Articles for category: Sicherheitsstrategie nach der Zeitenwende: Institutionen

Blinded by the Light?

Der von Russland geführte Angriffskrieg in der Ukraine hat ein Thema in die öffentliche Debatte gebracht, welches seit langem nicht mehr so intensiv und kontrovers diskutiert wurde: den Export von Rüstungsgütern. Das ist gut und sollte ein Dauerthema sein, denn Rüstungsgüter sind per se gefährliche Güter, ihr Export ist hochpolitisch und betrifft die Sicherheitsbeziehungen zu anderen Staaten. Sie bedrohen Leib und Leben und ihre Produktion und ihr Export ist strengen Regeln zu unterwerfen. Die derzeit anlaufende sicherheitspolitische Debatte in Deutschland muss daher den Aspekt der Rüstungsexportkontrolle umfassen.

Arming for Peace

The German chancellor’s speech on February 27, 2022, stating that changed times also demand changed policies, has been readily interpreted as a plea for a primarily military-focused policy aimed at deterrence, which may now finally once again be oriented towards political realities. It is almost breathtaking how, in a very short time, entire traditions of thought are nominally being laid to rest in this debate, without any critical questioning of whether this is justified: Does the war in Ukraine really demonstrate that diplomacy or the approach of interdependence have failed? How wise can a policy be that simply wants to reverse past policy by means of a „turning point“?

Für den Frieden rüsten?

Aus der Aussage des Bundeskanzlers am 27. Februar 2022, dass veränderte Zeiten auch eine veränderte Politik verlangen, wird gern ein Plädoyer für eine primär militärische, auf Abschreckung zielende Politik abgeleitet, die sich nun endlich wieder an den politischen Realitäten orientiere könne, ganz wie es Vertreter des Realismus in den Internationalen Beziehungen, wie etwa John Mearsheimer fordern. Es ist geradezu atemberaubend, wie in kürzester Zeit in dieser Debatte ganze Denktraditionen mit offenkundiger Begeisterung zu Grabe getragen werden, ohne dass kritisch hinterfragt wird, ob dies gerechtfertigt ist: Zeigt der Ukrainekrieg denn wirklich, dass Diplomatie oder der Interdependenzansatz gescheitert ist? Wie klug kann eine Politik sein, die per „Zeitenwende“ einfach das Gegenteil des Vorangegangenen in Szene setzen will?

Internationale Rechtsordnung als nationales Sicherheitsinteresse

Die Zeitenwende vom 27. Februar 2022 ist faktisch das Eingeständnis einer Kluft zwischen den lang anerkannten Interessen an Multilateralismus und Völkerrecht einerseits und den außen- und verteidigungspolitischen Strategien zu deren Durchsetzung andererseits. Ein Bekenntnis zum Multilateralismus und den zugrunde liegenden rechtlichen Verpflichtungen reicht nicht mehr aus — wenn das überhaupt jemals der Fall war. Deutschlands künftige Nationale Sicherheitsstrategie muss sich mit den beschwerlicheren politischen und militärischen Verpflichtungen befassen, die notwendig sind, um ein solches System zu ermöglichen.

International Legal Order as a National Security Interest

The "Zeitenwende" of 27 February 2022 is, in effect, an admission of a gap between long-recognised interests in multilateralism and international law, on the one hand, and the sufficiency of foreign and defence policy strategies for upholding them on the other. A primary commitment to the modes of multilateralism and underlying legal obligations is no longer sufficient—if indeed it ever was—and Germany’s forthcoming National Security Strategy must address the more arduous political and military obligations necessary to make such a system possible. The turning point is, in short, the realisation of commitments deeply embedded in national foreign policy identity, which emerges as the foundation for broad legitimacy in the policy revolution.

A Constitutional Framework for Bundeswehr Operations Abroad Based on International Law

The postulated „Zeitenwende“ should not be understood simply as a historic opportunity to quickly pass the proposed reform in parliament. Even beyond the specific occasion of the Russian attack on Ukraine, the substance of the constitutional provisions on defence appears to be in need of reform. According to the opinion expressed here, the Basic Law should tie Bundeswehr missions abroad to their compliance with international law.

Ein verfassungsrechtliches Fundament für Auslandseinsätze der Bundeswehr durch Bindung an das Völkerrecht

Die postulierte „Zeitenwende“ in der Sicherheitspolitik sollte nicht bloß als historische Chance verstanden werden, die vorgeschlagene Reform schnell durchs Parlament zu bekommen. Auch jenseits des konkreten Anlasses des russischen Angriffs auf die Ukraine erscheinen die materiellen verfassungsrechtlichen Grundlagen der Wehrverfassung reformbedürftig. Nach hier vertretener Auffassung sollte das Grundgesetz Auslandseinsätze der Bundeswehr an deren Völkerrechtsmäßigkeit binden. Denn wie die Initiatorinnen dieses Symposiums betonen, besteht für die deutsche Sicherheitspolitik auch eine Verantwortung für die internationale Ordnung und die Wahrung und Durchsetzung des Völkerrechts.

Russia’s Eurasian Großraum and its Consequences

The available options for the German and Western policy towards Russia have to be based on  the correct diagnosis of the causes of the conflict. The purpose of this analysis is to shed some light on the structural reasons for the Russian expansionism and make some projections on the possible long-tern consequences. The rivalry between the Russian-dominated space (Großraum – greater space) and the EU/NATO systems fuels an intense geopolitical antagonism in Europe, which can be transformed into actual conflict. I understand the Großraum in the sense of Carl Schmitt as a tightly managed sphere of interests, under the direct or indirect control of an authoritarian Great Power (infra II).

The National Security Strategy and the Zeitenwende in German Foreign Policy

The “Zeitenwende” in German foreign policy continues to require justification and facilitation, strategic and material underpinning, as well as structural and procedural changes. But time and again, it will require critical reflection. After years of partial denial of reality and misinterpretation of behavioural patterns of key international actors, there is a risk that everything will now be pressed into the scheme of great power and systemic rivalry, and that a new bipolarity between the Western world and the authoritarian states centred around China and Russia is conjured.

Die Nationale Sicherheitsstrategie im Zeichen der außenpolitischen Zeitenwende

Die Zeitenwende in der deutschen Außenpolitik bedarf weiterhin der Begründung und Vermittlung, der strategischen und materiellen Unterfütterung sowie struktureller und prozessualer Veränderungen. Sie bedarf aber auch immer wieder der kritischen Reflektion. Die Gefahr ist groß, dass nach Jahren der partiellen Realitätsverweigerung und der Fehlinterpretation von Handlungsmustern zentraler Akteure der internationalen Politik nunmehr alle Vorkommnisse in das Schema der Großmacht- und der systemischen Rivalität gepresst werden, gar eine neue Bipolarität zwischen der westlichen Welt und den sich um China und Russland scharenden autoritären Staaten heraufbeschworen wird.