2. August 2016

Maximilian Steinbeis

Meinungsfreiheit schützt auch Beschimpfungen (aber halt nicht sehr)

Dem schönen Wort „Schmähkritik“ hat vor ein paar Monaten Jan Böhmermann zu ungeahnter Prominenz verholfen, als er sich im Fernsehen an einem gereimten Beispiel einer solchen gegenüber dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan versuchte und daraufhin von demselben prompt angezeigt wurde. Einen Putschversuch später hat jetzt das Bundesverfassungsgericht einige klärende Worte gesprochen, wo die mit dem Persönlichkeitsrecht des Kritisierten abzuwägende Meinungsfreiheit aufhört und die absolut verbotene „Schmähkritik“ anfängt.

In dem Fall geht es um einen offenbar außerordentlich temperamentvollen Strafverteidiger, der in einer mündlichen Verhandlung mit der Staatsanwältin aneinander geraten war. Als anschließend ein Journalist bei ihm anrief, um sich nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen, war sein Zorn noch nicht verraucht, ganz im Gegenteil: Zwar wollte er keine Fragen beantworten, aber so viel Zeit nahm er sich schon, die Staatsanwältin hintereinander weg mit den Attributen „dahergelaufen“, „durchgeknallt“, „widerwärtig, boshaft, dümmlich“ und „geisteskrank“ zu bezeichnen.

Ist das eine Beleidigung? Natürlich ist es das. Keine Staatsanwältin der Welt braucht sich gefallen zu lassen, wenn ein Strafverteidiger gegenüber der Presse derart die Beherrschung verliert. Ihr Recht, vor der öffentlichen Belegung mit solchen Begriffen geschützt zu werden, dürfte wohl allemal schwerer wiegen als die Freiheit des Verteidigers, seinen Emotionen in dieser Form Luft zu verschaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Strafgericht in der Abwägung zu einem anderen Schluss kommt. Und auch die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts tut das nicht, sondern betont,

dass ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen.

In der Abwägung, wohl gemerkt: Das Strafgericht muss, bevor es jemandem den Mund verbietet, dieses Verbot ins Verhältnis setzen zu dem Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht, den der Beleidigte hatte erdulden müssen. Auch die unflätigste Meinungsäußerung ist eine Meinungsäußerung und als solche vom Schutzbereich des Art. 5 GG erfasst und vom Strafgericht in die Abwägung mit einzubeziehen, mit zugehaltener Nase, wenn es nicht anders geht.

Es sei denn, und damit sind wir beim Thema, es handelt sich um Schmähkritik. Dann nämlich, und das ist der Zweck dieses Rechtsbegriffs, braucht man gar nichts mehr abzuwägen. Bei Schmähkritik hat es sich ausgemeinungsfreiheitet. Das ist einfach verboten, und Punkt.

Und wonach bestimmt man, wo Meinung aufhört und Schmähkritik anfängt? Die Versuchung ist natürlich groß, auf diese Weise doch wieder soziale Normen darüber, was sich gehört und was nicht, entscheiden zu lassen, was gesagt werden darf und was nicht: Was sich nicht gehört, ist halt Schmähkritik.

Grundrechtsschutz ist aber keine Frage der Manieren, und deshalb tritt das Bundesverfassungsgericht diesem Verständnis von Schmähkritik entschlossen entgegen: Mit Schmähkritik ist gemeint, dass es überhaupt nicht mehr um einen Streit in der Sache geht, sondern jemand nur noch darauf aus ist, den anderen fertig zu machen. Wer sich sozusagen selbst aus dem Meinungskampf heraus begibt und nur noch verbale Fausthiebe austeilt, auf dessen Verhalten passt der Schutzbereich der Meinungsfreiheit einfach nicht mehr.

Das, so das BVerfG, sei mitnichten immer dann schon der Fall, wenn man persönlich und verletzend wird und sich schlimmer Wörter bedient, sondern ein „eng zu handhabender Sonderfall“. Was den Strafverteidiger betrifft, so sei es doch nicht fernliegend gewesen, dass seine Ausfälligkeiten irgendetwas mit dem vorangegangenen Streit im Gerichtssaal zu tun gehabt haben. Die Gerichte, die ihn verurteilt haben, hätten aber nicht dargelegt, inwiefern die Äußerungen des Strafverteidigers und ihr „ehrbeeinträchtigender Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand“.

Und deshalb muss die Strafjustiz jetzt nachholen, was sie versäumt hat, und noch mal sauber begründen, warum die Ehre der Staatsanwältin hier schwerer wiegt als die Freiheit des Strafverteidigers, sich gegenüber der Presse auszukotzen. Für den wird es im Ergebnis wohl nicht viel ändern.

Zum Stichwort Böhmermann zu guter Letzt nur so viel: ich könnte mir vorstellen, dass seine Anwälte zur Stunde gerade dabei sind, ihre Schriftsätze um ein paar Zitate aus dem heutigen Kammerbeschluss zu ergänzen.

Update 3.8.2016:

Heute legt die Kammer nach und ergänzt ihren Sommerfeldzug gegen obrigkeitliche Fehldeutungen des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit um eine ganz parallele Konstellation, nämlich Meinungsäußerungen zu Tatsachenbehauptungen umzuetikettieren und sie so dem Schutzbereich des Grundrechts zu entziehen. In dem Fall geht es um jemand, der einen Polizisten, von dem er sich beobachtet fühlte, als „Spanner“ bezeichnet hatte. Tatsachenbehauptung? „Liegt nicht nahe“, findet die Kammer. Was ebenfalls mitnichten bedeutet, dass man das Wort „Spanner“ einfach verwenden darf, s.o.

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