Von der Macht fernzuhalten
Sonneberg und die Folgen
Sonneberg und die Folgen
Die Wahl von Robert Sesselmann im thüringischen Landkreis Sonneberg zum ersten AfD-Landrat Deutschlands kam für viele überraschend. Nun wurde bekannt, dass das Landesverwaltungsamt Thüringen plant, eine Prüfung der Verfassungstreue Sesselmanns vorzunehmen. Im Lichte der aktuellen Rechtsprechung streiten zumindest gute Argumente dafür, die Verfassungstreue Sesselmanns nicht als frei von Zweifeln anzusehen. Die gesellschaftspolitischen Konsequenzen dieser Prüfung können jedenfalls vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Popularität der AfD kaum überschätzt werden.
What happens when an autoritarian-populist party gets state power in their hands in the Federal Republic of Germany?
Was passiert, wenn eine autoritär-populistische Partei in einem deutschen Bundesland staatliche Machtmittel in die Hand bekommt?
Länder-, Bundes- und EU-Verfassungsrecht und das Auftauchen von schwarzen Löchern auf der Landkarte Europas
Am vergangenen Dienstag, den 19. Januar im Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags eine Expertenanhörung zu einem Gesetzentwurf statt, der eine pandemiegerechte Durchführung der vorgezogenen Landtagswahl im September 2021 sicherstellen soll. Das zugrundeliegende Anliegen, die besonderen pandemiebedingten Regelungen in parlamentarischer Verantwortung zu treffen, ist zu begrüßen. Doch der Inhalt des Sondergesetzes ist problembehaftet.
Die Verfassungsgerichte von Thüringen und Brandenburg haben vor einigen Monaten die dortigen Paritätsgesetze für nichtig erklärt. Die Urteile zeugen von einem überholten Demokratieverständnis. Es ist an der Zeit zu reklamieren, dass das Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 GG auch dort ernst genommen wird, wo über die Geschicke des Staates und das Gemeinwohl entschieden wird.
Das Thüringer Urteil stützt sich maßgeblich auf die Entstehungsgeschichte des Gleichstellungsgebotes in der Thüringer Verfassung: Weil im Entstehungsprozess konkretere Vorschläge zur Zulässigkeit von Paritätsregelungen erfolglos geblieben seien, „zwing[e]“ die Entstehungsgeschichte zu der Folgerung, dass die verfassungsgebende Gewalt mit dem Gleichstellungsgebot „nicht die Möglichkeit“ habe eröffnen wollen, „paritätische Quotierungen einzuführen“. Diese Art der entstehungsgeschichtlichen Argumentation leidet jedoch an einem grundlegenden Mangel: Sie verkennt den zentralen Unterschied zwischen allgemeineren und konkreteren Anwendungsvorstellungen eines Gesetzgebers.
Die Parteizentralen von FDP und CDU konnten offenbar nur mit erheblicher Mühe gegenüber den Landesverbänden und Landtagsfraktionen ihre Linie durchsetzen, nicht mit der AfD zu kooperieren. Sogar der Ausschluss des gesamten Landesverbandes Thüringen der CDU soll nach Presseberichten in der CDU-Führung diskutiert worden sein. Gegenüber solchen parteiordnungsrechtlichen weapons of mass destruction herrscht allerdings eine verständliche Zurückhaltung aus Gründen der innerparteilichen Demokratie.
Das Stellen der Vertrauensfrage durch einen im Laufe der kommenden Tage oder Wochen gewählten neuen Ministerpräsidenten in Thüringen würde der AfD erneut die Tür zur Desavouierung der parlamentarischen Spielregeln öffnen. Die demokratischen Parteien sollten daher vorgezogene Neuwahlen nur über den Weg einer Selbstauflösung des Landtages anstreben. Darüber hinaus wäre über eine Änderung widersprüchlicher Regelungen in der Thüringischen Verfassung nachzudenken.