Articles for category: Deutschland

Tat und Territorium

Am 23. Juli 2025 wurde Sebastian Hotz alias „El Hotzo“ vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten vom Vorwurf der Billigung von Straftaten, § 140 StGB, freigesprochen. Die Bedeutung des Falls erschöpft sich nicht in der bekannten Streitfrage um das Verhältnis von grundrechtlicher Meinungsfreiheit und strafrechtlichen Meinungsäußerungsdelikten. Tatsächlich wirft er noch ein anders gelagertes Problem auf: Kann das deutsche Strafrecht die Billigung einer Tat erfassen, die im Ausland begangen wurde? Dass § 140 StGB auch solche Anlasstaten erfassen kann, gilt als gefestigt. Diese Auslegung bricht aber mit dem historischen Sinn der Norm und weitet das Strafrecht in Bereiche aus, in denen es nichts zu suchen hat.

Niemals normal

Nach langem Ringen trat im November 2024 endlich das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft. Nun hat das Bundesinnenministerium einen Referentenentwurf vorgelegt, der die antidiskriminierende Zielsetzung des SBGG weit verfehlt: Der alte Geschlechtseintrag und die alten Vornamen einer Person sollen nach einer Änderung gemäß SGBB Bestandteil ihres behördlichen Datensatzes bleiben und diese Daten mit anderen Behörden geteilt werden. Das kreiert eine unnötige Datenflut und gefährdet Grundrechte.

Auf Kosten des Rechtsstaates

Erst im Februar 2024 trat § 62d AufenthG in Kraft. Dieser regelte erstmals, dass im Zuge der Anordnung von Abschiebungshaft eine anwaltliche Vertretung verpflichtend ist. Nur knapp 18 Monate später soll er nach dem Willen der Bundesregierung bereits wieder abgeschafft werden. Die Begründung des Gesetzesentwurfes verkennt dabei den Normzweck der ursprünglichen Regelung. Freiheitsrechte und Rechtsstaatlichkeit dürfen nicht dem politischen Ziel schnellerer Abschiebungen untergeordnet werden.

Weg frei für „Berlin autofrei“

Nach dem Erfolg von „Deutsche Wohnen enteignen“ dürfte Berlin bald über das nächste Volksbegehren abstimmen, das die Stadt lebenswerter machen soll: „Berlin autofrei“ will den individuellen Kfz-Verkehr innerhalb des S-Bahn-Rings weitgehend verbieten. Nachdem die Senatsverwaltung das Volksbegehren zunächst gestoppt hatte, hält der VerfGH Berlin es nun für vollumfänglich zulässig. Der Gerichtshof erkennt an, dass es zwar kein „Grundrecht auf Autofahren“ gibt, doch besondere Mobilitätsbedürfnisse durchaus grundrechtlichen Schutz genießen. Dies hätte er allerdings bruchloser argumentieren können, wenn er die Eingriffsqualität anerkannt hätte.

What We Lost in the Skies Above Tehran

The damage that Merz and Steinmeier have inflicted on both Germany’s international credibility and the order put in place with the founding of the United Nations will likewise be felt for decades to come. As things stand right now, as far as the jus contra bellum is concerned, there might not be much left to reconstruct when the community of international law scholars meets up in Berlin in September. In that, the realists may find reason to rejoice. They, too, will come to miss it once it’s gone.

Sterbehilfe endlich regeln

Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines Arztes verworfen: Der Arzt hatte einem psychisch kranken Mann auf dessen Wunsch eine Infusion mit einer tödlich wirkenden Substanz gelegt. Obwohl der Patient den Zugang selbst öffnete, nahm der BGH einen Totschlag in mittelbarer Täterschaft an. Der Fall zeigt einmal mehr, dass der Fragenkreis von Sterbehilfe und Unterstützung beim Suizid dringend einer durchdachten gesetzlichen Regelung bedarf. Anregungen dazu können neue Normierungen der Materie in Frankreich und England geben.

Eine Republik wird „neutralisiert“

Julia Klöckner ist seit der Bundestagswahl 2025 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Ihrem Schutz anvertraut sind die Einhaltung der Geschäftsordnung, die Fairness der Debatten und die Ordnung des Hohen Hauses schlechthin. Außerdem hat sie „die Würde und die Rechte des Bundestages“ zu wahren. Der Präsidentin Klöckner reichten diese Schutzgüter nicht aus. Sie nahm ein weiteres in Anspruch – die politische Neutralität, die sie etwa durch bestimmte Kleidung oder das Hissen der Regenbogenflagge sieht. Doch Neutralität hat freilich einen politisch vergifteten Kontext.

Halbherziger Schutz für Gaza

Nach einem anderthalbjährigen Entscheidungsstopp aufgrund einer „ungewissen Lage“ im Gazastreifen gab das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am 18. Juli 2025 bekannt, wieder über Asylanträge zu entscheiden. Schutzsuchende werden nun also voraussichtlich subsidiären Schutz erhalten. Ein richtiger Schritt, allerdings werden ipso-facto Schutz und Flüchtlingseigenschaft in der behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Praxis bislang zu Unrecht weitgehend ausgeblendet.

Vertrauen und Vertretbarkeit

Das BVerfG hat mit Urteil vom 15.07.2025 eine völkerrechtliche Verantwortung Deutschlands wegen der von der US-Air-Base Ramstein geflogenen Drohnenangriffe zurückgewiesen. Dennoch bestätigt das Urteil, dass es grundrechtliche Schutzpflichten des deutschen Staates gegenüber Ausländer*innen im Ausland geben kann. Damit ist es auch für die derzeit hochumstrittenen Genehmigungen von Waffenlieferungen an Israel von großer Bedeutung.

Die Sache mit der Menschenwürde

Im ersten Absatz des ersten Artikels des Grundgesetzes steht das bundesrepublikanische Glaubensbekenntnis: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Kein anderer Satz ist in Deutschland derart demonstrativ konsensfähig, kein anderer Satz bedient derart das deutsche Bedürfnis nach moralischer, nicht zuletzt erinnerungspolitischer Selbstvergewisserung, und kein anderer Satz der Verfassung eignet sich gerade deshalb derart gut für politisch zweckentfremdete Feindmarkierungen. In einem der unrühmlichsten Vorgänge der jüngeren deutschen Politikgeschichte hat das die Potsdamer Professorin Frauke Brosius-Gersdorf erfahren müssen.