Articles for category: Ungarn

Verfassungsaltäre in allen ungarischen Rathäusern

Viktor Orbán lässt nichts unversucht, seine Nation zu nötigen, sich die ihr von ihm aufgezwungene neue Verfassung zu eigen zu machen. Seit 1. September muss in allen Rathäusern im Lande dem dubiosen Dokument eine Art Altar errichtet werden: ein glasbelegter Tisch nebst Stuhl in einem eigenen Raum, dekoriert in den grün-weiß-roten Landesfarben, und bewacht von einem eigens dafür abgestellten öffentlichen Bediensteten. Das ist eine super Idee. Man sollte alles dafür tun, dass die in ihrer Überzahl völlig säkularen Ungarn merken, dass sie dank Orbáns Tatkraft gerade kollektiv ein „nationales Glaubensbekenntnis“ abgelegt haben. Aus irgendeinem Grund sieht die Verwaltungsanweisung offenbar vor, ... continue reading

Ungarn-Slowaken: Ein Hoch auf die Brückenbauer

Slowaken, die eine andere Staatsbürgerschaft annehmen oder auch nur beantragen, verlieren automatisch ihre slowakische Staatsbürgerschaft. So ist es seit letztem Jahr Gesetz in der Slowakei, und dass das so ist, hat mit dem hier schon einige Male gestreiften Thema Ungarn zu tun. Die magyarischen Nachbarn sind bekanntlich seit fast 100 Jahren von heftigen redemptionistischen Fieberschüben geschüttelt: 1919 im Vertrag von Trianon war Groß-Ungarn zerschlagen worden; weite Teile des Territoriums und Hunderttausende ethnische Ungarn wurden Nachbarländern zugeschlagen, darunter auch die Slovakei. Das ist für viele Ungarn, je nationaler, desto doller, immer noch ein Riesenproblem. National ist bekanntlich auch die gegenwärtige Fidesz-Regierung, ... continue reading

Ungarn: Zeit, die Handschuhe auszuziehen

Wie viel Schulden ein Staat aufnehmen soll, ist eine der zentralen politischen Fragen unserer Zeit. Man kann da sehr unterschiedlicher Meinung sein, wie man in den USA derzeit sieht. Man kann und sollte darüber hitzig diskutieren, sich nichts schenken, den anderen mit allen Mitteln des politischen Meinungsstreits attackieren, denn es geht um sehr viel. Aber ihn ins Gefängnis werfen? Ungarns Regierung, bekannt durch ihren sonnigen verfassungspolitischen Humor, will erreichen, dass die Politiker, die für die gestiegene Staatsverschuldung verantwortlich sind, nämlich die sozialistischen Ministerpräsidenten Medgyessy, Gyurcsány und Bajnai, bestraft werden. Nulla poena sine lege? Denen doch egal. Wird der Straftatbestand halt ... continue reading

Ungarn: Orbán verdoppelt seinen Einsatz

Viktor Orbáns Versuch, seine Macht konstitutionell abzusichern, geht weiter: Das Verfassungsgericht und das Wahlrecht sind die jüngsten Angriffsziele, und in beiden Punkten gibt es Beunruhigendes zu berichten. Ich beziehe meine Informationen aus einem E-Mail-Wechsel landeskundiger Politologen und Juristen, allen voran Kim Lane Scheppele aus Princeton und Andrew Arato von der New School in New York. Leichenschändung an der alten Verfassung Zunächst zum Verfassungsgericht: Der Plan, das Gericht zu vergrößern und die neuen Posten mit Gefolgsleuten zu besetzen, ist mittlerweile umgesetzt. Dabei hatte es Orbán offenbar besonders eilig: Weil die neue Verfassung, die die Vergrößerung des Gerichts vorsieht, erst zum Jahreswechsel ... continue reading

Ungarn bekommt ein vernichtendes Zeugnis vom Europarat

Jetzt ist es offiziell: Die künftige ungarische Verfassung genügt nicht den Maßstäben, die man in Europa an demokratische und rechtsstaatliche Verfassungen anlegt. Die Venice Commission, die über die verfassungspolitische Entwicklung der Mitgliedsstaaten des Europarates wacht, hat heute ihre Entscheidung über die Causa Ungarn veröffentlicht. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Viktor Orbán hat keinen Grund zur Zufriedenheit. Und alle anderen in Europa schon sowieso nicht. Im März hatte die ungarische Regierung versucht, der Venice Commission ein Bein zu stellen: Noch bevor es überhaupt einen Entwurf der neuen Verfassung gab, legte sie ihr drei (eher randständige) Fragen vor. Die bekam sie auch beanwortet, ... continue reading

