Articles for category: Die Beschneidungs-Debatte

Karlsruhe weist Klage gegen Beschneidungsgesetz zurück

Zehn Zeilen Begründung: Mehr braucht die 2. Kammer des Ersten Senats nicht für die erste Entscheidung aus Karlsruhe zu dem im letzten Jahr so heiß umstrittenen Beschneidungsgesetz. Das liegt allerdings an der konkreten Verfassungsbeschwerde: Die hatte (der Sachverhalt ist äußerst knapp) ein Mann erhoben, der 1991 als Sechsjähriger von einem nicht ärztlich ausgebildeten „Beschneider“ beschnitten worden war. Das Beschneidungsgesetz stellt mit dem neuen § 1631d BGB klar, dass es keine Straftat ist, sein Kind beschneiden zu lassen – wenn dabei die Regeln der ärztlichen Kunst befolgt werden. Nur während der ersten sechs Monate darf auch ein Nichtmediziner die Beschneidung vornehmen. Damit ... continue reading

Warum das Gesetz zur Beschneidung eine vernünftige Lösung ist

I. Der Deutsche Bundestag hat heute eine gesetzliche Regelung zur Beschneidung verabschiedet. Der Bundesrat wird aller Voraussicht nach am Freitag zustimmen. In das BGB wird ein neuer § 1631d eingefügt. Er lautet: (1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird. (2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen ... continue reading

Beschneidungs-Gesetz: Guter Ansatz, zu hastige Umsetzung

Der Bundestag hat am 22. November 2012 in erster Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Beschneidungsfrage beraten, der für Rechtssicherheit in dieser emotional aufgeladenen Angelegenheit sorgen soll. Anlass war das Urteil des Kölner Landgerichts vom Mai 2012, das die medizinisch nicht indizierte Beschneidung bei Minderjährigen für unrechtmäßig erklärte. Die Debatte, ob eine religiös motivierte Praxis wie die Beschneidung innerhalb der grundrechtlichen Grammatik des freiheitlichen Rechtsstaats einen legitimen Platz hat, wird trotz der demnächst verabschiedeten Regelung sicherlich weitergehen. Hier soll der Gesetzentwurf einer kurzen ethischen Bewertung unterzogen werden: 1. Der wichtigste Aspekt – Religion ist kein Verfolgungstatbestand Die Materie ... continue reading

Das Kölner Beschneidungsurteil und das Judentum, Teil 2: Jüdische Beschneidungspraxis

Wie das Judentum mit unbeschnittenen Mitgliedern umgeht, muss den Gesetzgeber nicht interessieren. Dennoch wäre es für die Debatte hilfreich, wenn jüdische Vertreter etwa darlegen würden, wieso die Beschneidung Minderjähriger nicht wenigstens bis zum 13. Lebensjahr verschoben werden könnte, ein Termin, der zumindest deutlich näher an dem staatlicherseits gesetzten Zeitpunkt der uneingeschränkten Religionsmündigkeit des 14. Lebensjahrs läge. Ob der Gesetzgeber so weit gehen würde, den Betroffenen bereits zu einem so frühen Zeitpunkt die notwenige Eigenständigkeit für eine solche Entscheidung zuzutrauen, ist offen; Zweifel sind auch hier angebracht. Ähnlich wird es sich mit den eigenartigen, kaum mehr als Kompromiss zu bezeichnenden Empfehlungen ... continue reading

Das Kölner Beschneidungsurteil und das Judentum, Teil 1: Unbeschnittene Juden?

Seit Monaten ergießt sich auf allen Kanälen eine Flut von Stellungnahmen, Berichten und Aufrufen höchst unterschiedlicher Qualität zum Thema ‚religiöse Beschneidung‘. Erstaunlicherweise – und ich beschränke mich als Fachwissenschaftler hier auf die jüdische Tradition – wird die keineswegs neue, sondern seit gut 200 Jahren immer wiederkehrende Debatte von jüdischer Seite derzeit so geführt, dass der Eindruck entsteht es handle sich beim Judentum um eine fundamentalistische Religion. Zweifellos besteht gerade hinsichtlich der Beschneidung und ihrer Ausgestaltung zwischen den sonst stark differierenden jüdischen religiösen Denominationen – der beiden großen Reformgruppierungen des liberalen und konservativen Judentums, des kleinen Anteils der Orthodoxie von maximal ... continue reading

