Articles for category: Frankreich

Das Röhren der Hirsche: Erste Vorlage des Conseil constitutionnel an den EuGH

Walter Scheel, Richard von Weizsäcker, Horst Köhler und Christian Wulff im Bundesverfassungsgericht? Eine eher ungewöhnliche Vorstellung hierzulande. Anders in Frankreich: Ehemalige Staatspräsidenten – derzeit Valéry Giscard d’Estaing, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy – haben dort von Rechts wegen auf Lebenszeit Sitz und Stimme im Conseil constitutionnel (CC, Verfassungsrat) im Montpensier-Flügel des Palais Royal in Paris. Dies ist aber nur eine der noch bestehenden Eigentümlichkeiten des CC im Vergleich zu herkömmlichen Verfassungsgerichten.  Gerade aus deutscher Sicht galt der CC lange Zeit eher als kümmerlicher Vorversuch einer „echten“ Verfassungsgerichtsbarkeit, im Wesentlichen auf eine Normentwurfskontrolle beschränkt, ohne öffentliches Verfahren, ohne Verbindung mit den ... continue reading

Man muss Sarkozy einen „pauvre con“ nennen dürfen

Nicolas Sarkozy ist nicht mehr Präsident der französischen Republik, was andere vielleicht mehr betrauern als ich. Zu den Bemerkenswertheiten seiner Präsidentschaft zählt der Umstand, dass während ihrer Dauer eine Gesetzesnorm wiederbelebt wurde, die seit General de Gaulles Zeiten so gut wie keine Rolle mehr gespielt hat: Art. 26 des Pressegesetzes vom 29. Juli 1881. Diese Norm droht jedem, der den Präsidenten beleidigt, eine Geldstrafe von 45.000 Euro an. Das entnehme ich einer Kammerentscheidung des EGMR, die heute veröffentlicht wurde. Geklagt hatte ein Franzose namens Hervé Eon, der 2008 bei einem Besuch Sarkozys in seiner Heimatstadt Laval ein Plakat mit der ... continue reading

Frankreichs Reichensteuer-Entscheidung: Sind gute Richter schlecht für die Demokratie?

Frankreichs Conseil Constitutionel hat kurz vor dem Jahreswechsel das von Präsident Hollande geplante und im Wahlkampf versprochene Gesetz zur Einführung einer Reichensteuer für verfassungswidrig erklärt. Juristisch war das absehbar, und politisch hat das Gericht den Präsidenten so davor bewahrt, ein unhaltbares Wahlversprechen brechen zu müssen. Die Entscheidung wirft ein kontraintuitives Paradox auf: Kann gute technokratische Verfassungsrechtsprechung, indem sie die Verwirklichung schlechter Politik unterbindet, die deliberative Qualität des politischen Prozesses beschädigen?

Alain Supiot über Sozialstaat, Globalisierung und Solidarität

In seiner Antrittsvorlesung im Collège de France skizzierte der Arbeits- und Sozialrechtler  Alain Supiot, Direktor des Institut d’études avancées in Nantes, unlängst seine Forschungsfragen für die kommenden Jahre und entwickelte Überlegungen zur politischen Gestaltung der Globalisierung durch Recht weiter, die er in seiner vielbeachteten kleinen Denkschrift „Der Geist von Philadelphia“ (2011) entfaltet hat. Supiot, der seine rechtswissenschaftlichen Forschungen mit Erkenntnissen aus Soziologie, Anthropologie und politischer Philosophie anreichert und als Experte für europäisches und internationales Arbeitsrecht stets über die Grenzen des Nationalstaats hinausdenkt, ruft in seinem nachhörenswerten Vortrag einmal mehr leidenschaftlich zu politischem und ökonomischem Umdenken auf – und zur Einsicht ... continue reading

„If We Embark On A Global Constitutional Process We Will Fail“

National parliamentary democracy is in peril as a result of the Euro crisis, therefore we need to constitutionalize the EU / the Eurozone as a parliamentary democracy of its own right. This view, most prominently articulated by Jürgen Habermas, is shared by many in Germany (including me). But what about other countries, maybe with even deeper democratic roots than us? Is the need to save democracy and to constitutionalize Europe also felt in, say, France? If not, how can we hope to strive for a political union in Europe – a union which maybe nobody but us wants to join? ... continue reading

Fiskalpakt: Doch nicht so „verbindlich und dauerhaft“?

