Moment nicht allzu naheliegend erscheint, unsere Sicherheit gar so ausschließlich der nationalen Exekutive anzuvertrauen. Die belgische Polizei jedenfalls scheint damit große Probleme zu haben. Das Vereinigte Königreich, für das Allison Pearson spricht, ist zwar kein Schengen-Staat, aber unrecht hat sie trotzdem. Vielleicht sollten wir jetzt mal anfangen, über ganz andere Dinge zu reden – über eine richtige europäische Sicherheits- und Grenzkontrollunion zum Beispiel. Eine Exekutive, die wir wirklich in Haftung nehmen können für die Aufgabe, uns gegen grenzüberschreitenden Terror zu schützen, und die sich nicht damit rausreden kann, dass andere das für ihn tun sollen oder er das schon täte, würden andere ihn nicht daran hindern. Die europaweit ermittelt und europaweit agiert, dabei natürlich strikten rechtsstaatlichen Bindungen unterworfen (vielleicht stärkeren als die nationale, wenn man die jüngste Sicherheitsgesetzgebung in Frankreich und UK ansieht) und mit einem robusten demokratischen Mandat ausgestattet – ein um eine Regelsetzungsdimension ergänztes Schengen 2.0. Politisch und rechtlich furchtbar schwierig, ich weiß. Aber wäre es nicht um so dringlicher, endlich anzufangen, Modelle zu entwickeln, wie so etwas gehen kann? Ich würde mich wirklich sicherer fühlen.

Die Überlegung einer europäischen Sicherheits- und Grenzkontrollunion verdanke ich der Diskussion mit Jakob von Weizsäcker.

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