Articles for category: MPI-CSL-Beitrag

Gewalt durch Sitzblockaden

Sitzblockaden der „Letzten Generation“ bewerten deutsche Gerichte als Nötigung durch Gewalt. Ich halte dies für vereinbar mit dem Begriff „Gewalt“, den § 240 Strafgesetzbuch enthält. Gewalt bedeutet nicht zwingend Aktivität – maßgeblich ist, ob körperlich wirkende Macht über eine andere Person ausgeübt wird. Damit wende ich mich gegen den kürzlich erschienenen Beitrag von Siegmar Lengauer, der aus österreichischer Perspektive ungläubig auf die deutsche Rechtsprechung zum Gewaltbegriff blickt und diese ablehnt.

Sitzen ist keine Gewalt

Wer sich passiv verhält, übt keine Gewalt. In Österreich handelt es sich dabei um einen Leitsatz zur Nötigung, der sich in fast allen Kommentierungen und Lehrbüchern zu § 105 österreichisches Strafgesetzbuch (öStGB) findet. Der Autor wundert sich, dass deutsche Gerichte dies anders sehen und Aktivist*innen der Klimabewegung, die an Sitzblockaden teilnehmen, immer wieder wegen Nötigung bestrafen. Schon das allgemeine Sprachverständnis lege doch nahe: Wer bloß sitzt, der ist nicht gewaltätig.

Zwischen Fluss, Meer und Strafbefehl

Macht sich strafbar, wer den Satz „from the river to the sea, Palestine will be free“ verwendet? In aller Regel nicht. Der Slogan ist vieldeutig und Gerichte müssen bei mehreren Deutungsmöglichkeiten wegen der Meinungsfreiheit genau begründen, warum allein die strafbare Interpretation plausibel sein soll. Er kennzeichnet auch nicht die Hamas, denn verschiedene Akteure verwenden ihn seit Jahrzenten bis heute.

Daniela Klette und die Frucht der vergifteten Maschine

Am 26. Februar 2024 hat die Polizei die mutmaßliche Terroristin Daniela Klette festgenommen. PimEyes, eine KI-basierte, biometrische Gesichtserkennungssoftware, hatte Klette im Netz gefunden. Dieser Beitrag plädiert aus verfassungs- und unionsrechtlicher Perspektive dafür, dass der Einsatz von offensichtlich rechtswidriger Software wie PimEyes im Strafprozess ein Beweisverwertungsverbot begründet, das auch eine Fernwirkung entfaltet.

PimEyes User auf den Spuren der RAF

Ende Februar hat die Polizei die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette in Berlin festgenommen. Dies haben Hinweise ermöglicht, an die ein Journalist mittels der Gesichtserkennungssoftware PimEyes gelangt war – allerdings unter Verstoß gegen das Datenschutzrecht. Dass die Polizei die Hinweise verwendet, ist verfassungsrechtlich problematisch, denn sie selbst dürfte PimEyes nicht einsetzen. Dies hindert die Polizei aber nicht daran, aufgrund von Hinweisen durch Private, die PimEyes generiert hat, gegen bestehende Gefahren einzuschreiten und auch nicht daran, strafprozessuale Ermittlungen aufzunehmen.

Conspicuously Absent

Nicaragua alleges that Germany violates the Genocide Convention and international humanitarian law by assisting Israel and also by failing to prevent violations of these bodies of law. It requests the International Court of Justice to indicate provisional measures, which would oblige Germany inter alia to stop assisting Israel. While the Court may be barred from exercising its jurisdiction over Nicaragua’s claims relating to the Genocide Convention it may be able to hear the claims regarding Germany’s duties under IHL.

Keine Blockade, sondern eine Frage der Kompetenz

Ein „Offener Brief“ an den Bundesjustizminister vom 29. Januar, den „über 100 namhafte Frauen aus Politik, Kultur und Wirtschaft“ unterzeichnet haben, fordert diesen auf, seine „Blockade-Haltung“ gegenüber einem Vorhaben der Europäischen Kommission aufzugeben. Die Kommission setzt sich für eine Richtlinie ein, die der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt dienen soll. Unter anderem ist eine Vereinheitlichung im Sexualstrafrecht vorgesehen, nämlich beim Tatbestand der Vergewaltigung (Art. 5). Die zentrale Frage ist, inwieweit die Gestaltung von Strafrecht in die Kompetenz der EU fällt. Die Verfasserinnen des „Offenen Briefs“ scheinen davon auszugehen, dass die EU alles könne und dürfe und nur der widerborstige Bundesjustizminister ein Hindernis sei. Die Rechtslage sieht anders aus.

Putting X’s Community Notes to the Test

All of the biggest social media platforms have a problem with disinformation. In particular, a flood of false information was found on X, formerly Twitter, following the terrorist attack by Hamas on 7 October 2023 and the start of the war in Ukraine. The EU Commission therefore recently initiated formal proceedings against X under Art. 66 para. 1 of the Digital Services Act (DSA). One of the subjects of the investigation is whether the platform is taking sufficient action against disinformation. Despite these stakes, X takes an approach different to all other platforms: As can be inferred from the X Transparency Report dated 03.11.2023 posted information is not subject to content moderation, but solely regulated through a new tool: The Community Notes.

Community Notes auf dem Prüfstand

Die größten Social Media Plattformen haben ein Problem mit Desinformation. Insbesondere auf X, vormals Twitter, war nach dem Terroranschlag der Hamas am 07.10.2023 und dem Beginn des Krieges in der Ukraine eine Flut an Falschinformationen feststellbar. Daher hat die EU-Kommission vor Kurzem mitgeteilt, dass sie ein förmliches Verfahren nach Art. 66 Abs. 1 Digital Services Act (DSA) gegen X eingeleitet hat. Gegenstand der Untersuchung ist unter anderem, ob die Plattform hinreichend gegen dieses Problem vorgeht. X setzt dabei alles auf eine Karte: Wie aus dem X Transparency Report vom 03.11.2023 geschlossen werden kann, unterliegen Desinformationen nicht der sog. Content Moderation, sondern ihnen soll allein durch den Einsatz eines neuen Tools entgegengewirkt werden. Das heißt, dass die Nutzerinhalte auf X von Seiten des Betreiberunternehmens weder durch Algorithmen noch durch dazu beauftragte Personen auf Falschinformationen kontrolliert werden.

Schuldenbremse und Klimawandel

Das Urteil des BVerfG vom 15.11.2023 zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 stellt die Ampelkoalition vor enorme Herausforderungen. Wichtige Förderprogramme zum Übergang in eine möglichst emissionsfreie Wirtschaftsweise sind akut gefährdet. Da ist es wenig verwunderlich, dass das Urteil auch kritische Reaktionen ausgelöst hat. Ich halte es im Ergebnis ebenfalls für bedenklich, dass schuldenfinanzierte Investitionen in den klimaverträglichen Umbau der Wirtschaft kategorisch ausgeschlossen werden. Ich sehe aber nicht, dass dieses Ergebnis auf der Ebene der Verfassungsinterpretation zu vermeiden gewesen wäre. Vielmehr wird deutlich, dass die Regelung des Art. 115 Abs. 2 GG dringend auf den Prüfstand gehört. Die Verfassung sollte die politischen Akteure nicht auf eine einseitige Sicht der Wirtschaftspolitik und ein verkürztes Verständnis von Generationengerechtigkeit festlegen.