Mein Schweigeinterview mit Orbáns Verfassungsexperte

Als ich vor ein paar Wochen nach Budapest fuhr, hatte ich bei allen möglichen Verfassungsrechtlern jeglicher politischer Couleur um Gesprächstermine angefragt. Darunter war auch László Salamon, Abgeordneter des FIDESZ-Koalitionspartners KDNP und Verfassungsrechtsprofessor an der katholischen Pázmány Péter Universität. Salamon hatte den ersten Verfassungsausschuss geleitet und war auch einer der drei Abgeordneten, die dann tatsächlich den Verfassungsentwurf geschrieben hatten. In Budapest erfuhr ich, dass Salamon keine Zeit habe, mit mir zu reden. Er wolle aber gern meine Fragen per E-Mail beantworten, ließ er mir über eine Mitarbeiterin ausrichten. Binnen einer Woche würde ich Antwort erhalten. Ich schickte ihm meine Fragen. Auf ... continue reading

Ungarn: Die Justiz begehrt auf

Zu den wenigen Veränderungen, die es während der „Debatte“ im Parlament über den hier schon ausführlich diskutierten Verfassungsentwurf gegeben hat, gehört, dass darin künftig festgelegt sein soll, dass Richterinnen und Richter mit 62 in Rente gehen können. Der Grund: Bisher liegt das Rentenalter in der Justiz bei 70. Alle über 62, so die Annahme, sind noch unter den Kommunisten ins Amt gekommen. Also raus mit ihnen. 274 Richter wären betroffen, die meisten in führenden Positionen (die dann von FIDESZ nachbesetzt werden können). Ich habe nichts dagegen, alte Kommunisten in Rente zu schicken, so es in der ungarischen Justiz davon noch ... continue reading

Ich habe mich bei der ungarischen Medienaufsicht beschwert

Ungarns Regierung will, wie wir wissen, die Medien stärker an die Kandare nehmen. Manche hegen den zarten Verdacht, dass die Strenge der Kontrolle nicht vollkommen abgekoppelt sein wird von der Position, die die jeweiligen Medien gegenüber der Regierungspolitik einnehmen. Zu den ausgesprochen regierungsfrommen Medien gehört die „Budapester Zeitung“, eine ziemlich winzige deutschsprachige Wochenzeitung, die einem gewissen Jan Mainka gehört. Herr Mainka findet die Mediengesetze total super. Jetzt hat er in seiner Zeitung einen Leitartikel veröffentlicht, der mir die Ehre bereitet, sich ausschließlich mit meiner Person und meinem FAZ-Essay über die ungarische Verfassungsgebung auseinanderzusetzen. Auf der Suche nach Dingen, die er ... continue reading

Aufruf zu Ungarn

Christian Boulanger und ich haben einen Aufruf verfasst, um unserer Sorge über die hier ja schon ausführlich behandelte Verfassungsgebung in Ungarn Ausdruck zu geben. Wir bitten alle Verfassungsjuristen, die diese Sorge teilen, sich diesem Aufruf anzuschließen. Bitte über die Kommentarfunktion Name, Institution und Herkunftsland eingeben, dann füge ich Sie der Unterzeichnerliste hinzu.

Warum Viktor Orbán nie wieder vor Wahlen Angst haben muss

Mittlerweile gibt es eine englische Übersetzung des ungarischen Verfassungsentwurfs, zu finden hier: Draft of Fundamental Law of 14 March 2011_RP. Das ist wichtig, weil die Orbán-Regierung darauf pocht, dass im Ausland niemand mitkriegt, was hier läuft. Weil niemand den ungarischen Text versteht. So lief das beim Mediengesetz ja anfangs auch. Das Bild klärt sich weiter, wird aber nicht schöner. Nach weiteren zwei Tagen in Budapest und vielen, vielen Gesprächen zeigt sich das Konstrukt Viktor Orbáns zur Zementierung seiner Kontrolle über das Land auf Jahrzehnte hinaus in seiner ganzen schillernden Pracht. Ihre Zweidrittelmehrheit werden Orbán und seine nationalkonservative Koalition 2014 womöglich ... continue reading