Der Staat ist als Arbeitgeber einer von vielen. Aber er ist der einzige, der Gesetze machen kann. Das ermöglicht ihm, etwas zu tun, was viele andere Arbeitgeber auch gern tun würden: die Rechte seiner Beschäftigten dort, wo sie ihm unbequem sind, einfach – schnipps! – wegoperieren.
Jetzt fällt ihm aber das Bundesverfassungsgericht in den Arm, in einer sehr bemerkenswerten Entscheidung, die die Privatisierung zweier hessischer Unikliniken betrifft. Die beiden Kliniken der Unis Gießen und Marburg waren zusammengelegt worden, um sie an eine private GmbH verkaufen zu können – und zwar durch ein speziell dafür angefertigtes Landesgesetz.
Normalerweise kann man als Beschäftigter, wenn einem der Arbeitgeber unter dem Hintern weg verkauft wird, widersprechen (§ 613a BGB, leidvoll in Erinnerung aus meiner Examens-Arbeitsrechtsklausur…), mit der Folge, dass man beim alten Arbeitgeber bleibt. Dort ist dann zwar wahrscheinlich kein Arbeitsplatz mehr da, aber wenigstens hält einen der Kündigungsschutz halbwegs warm.
Das fand der hessische Gesetzgeber in diesem Falle aber unangezeigt und schrieb ins Gesetz, dass die Klinikangestellten sich ihr Widerspruchsrecht an den Hut stecken können.
Öffentlicher Dienst forever
Der Erste Senat sieht darin einen Eingriff in das in Art. 12 I GG garantierte Grundrecht, den Arbeitsplatz frei zu wählen. Nicht nur werde den Betroffenen ein neuer Arbeitgeber aufgedrängt. Ihnen werde auch der von ihnen gewählte Arbeitgeber entzogen. Und weil damit explizit die Privatisierung vorbereitet werden sollte, sei
damit ein Prozess in Gang gesetzt, der die Beschwerdeführerin letztlich nicht nur aus dem Landesdienst, sondern auch aus dem öffentlichen Dienst entfernt.
Gegen die Privatisierung als solche gebe es zwar prinzipiell nichts einzuwenden, aber das sei kein Grund, die Arbeitnehmerrechte zu beschneiden:
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass organisatorische Privatisierungen stets nur unter Zurückstellung berechtigter Arbeitnehmerbelange am Erhalt des von ihm gewählten Arbeitsplatzes erfolgreich durchgeführt werden könnten.
Den Eingriff hält der Senat für unverhältnismäßig, da ein unzumutbarer Eingriff in die Privatautonomie: Dass den Beschäftigten ein neuer Arbeitgeber vor die Nase gesetzt wird, sei noch gar nicht mal das Problem – er könne ja kündigen. Der Verlust des alten Arbeitgebers ist es, der unzumutbar sei: Zum einen wegen der Besagten Selbst-Privilegierung des Staates als Arbeitgeber cum Gesetzgeber, zum anderen, weil
mit dem Verlust eines öffentlichrechtlichen Arbeitgebers, stärker als beim Wechsel von einem privaten Arbeitgeber zu einem anderen, die vom Arbeitnehmer gewählte Berufswahlentscheidung berührt wird, da dieser Entscheidung die Abwägung der typischen Vor- und Nachteile der Beschäftigung in einem öffentlichrechtlich geprägten Arbeitsverhältnis zugrunde liegt.
Grundrecht auf Staatsdienst
Das ist ja alles sehr sympathisch, und ich hätte es bestimmt auch nicht gern, wenn ich plötzlich für einen Privatinvestor arbeite, wenn ich mich doch eigentlich an die warme Mutterbrust des Landes Hessen kuscheln wollte.
Aber wo genau ist der Unterschied, wenn ich, sagen wir mal, plötzlich für BenQ arbeiten muss, obwohl ich eigentlich mit Leib und Seele dem Hause Siemens verbunden bin?
Warum ist das eine ein Vorgang, der auf der Ebene des Art. 12 GG verhandelt gehört, und das andere nicht?
Es gibt viele gute Gründe, die Privatisierungsmanie der letzten 20 Jahre skeptisch zu sehen. Trauer um die Privilegien des öffentlich-rechtlichen Angestelltendaseins gehört nicht dazu. Ich kann keinen Grund erkennen, warum man für den gleichen Job mehr kriegen muss, nur weil man aus Steuermitteln bezahlt wird und der Arbeitgeber daher vermeintlicherweise nicht so aufs Geld schauen muss.
Hier geht es ja nicht um ein Beamtenverhältnis. Hier geht es um Arbeitsverträge. Ich verkaufe jemandem meine Zeit und meine Kompetenz, und der gibt mit Geld dafür.
Jetzt kommt diese Privilegierung in den Genuss eines verfassungsrichterlichen Upgrades zum Gegenstand eines Freiheitsgrundrechts: Das Grundgesetz schützt jetzt nicht nur das Recht, Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen, sondern auch das Recht, die Öffentlichkeit meines Arbeitsplatzes frei zu wählen.
Dass das in Art. 12 GG drinstehen soll, ist mir neu.
(c) AASU Armstrong University Archives, Flickr Creative Commons
