1. Dezember 2009

Maximilian Steinbeis

BVerfG: Ladenschlussurteil mit leichtem Weihrauchduft

Ich hasse nichts mehr als Advents-Shopping. Geht mir ungeheuer auf die Nerven. Und Glühwein mag ich auch nicht. Aber ich bin kein Verfassungsrichter, und deshalb bleibt meine Abneigung gegen rammelvolle, mit Leise-rieselt-der-Schnee-Gedudel überdröhnte Fußgängerzonen meine Privatsache.

Mit dem heutigen Urteil aus Karlsruhe bin ich, was die unmittelbare Folge angeht, ganz einverstanden. Den Verkäuferinnen, die lieber mit ihren Familien um den Adventskranz sitzen würden, gehört meine ganze Sympathie. Aber die Urteilsgründe machen mir Bauchschmerzen, und die mittelbaren Folgen ebenso.

Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erbauung gesetzlich geschützt.

So steht es in Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung, was uns eigentlich nichts angehen müsste, gäbe es nicht Art. 140 des Grundgesetzes, der dem Weimarer Staatskirchenrecht ein bundesrepublikanisches Fortleben beschert.

In Berlin ist mit dem neuen Ladenschlussgesetz, das die vier Adventssonntage zum Einkaufen freigibt, jedenfalls in dieser Jahreszeit überhaupt nichts mehr geschützt; das scheint mir auf der Hand zu liegen. Das heißt aber noch lange nicht, dass den Kirchen das Recht gegeben ist, über diesen Schutz zu wachen. Sie können dagegen sein, dass alle am Sonntag arbeiten oder einkaufen und nicht in den Gottesdienst kommen. Sie können predigen, sie können Hirtenbriefe verfassen, sie können seelsorgerisch einwirken auf ihre Gemeinde. Aber klagen?

Art. 139 WRV/140 GG galt bisher als reine Institutionsgarantie: Die Verfassung weist den Staat an, Sonn- und Feiertage zu schützen, weil das für die Arbeitsruhe und seelische Erhebung wichtig ist. Einmal in der Woche sollen die Leute was anderes tun können als arbeiten, und zwar möglichst alle am gleichen Tag. Damit wird nicht irgendjemand Speziellem ein Gefallen getan. Da bekommt nicht irgendjemand einen Anspruch zugeteilt. Da geht es allein um den Schutz des Sonntags als Institution, nicht um den Schutz der Kirche, der Arbeitnehmer oder sonst irgendeines Rechtsträgers.

Auf dieser Grundlage hätte der Erste Senat allerdings die Verfassungsbeschwerden der Kirchen als unzulässig zurückweisen müssen: Denn Verfassungsbeschwerde kann nur erheben, wer in seinen eigenen Rechten verletzt ist. Das wollte der Senat aber offenbar nicht und nagelte daher (wieder einmal) ein grundrechtsdogmatisches Lattengerüst zusammen, das den Sonntagsschutz als „Konkretisierung“ der Glaubensfreiheit faktisch doch noch einklagbar macht.

Im Basteln neuer Schutzpflichten (denen ja stets auch Freiheitsbeschränkungen an anderer Stelle korrespondieren) hat das Gericht ja schon öfter großes Geschick bewiesen. Hier kommt dazu, dass die Kirchen damit  zu verfassungsrechtlich sanktionierten Wächtern der Feiertagsruhe und Kämpfern gegen „ökonomisches Nutzendenken“ (Zitat aus den Urteilsgründen) geadelt werden. Bei aller Sympathie für die gestressten Berliner Verkäuferinnen: Das riecht nach Pietismus, und das mag ich nicht.

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