Articles for category: Schweiz

Über die Toten nur Gutes? GROSS v. SCHWEIZ endet im Eklat

Es war einer der profiliertesten Fälle zum umstrittenen Thema Sterbehilfe vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Gross v. Schweiz. Jetzt wird es kein materielles Urteil geben, denn die tief gespaltene Große Kammer des EGMR hat die Klage mit hauchdünner Mehrheit als missbräuchlich abgewiesen: Wie sich herausgestellt hat, ist die Klägerin schon seit drei Jahren tot.

Wenn der Volkswille den Gesetzgeber zum Verfassungsbruch zwingt

Mit der erfolgreichen Pädophilen-Initiative haben die Schweizer ihre Regierung in eine Zwickmühle gebracht: Das absolute Verbot, verurteilte Pädophile jemals wieder mit Kindern arbeiten zu lassen, verstößt gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit. So bleibt der Regierung bei der Umsetzung nur die Wahl, auf die eine oder auf die andere Weise verfassungswidriges Recht zu schaffen.

Schweizer Bundesgericht: Öffentlicher Hitlergruß ist keine Nazi-Propaganda

Dass jemand, der nüchtern und ohne Ironie den Hitlergruß zeigt, ein Nazi ist, versteht sich von selbst. Aber verbreitet er damit auch Nazi-Ideologie? In Deutschland (und auch in Österreich) stellt sich die Frage gar nicht erst; dort ist das Zeigen nationalsozialistischer Symbole per se verboten. In der Schweiz stellt sich diese Frage sehr wohl. Und nach dem heute veröffentlichten Urteil des Schweizer Bundesgerichts, wonach selbst ein bei einer Kundgebung auf dem Nationalheiligtum Rütli in die Luft gereckter rechter Arm nicht unbedingt Nazi-Ideologie verbreitet, erst recht.

Schweiz: Verein hat das Recht, Frauen von Mitgliedschaft auszuschließen

Schweizer Universitäten dürfen Studentenverbindungen nicht den Status als universitäre Vereinigung entziehen, weil sie keine Frauen aufnehmen. So das Schweizerische Bundesgericht in einem Urteil heute. In dem Fall hatte die Universität Lausanne der Verbindung Zofingia diesen Status aus besagtem Grund entzogen. Vereinigungen, die als universitär anerkannt sind, können offenbar Räume der Uni nutzen und sich auf deren Website präsentieren. Die Uni argumentierte, sie sei kraft ihrer Charta verpflichtet, die Gleichheit von Mann und Frau zu fördern. Das, so das oberste Schweizer Gericht laut Pressemitteilung, war verfassungswidrig gehandelt: Die Vereinigungsfreiheit schütze das Recht, frei zu bestimmen, mit wem man in einem Verein ... continue reading

Bundesgericht pfeift „Schweizermacher“ zurück

Die Schweiz hat im Moment, wenn es um „Fremde“ geht, keine besonders gute Presse, und das Bundesgericht hat daran kräftig mitgewirkt. Ein bisschen was wett macht jetzt ein heute veröffentlichtes Urteil aus Lausanne. Dabei geht es um das Einbürgerungsverfahren, also die Arbeit jener wackeren Leute, die in den 70er Jahren der Emil-Steinberger-Film „Die Schweizermacher“ karikiert hatte. Eine vierköpfige Familie aus Weiningen im Kanton Zürich hatte die Einbürgerung beantragt und wurden daraufhin mitsamt den Kindern zu einem „Einbürgerungsgespräch“ eingeladen – in einem sehr freundlichen Schreiben, wonach das Gespräch dazu dienen solle, sich „kennenzulernen und etwas über die Beweggründe für das Einbürgerungsgesuch ... continue reading

Schweizer Bundesgericht: „Sauausländer“ ist nicht diskriminierend

Wenn ein Polizist einen des Taschendiebstahls verdächtigen Algerier bei seiner Festname lauthals als „Drecksasylant“ und „Sauausländer“ beschimpft, dann ist das vielleicht böse, gemein und beleidigend, aber eins ist es nicht: eine Diskriminierung. Zu diesem, um es mal vorsichtig zu formulieren, kontraintuitiven Schluss kommt das Schweizerische Bundesgericht in einem gestern veröffentlichten Urteil, das dem jüngst so markant in die Welt gesetzten Bild der Schweiz als eines Landes, in dem man sich ohne lupenreine eidgenössische Abstammungscredentials nicht allzu wohl fühlen soll, noch eine weitere Facette hinzufügen dürfte. Das Schweizer Strafgesetzbuch droht jedem, der andere „wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer ... continue reading