Why the Circumcision Judgment looks so weird to American Eyes

The Cologne Landgericht decision proclaiming religious circumcision to be a form of illegal assault will apparently soon be superseded by legislation permitting the practice under certain conditions. Nevertheless, the mere fact that the decision came about – coupled with its endorsement by many members of the German criminal-law community and the fact that approximately half of Germans want to see religious circumcision punished by law – points at a continuing controversy. Circumcision also presents an interesting cross-cultural case study, since it is not expressly regulated in either the United States or (yet) in Germany. An enlightening 2002 analysis by Geoffrey ... continue reading

Menschenrechte als potenzielles Antisemiten-Tool?

Extreme Positionen wie die des Kölner Landgerichts in punkto Kriminalisierung der Beschneidung und seiner strafrechtswissenschaftlichen Büchsenspanner erzeugen extreme Gegenpositionen. Das sieht man mit Grausen an einem Artikel, den der britische Jurist Jonathan Fisher in der Jewish Chronicle veröffentlicht hat. Der Strafrechtsanwalt stellt dabei das Kölner Urteil in eine Reihe mit einer Entscheidung aus der Schweiz, die offenbar die Ewigkeit jüdischer Friedhöfe in Frage gestellt hat, und dem Urteil des britischen Supreme Court, der 2009 die Aufnahme-Policy einer jüdischen Schule, nur Juden aufzunehmen, als rassistische Diskriminierung bezeichnet hatte. Dazu kommt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2010, ... continue reading

Was, wenn einer der Großväter der Verfassung beschnitten war?

Man könnte meinen, in der Debatte um das Beschneidungsurteil des Landgerichts Köln sei inzwischen so ziemlich alles gesagt. Aber in der viele Stimmen umfassenden Diskussion fehlt immer noch eine Einordnung der Entscheidung in einen größeren historischen Zusammenhang und die Frage nach der Vereinbarkeit der Kölner Entscheidung mit § 1 StGB und Art. 103 II GG. Beides kann hier nur, um mal ein besonders treffendes Wort zu nehmen, angeschnitten werden. Das Landgericht Köln argumentiert bekanntlich, dass eine Einwilligung der Eltern in die Beschneidung nicht dem Kindeswohl diene und daher nicht für eine Rechtfertigung des medizinisch nicht gebotenen Eingriffs wirksam werden könne: ... continue reading

Naked Law, Lost Traditions. A Comment on Reut Paz and Legal Pluralism

Some days ago, Reut Yael Paz published a critical comment on the Cologne Court’s circumcision decision on this blog. Reut rigthly criticized the ignorant stance the Court took towards the challenges of legal pluralism and the conflict of diverging normative orders at the core of the concrete case – and she rightly criticized the widespread silence on these matters that shaped the debate so far. However, her own distinction between the Public and the Private remains unclear and therefore problematic. Does religion exclusively belong to the private sphere? The Cologne courts did not explicitely problematize that differentiation, and Reut Paz ... continue reading

Nacktes Recht, abgeschriebene Tradition. Anmerkungen zu Reut Paz und den Herausforderungen des Rechtspluralismus

Unlängst hat Reut Yael Paz hier kritisch Stellung genommen zum umstrittenen Beschneidungsurteil des Landgerichts Köln. Zutreffend weist sie darauf hin, dass das Gericht die Herausforderungen des Rechtspluralismus und des im konkreten Fall vorliegenden Konfliktes divergierender normativer Ordnungen verkannt hat – und dass auch die bisherige Debatte diese Fragen nur unzureichend zur Sprache bringt. Unklar und problematisch bleibt jedoch ihre eigene Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatem. Gehört Religion nur in den Raum des Privaten? Abgesehen davon, dass das Gericht diese Differenzierung nicht explizit thematisiert, bleibt bei Reut Paz auch im Dunkeln, wie sich die Unterscheidung Öffentlich / Privat zu den konfligierenden ... continue reading