Juristen pflegen gern der bildungsbürgerlichen Tradition der Amateurmusik, und Professoren noch viel mehr. In der 3. Kammer des 2. Senats sitzen drei Juristen, zwei davon Professoren, und das könnte ein Anhaltspunkt zur Erklärung der heutigen Entscheidung aus dem Ressort „Vermischtes“ sein: Klavierspielen kann man nicht einfach als Lärm abqualifizieren, entrüstet sich die Kammer. Bachs Französische Suiten mit den Mitteln des Immissionsschutzrechts zu Leibe rücken zu wollen, das geht gar nicht.
Ein Nachbar hatte gegen die Klavierübungen eines sechzehnjährigen und offenbar sehr musikalischen Mädchens die Polizei gerufen. Die fand ebenfalls, dass das Geklimpere ein Ende haben müsse, und als das Mädchen trotzdem weiterspielte, verhängte das Bezirksamt ein Bußgeld wegen Lärmbelästigung an Sonn- und Feiertagen in Höhe von 75 Euro. Das empörte den Vater des Mädchens so sehr, dass er klagte, verlor und daraufhin die Sache bis nach Karlsruhe trieb.
Und zwar mit Erfolg. Anders als bei „Reiten im Walde“ und anderen Karlsruher Scharmützeln zur Verteidigung der kleinen Freuden des Lebens ist diesmal der verfassungsrechtliche Maßstab nicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit, sondern das Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 II GG: Genau genommen ist es weniger die Qualifikation von Musik als Lärm, an der sich die Kammer stört, als vielmehr die pauschale und schlecht begründete Art dieser Qualifikation: Dass der Nachbar und der von diesem zu Hilfe gerufene Polizist aussagten, die Musik sei störend gewesen, ließ der Amtsrichter als Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „objektiv störend“ genügen. Wenn es vom Geschmack der Polizei abhänge, ob ein Bußgeldtatbestand erfüllt ist oder nicht, dann sei für den Adressaten der Norm nicht mehr erkennbar, wie er sich verhalten muss, um der Norm zu genügen. Und das verletze das Bestimmtheitsgebot.
Und jetzt bin ich gespannt, wie oft morgen in den Medien das Wilhelm-Busch-Zitat „Musik wird oft nicht schön gefunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden“ zur heiteren Heranführung ans Thema herangezogen werden wird…