EMRK kann zum Völkerrechtsbruch zwingen

Wenn der UN-Sicherheitsrat einem europäischen Staat befiehlt, gegen die Europäsche Menschenrechtskonvention zu verstoßen – darf dieser das dann machen? Und wenn, kann ihn der EGMR in Straßburg dann deswegen verurteilen? Anders als der EuGH hatte der EGMR bislang die größte Mühe, diese Fragen halbwegs konsistent mit einem kräftigen Ja zu beantworten. Nach Al-Jedda 2009 und Nada 2012 hat der EGMR heute erneut einen Schritt in diese Richtung unternommen – wenn auch vorerst nur auf Kammerebene und mit einer zutiefst zerstrittenen Richterbank. Inhaltlich scheint mir aber diese Entscheidung, wenn sie Bestand hat, ziemlich einschneidend zu sein. Es geht in dem Fall ... continue reading

Bestimmt der Schweizer Souverän, was zwingendes Völkerrecht ist und was nicht?

In der Schweiz kann man derzeit den einzigartigen Fall beobachten, dass eine Regierung ihr Volk daran zu hindern versucht, die eigenen verfassungs- und völkerrechtlichen Bindungen zu vergewaltigen. Gestern hat der Schweizer Bundesrat entschieden, die so genannte „Durchsetzungsinitiative“ nur in redigierter Form dem Parlament vorzulegen. Das ist eine Initiative der rechtspopulistischen SVP für einen Volksentscheid, der die berüchtigte „Ausschaffungsinitiative“ von 2010 noch einmal um eine Zehnerpotenz krasser machen soll. Es geht dabei darum, dass Ausländer, die mit dem Strafrecht in Konflikt geraten sind, abgeschoben werden müssen, und zwar ohne viel Federlesen und Verhältnismäßigkeitserwägungen und Rechtsschutz und was der spießigen Bedenkenträgereien mehr ... continue reading

Vom Recht auf selbstbestimmten Tod und seinen Folgen

Muss der Staat mir ermöglichen, mich auf schmerzlose und sichere Weise umzubringen? Obwohl mir nichts fehlt, außer dass ich alt werde und das nicht möchte? Habe ich ein Recht darauf, dass er mir dabei keine rechtlichen Hindernisse in den Weg legt? Dies waren die Fragen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) heute in seinem Urteil Gross zu beantworten hatte. Besser gesagt: eigentlich zu beantworten gehabt hätte. Aber nicht beantwortet hat. Geklagt hatte eine alte Dame aus der Schweiz, die zwar an keiner körperlichen Krankheit litt, aber die Abnahme ihrer Lebensqualität dennoch derart unerträglich fand, dass sie sterben wollte. Daher ... continue reading

Schweizer Urteil zur Ausschaffung: Im Westen nichts Neues

Remarques gleichnamiger Roman gilt verbreitet als Antikriegsliteratur, obwohl der Autor das Werk als unpolitisch deklariert. Ein bundesgerichtliches Urteil aus Lausanne zum Widerruf einer Niederlassungsbewilligung wird als schockierender politischer Entscheid verschrien, obwohl es schlicht die geltende Rechtslage ausformuliert. Das Urteil ist aber weder juristisch bahnbrechend noch politisch subversiv. Einzig die verlogene Ausschlachtung durch Teile der Politik ist bedenklich. In einem am 8. Februar 2013 publizierten Urteil vom 12. Oktober 2012 hat das Bundesgericht den Widerruf der Niederlassungsbewilligung eines Mazedoniers u.a. unter Berücksichtigung der EMRK abgelehnt. Dabei hat es festgehalten, dass im Konfliktfall zwischen der Bundesverfassung und Völkerrecht grundsätzlich das Völkerrecht Vorrang ... continue reading