Articles for category: Parteitage

Zurück zur Präsenz

Parteitage sind weit mehr als nur eine Notwendigkeit des Parteiengesetzes zur Sicherstellung innerparteilicher Demokratie. Sie leben von den Teilnehmern und den vielfältigen sozialen Interaktionen. Gerade die Netzwerkbildung, informelle Absprachen bei Wahlen und Abstimmungen, die Suche nach und die Organisation von Mehrheiten oder die Orchestrierung von Debatten sind Prozesse, die hochgradig von persönlicher, oft auch vertraulicher Kommunikation vor Ort bestimmt werden.

Unzulässige Entwertung des Parteitags?

Seit einigen Jahren zeichnet sich ein Trend zur konsultativen Mitgliederbeteiligung bei der innerparteilichen Entscheidungsfindung ab, der unter anderem bei der Bestimmung der Parlamentskandidaten und der Parteiführung zum Tragen kommt. Betrachtet man das gesamte Verfahren der Parteivorsitzenden- und Parlamentsbewerberauswahl, zeigt sich, dass dem Parteitag vorausgehende Mitgliederbefragungen nicht dazu dienen (sollen), den demokratischen Charakter der Entscheidungsfindung zu verfälschen. Sie tragen vielmehr dem Verfassungsgebot innerparteilicher Demokratie Rechnung.

Digital wie nie zuvor?

Die Corona-Pandemie brachte eine neue Form der Beteiligung und Entscheidungsfindung in Parteien hervor: Den digitalen Parteitag, der nun im dritten Pandemiejahr scheinbar unaufgeregt im "neuen Normal" durchexerziert wird. Doch sind digitale Parteitage eine neue Form der Entscheidungsfindung? Stellen digitale Parteitage eine Bereicherung der politischen Willensbildung innerhalb von Parteien dar oder führen sie eher zu einer Zentralisierung von Entscheidungen? Was passiert darüber hinaus mit den grundlegenden Prinzipien der Präsenz und Repräsentation in Parteien?

Das Mengen- und das Intensitätsproblem der Parteitage

Digitalgestützte Entscheidungen unter Abwesenden stellen eine Verarmung gegenüber der Entscheidungsfindung und Anwesenden dar. Sie haben zusätzliche Kosten und Gefahren in mehreren Hinsichten. Die Hoffnungen auf eine Demokratisierung durch digitale Teilhabe der Mitglieder sind doch eher eine Illusion. Die Erweiterung auf digitale Mitgliederentscheide und auch die Durchführung von Parteitagen lediglich im Internetmodus stärkt die Leitungsebene der Parteien.

Parteitage und Parteikultur

Parteitage können durchaus zentrale Richtungsgeber für Parteien sein, aber sie sind es nicht so automatisch oder selbstverständlich, wie es die Lektüre des Parteiengesetzes insinuieren mag. Es gilt dabei weitere Kontextfaktoren heranzuziehen und diese Gremien im Gefüge der verschiedenen formalen und informalen Einflusszentren in einer Partei zu situieren. Zugleich verändern sich diese über Zeit, radikale Außenseiter nähern sich etablierten Mustern an, bestehende Parteien wiederum lassen sich in ihren Organisationsreformen von den Innovationen neuer Herausforderer inspirieren.

Repräsentation und Präsenz

Die innerparteiliche Demokratie ist durch Kompromisse gekennzeichnet. Parteitage befördern in ihrem traditionellen Format die Kompromissfindung: durch Repräsentation und Präsenz. Digitale Parteitage erweisen sich nicht in gleicher Weise als kompromissaffin. Darin liegt eine Verlockung für diejenigen, die kein Interesse am Kompromiss haben. Verfassungswidrig ist die Einführung des Digitalformats deswegen nicht, seine demokratischen „Kosten“ müssen aber eingepreist werden.

Probieren geht über Studieren!

Parteitage erfordern nicht stets und zwingend eine Repräsentation durch physisch präsente Repräsentanten. Die Freiheit und Eigenständigkeit der Parteien, die Ablösung vom „Vorbild“ der Parlamentswahl sowie die Erfahrungen mit der digitalen Teilnahme an Sitzungen kommunaler Gremien legen vielmehr nahe, dass Pateitage für Online-Beteiligungen geöffnet werden können und sollten.