Articles for category: Zart im Nehmen: Das Strafrecht in Zeiten des autoritären Populismus

Verwundbare Demokratien und das Strafrecht

Verwundbare Demokratien sind kein Naturzustand, sondern Resultat politischer und rechtlicher Kämpfe, in denen auch das Strafrecht tief verstrickt ist. Als Teil des staatlichen Gewaltmonopols definiert es, was als legitime oder illegitime Gewalt gilt – und stabilisiert damit bestehende Machtverhältnisse. Statt sich auf entpolitisierte Rechtslogik zu verlassen, braucht es ein Strafrecht, das seine politische Verantwortung anerkennt und im Rahmen demokratischer Auseinandersetzungen transformativ weiterentwickelt wird.

Das Politische im Strafrecht stärken

Strafrecht gerät ins Rutschen – nicht, weil es politisch wird, sondern weil es das Politische verliert. Technokratische Verdrängung und affektive Überhitzung spielen autoritären Kräften gezielt in die Hände. Sie schmieden ein regressives Strafrecht, gegen Pluralität, Dissens und das „Andere“. Was also tun? Es gilt, das Politische im Strafrecht zu stärken: nicht als parteipolitisches Kalkül, sondern als emanzipatorisches Projekt.

Ein resilientes Strafrecht braucht starke Grenzen

Vage Rechtsgüter und unbestimmte Tatbestände öffnen dem Strafrecht Türen, durch die populistische und autoritäre Kräfte es zur politischen Waffe machen können. Seine wirksamsten Schutzbarrieren sind klare Rechtsgüter, das Ultima-Ratio-Prinzip und der Bestimmtheitsgrundsatz. Doch gerade im Staatsschutzrecht werden diese Grenzen durch vorverlagerte Tatbestände und offene Begrifflichkeiten ausgehöhlt. Umso entscheidender ist eine starke, unabhängige Strafverteidigung als letzte Verteidigungslinie.

Von Symbolen, moralischen Artefakten und Strohmann-Debatten

Strafrechtliche Begriffe wie „Clan-Kriminalität“, „Beleidigung“ und „Genozid“ werden in der politischen Rhetorik entkernt, emotional aufgeladen und als Kampfbegriffe eingesetzt. Juristische Präzision weicht moralischer Polarisierung, wodurch gefährliche Ambivalenzen entstehen und gesellschaftliche Spaltungen vertieft werden. Das Strafrecht wird so zum Instrument politischer Agenda und verliert an fachlicher Schärfe. Notwendig ist eine bewusste Abwehr von Zweckentfremdung und eine Sensibilität für die Wirkmacht strafrechtlicher Sprache.

Wer schützt wen vor wem?

Die Geschichte des Staatsschutzstrafrechts in der Bundesrepublik ist geprägt von NS-Kontinuitäten, politischer Instrumentalisierung und antikommunistischer Paranoia im Kalten Krieg. Juristen mit NS-Vergangenheit formten 1951 ein Strafrecht, das autoritäre Denkmuster fortschrieb und zur Verfolgung politischer Gegner nutzbar machte. Trotz Reformen ab 1968 bleibt der Staatsschutz ein sensibles Instrument, das stets zwischen legitimer Sicherheitsvorsorge und Machtmissbrauch balancieren muss. Die Lehre aus der Geschichte: Strafrecht darf in einer Demokratie nur ultima ratio sein – und muss vor allem die Freiheitsrechte der Bürger schützen.

Zart im Nehmen

Autoritär-populistische Kräfte instrumentalisieren das Strafrecht, um Macht zu festigen, Gegner:innen zu markieren und die öffentliche Ordnung in ihrem Sinne zu inszenieren, während das Strafrecht zugleich demokratische Prozesse und Grundrechte schützt. Diese doppelte Funktion birgt Spannungen: Zu starke Eingriffe riskieren, selbst demokratiegefährdend zu werden. Das Strafrecht agiert damit zwischen wehrhafter Verteidigung der Demokratie und politischer Vereinnahmung.