Der französische Verfassungsrat hat gestern sein Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Fiskalpakts verkündet. Auf den ersten Blick ist die Sache glatt ausgegangen: Der Fiskalpakt kann ratifiziert werden, eine vorherige Verfassungsänderung ist nicht nötig. Die Souveränität Frankreichs, so der Verfassungsrat, ist nicht berührt, weil die Bindung in punkto Verschuldung ja schon durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt eingegangen worden war, und dass die Schuldengrenze jetzt von 1% auf 0,5% reduziert wird, wertet der Conseil Constitutionel nicht als eigenes Problem. Aber auf den zweiten Blick komme ich aber ins Grübeln. In Art. 3 II des Fiskalpakts steht bekanntlich, dass die Signatarstaaten die Schuldenbremse durch ... continue reading

Racial Profiling: VG Koblenz kann beim besten Willen kein Problem entdecken

Darf der Staat sagen: Du siehst aus wie ein Ausländer, zeig mal deine Papiere? Darf er seine Bürger nach ihrer Hautfarbe diskriminieren? Darf er nach Kriterien handeln, die man schwer als etwas anderes als rassistisch bezeichnen kann? Klar, sagt das Verwaltungsgericht Koblenz. Überhaupt kein Problem. Alles total rechtmäßig. Gestern hatte das VG über die Klage eines Mannes zu entscheiden, der von Bundespolizisten in einem Zug nach seinen Papieren gefragt worden war. Aus der dürren Pressemitteilung geht nur so viel hervor, dass es zum Streit kam. Die Grenzschützer durchsuchten seinen Rucksack und nahmen ihn mit auf die Wache, und jetzt hat ... continue reading

Verfassungsrecht in Paris

Zwei Wochen konnte ich als Professeur Invité das Institut Michel Villey der Université Paris II – Panthéon-Assas besuchen. Die Rechtswissenschaften spielen in Frankreich vielleicht die Rolle, vor der uns Anhänger der deutschen Staatsprüfung immer warnen: ein kleineres Fach, das keine politischen Karrieren generiert, mit weniger praktischem Gewicht. Nun, mir gefällt gerade dies sehr gut: eine wirklich akademische Disziplin, in welcher die Rechtsgeschichte, die Verfassungstheorie und Rechtsvergleichung eine größere Rolle spielen, ohne dass das Ganze weltfremd würde. Die Doktorarbeien sind rein wissenschaftliche Angelegenheit und im Schnitt von höherem Niveau als bei uns. Natürlich gibt es auch in Frankreich wie überall sonst ... continue reading

Knapp und dunkel: Das Genozid-Urteil des französischen Verfassungsrats

Die Entscheidung des französischen Verfassungsrats vor zwei Tagen, die Strafbarkeit der Leugnung des armenischen Völkermords für verfassungswidrig zu erklären, ist – jedenfalls aus deutscher Perspektive – ein erstaunliches Dokument, und zwar sowohl, was den Stil, als auch was den Inhalt anbelangt. Am Stil fällt zunächst auf, wie unglaublich kurz das ganze Ding ist: Sechs knappe Absätze reichen den französischen Verfassungsrichtern, um zu begründen, warum dieses Gesetz mit der Déclaration des Droits Humains nicht vereinbar ist, insbesondere nicht mit der Meinungsfreiheit. Davon schildern die ersten zwei erstmal nur den Sachverhalt, und der dritte zählt auf, welche Grundrechte alles verletzt sind. Die ... continue reading

Feldhamster beschämt Frankreich, USA lacht sich schlapp

Der EuGH hat Frankreich verurteilt, weil es dem elsässischen Großen Feldhamster zu wenig Schutz hatte angedeihen lassen. So weit, so unspektakulär: Das pausbäckige Pelztierchen (hier im Bild ein domestizierter Artgenosse) ist in der Wildnis jedenfalls vom Aussterben bedroht, und die Franzosen taten zu wenig dagegen, was in den Augen von Kommission und EuGH gegen die Habitat-Richtlinie verstößt. Die Meldung scheint vor allem in den USA auf großes Interesse zu stoßen: Die NYT-Story über das Urteil gehört zu den Populärsten im Augenblick. Ein Grund mag sein, dass „Great Hamster of Alsace“ auf Englisch erheblich Monty-Python-hafter klingt als auf deutsch oder auf ... continue reading