Articles for category: Österreich

Der Fall Christian Pilnacek – Eine Herausforderung auch für die europäische Rechtsstaatlichkeit

Die seit der „Ibiza-Affäre“ (Mai 2019) nicht mehr abreißende, wenngleich bislang weitgehend ergebnislose Korruptionsdebatte in Österreich steuert mit dem Fall „Pilnacek“ auf einen neuen Höhepunkt zu, denn in eben diesem Fall scheint sich eine massive Einflussnahme der Politik auf die österreichische Strafjustiz abzuzeichnen. Es wird immer deutlicher, dass die Korruptionsproblematik in Österreich nicht in den Griff zu bekommen ist. Ein wesentlicher Grund dafür ist auch, dass seit dem (verhältnismäßig späten) EU-Beitritt Österreichs wesentliche Anpassungen an den rechtsstaatlichen „acquis communautaire“ unterblieben und grundlegende Prinzipien des Unionsrechts bislang unbeachtet geblieben sind. Seit dem Jahr 2000 kam es zu weiteren Rückschritten. Der Fall Christian Pilnacek verdeutlich diese Problematik geradezu exemplarisch – und unterstreicht den in Österreich nach wie vor bestehenden rechtsstaatlichen Reformstau bzw. Reformunwillen.

Wackliges Parteienkartell

Die Formulierung „Entscheidungen in eigener Sache“ ist in Österreich weder in der Rechts- noch in der Politikwissenschaft gebräuchlich. Die damit umschriebenen Elemente der Rechtsordnung und des politischen Systems werden jedoch seit langem diskutiert, besonders im Kontext der Kombination von Konkordanzdemokratie und der dominanten Rolle der politischen Parteien, die für Österreich typisch ist. Seit den 1990er-Jahren verlieren diese beiden Elemente an Einfluss. „Entscheidungen in eigener Sache“ lassen sich nicht mehr bloß mit Verweis „auf die Rechtslage“ rechtfertigen.

Österreich als Insel der Seligen?

In Deutschland findet schon seit Jahrzehnten ein Diskurs statt, der bei seinem österreichischen Nachbarn anklopft, aber nicht wirklich angekommen ist: Jener über Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache. Der fehlende rechtspolitische Diskurs lässt auf den ersten Blick vermuten, dass österreichische Abgeordnete nicht in eigener Sache entscheiden, sondern stets zum Gemeinwohl aller. Nüchtern betrachtet offenbart sich jedoch ein anderes Bild.

Das Ende verstaatlichter Asylrechtsberatung in Österreich?

Vor knapp zwei Jahren kam es zu einem der größten Systembrüche im österreichischen Asylwesen. Die Rechtsberatung von Flüchtlingen, die bis dahin von nichtstaatlichen Organisationen verantwortet war, wurde einer Bundesagentur unter entscheidendem Einfluss des Innenministers übertragen. Nun wird diese Konstruktion vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) überprüft. Eine erste Einordnung.

Mehr Fortschritt wagen in der Stiftungsfinanzierung

Das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren zur staatlichen Finanzierung der Desiderius-Erasmus-Stiftung belebt erneut die Forderung nach einem förmlichen Parlamentsgesetz zur Regelung der staatlichen Förderung der parteinahen Stiftungen. Dass ein solches Gesetz verfassungsrechtlich notwendig ist, ist jedenfalls innerhalb der Rechtswissenschaft seit Langem unstreitig – unabhängig von dem AfD-Kontext, der für die abermalige Virulenz des Themas sorgt. Das österreichische Publizistikförderungsgesetz (PubFG), könnte für den deutschen Gesetzgeber im Grundsatz ein legistisches Vorbild sein. Für den Umgang mit der Desiderius-Erasmus-Stiftung müssten allerdings zusätzliche Regelungen gefunden werden.

Die Made im NATO-Speck

Der Krieg in der Ukraine hat innerhalb kürzester Zeit Grundprämissen des etablierten österreichischen Neutralitätskonzepts in Frage gestellt – selbst ein NATO-Beitritt wurde diskutiert. Der Gang dieser Diskussion vermochte innerhalb kürzester Zeit die gesamten rechtlichen Schwachstellen des österreichischen Neutralitätskonzepts offen zu legen. Gleichzeitig zeigt sich, wie opportun es für Österreich ist und weshalb wohl auch weiter daran festgehalten wird.

Das österreichische Impfpflichtgesetz

Der österreichische Nationalrat beschloss am 20.01.2022 mit breiter Zustimmung das Gesetz über die Pflicht zur Impfung gegen COVID-19. Am Donnerstag wird darüber im Bundesrat abgestimmt. Viele Details bleiben in dem neuen Gesetz allerdings ungeregelt. Der Gesetzgeber hat durch Verordnungsermächtigungen die inhaltliche Ausgestaltung der Impfpflicht größtenteils auf den Gesundheitsminister übertragen. Das sorgt für Flexibilität, birgt aber auch die Gefahr, dass wesentliche politische Entscheidungen der Verwaltung überlassen werden. Zur Abwehr der aktuellen Omikron-Welle kommt die allgemeine Impfpflicht zu spät, bietet aber zumindest längerfristig einen gesetzlichen Rahmen für die weitere Pandemiebekämpfung.

Austria’s Struggle to Respond to Climate Change

Cancelling the planned construction of a highway tunnel beneath a Viennese national park in December 2021, the Green Minister for Climate Action Leonore Gewessler left local politicians outraged. Although the Austrian Constitution provides different links to sustainability and climate change, the Austrian Constitutional Court decided in a landmark case five years ago to interpret the constitutional provisions on climate change in a restrictive manner leading (bottom-up) ambitions to strengthen climate change litigation into a constitutional deadlock. The recent decision of Mrs. Gewessler opens up new (top-down) approaches towards an ecological executive.

Curing the Symptoms but not the Disease

Traffic violations are not a proportionate justification to effectively deprive a person of her EU citizenship. This may sound obvious but in reality it was not, as the crucial Grand Chamber case of JY decided on January 18 demonstrates. This is a significant yet predictable addition to the edifice of EU citizenship post-Rottmann. Regrettably, the forward-looking judgment is myopic up to the point of an error of judgement as to the fundamental challenges at play in the factual constellation at hand.

Effective Accountability Mechanisms in Austrian Constitutional Culture

Former Austrian chancellor Sebastian Kurz, who dominated the political arena in the last years, left politics at the begin of December 2021. The strengthening of two constitutional accountability mechanisms strongly contributed to this downfall: First, the competence to establish a parliamentary committee of inquiry without a parliamentary majority, and second, the strengthening of the public prosecutors' independence.