Articles for category: BVerfG

Kein Bier an der Tanke, und Karlsruhe schweigt dazu

Im Pietistenstaat Baden-Württemberg darf man nachts keinen Alkohol kaufen. Das macht mir den Südweststaat nicht sympathischer (obwohl da meine vor fünf Generationen nach Bayern eingewanderte Familie ursprünglich mal herkam; mein Urururgroßvater war evangelischer Pfarrer in Ölbronn bei Maulbronn, no less…) Das Bundesverfassungsgericht hatte keine Lust, dem Recht eines wackeren Südwestdeutschen, sich auch nächtens Zugang zum Genussmittel seiner freien Wahl zu verschaffen, zur Geltung zu verhelfen. Das in Art 2 I GG garantierte Recht, die  Persönlichkeit zwischen 22 und 5 Uhr durch Einnahme von geistigen Getränken mal so richtig frei zu entfalten, schützt den Mann nach Auskunft aus Karlsruhe nicht vor ... continue reading

Karlsruhe erleichtert Verstaatlichung im Gesundheitssektor

Wenn es um Leben und Gesundheit geht, darf der Staat zwar nicht alles, aber doch eine ganze Menge. Unter anderem darf er etwas, was er seit dem berühmten Apothekerurteil von 1958 eigentlich fast nie darf: Er darf Leuten ihren Beruf verbieten, und zwar auch aus Gründen, für die diese Leute überhaupt nichts können. Solche „objektiven Zulassungsvoraussetzungen“, wie das seit 1958 heißt, hat das BVerfG damals nur in extremen Ausnahmefällen zugelassen, zur Abwehr „nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ nämlich. Die heute veröffentlichte Entscheidung des Ersten Senats zum Rettungswesen in Sachsen macht von dieser Möglichkeit, die in ... continue reading

Von betrunkenen Autofahrern und müden Checklisten-Abhakern

Das Bundesverfassungsgericht hat wieder einmal ein Landgericht daran erinnern müssen, dass der Richtervorbehalt  nicht nur zu Dekorationszwecken in der Strafprozessordnung steht. Es ging um eine betrunkene Autofahrerin, die von der Polizei zur Blutentnahme mit aufs Revier genommen wurde. Eine richterliche Entscheidung dazu gab es nicht, und das fand das LG Nürnberg-Fürth auch ganz in Ordnung so, weil sonst  die Beweissicherung gefährdet gewesen wäre – wofür es im konkreten Fall aber offenbar überhaupt keinen Anhaltspunkt gab, außer dass der Richtervorbehalt halt generell kollossal nervt. Von Verfassungs wegen ist sicherzustellen, dass die Fachgerichte den ihnen vorliegenden Einzelfall prüfen und nicht aus generellen ... continue reading

Auch Abtreibungsgegner haben Rechte

Wer einen kontroversen Beruf ausübt, muss etwas aushalten können – auch, dass sich vor seiner Tür Eiferer postieren und ihn mit Namen und ad personam anprangern. Auf diesen Standpunkt stellt sich das Bundesverfassungsgericht in seiner heute veröffentlichten Kammerentscheidung zur Meinungsfreiheit eines militanten Abtreibungsgegners. Der Kläger pflegte sich vor gyäkologische Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, mit Plakaten und Flugblättern auf die Straße zu stellen und Frauen, die er für mögliche Patientinnen hielt, anzusprechen und ihnen seine religiösen Überzeugungen aufzudrängen. Das wollte ein betroffener Arzt nicht hinnehmen und erwirkte beim LG München einen Beschluss, der dem Kläger verbot, öffentlich – auch im Internet ... continue reading

Ungeduldiges aus Karlsruhe zur Bundespräsidentenwahl

Pünktlich zur Wahl des neuen Bundespräsidenten ist der 3. Kammer des Zweiten Senats mal so richtig der Kragen geplatzt. Ein gewisser Dr. M. hatte sich aus irgendeinem Grund auf den Standpunkt gestellt, die Art und Weise, wie das Staatsoberhaupt gewählt wird, verstoße gegen das Grundgesetz: Unter anderem war er nicht damit einverstanden, dass Bürgerinnen und Bürger des Freistaats Bayern an der Wahl teilnehmen. Womöglich, weil Bayern damals dem Grundgesetz nicht zugestimmt hat oder was. Wie immer die Verschwörungstheorie des Dr. M. genau beschaffen war, jedenfalls bestand er darauf, das Bundesverfassungsgericht mit ihr zu beschäftigen. Ein Drang, von dem er auch ... continue reading

Die nicht so eilige Eilentscheidung zum Euro-Rettungsschirm

Warum hat das so lange gedauert? Das ist die Frage, die ich mir angesichts der heutigen Entscheidung des Zweiten Senats über den Gauweiler-Antrag gegen den Euro-Rettungsschirm stelle. Die Entscheidung, der Schachtschneider-Professorentruppe gegen den Griechenland-Bailout keine Einstweilige zu gewähren, erging schnell wie ein Fingerschnips. In der heutigen Entscheidung, die zum zwei Tage später beschlossenen Euro-Rettungsschirm erging, steht im Wesentlichen das Gleiche drin. Aber dafür brauchte der Zweite Senat mehrere Wochen. Wieso? Hat die Kraft der Klägerargumente sie in diesem Fall stärker beschäftigt, als Schachtschneider es konnte? Ultra ultra vires Gauweilers Bevollmächtigter Dietrich Murswiek, he of the Lissabon-Verfahren, argumentiert laut Klageschrift wie ... continue reading

Bundeswehreinsatz im Inneren geht das Parlament nichts an?

Ein „Parlamentsheer“ ist die Bundeswehr nur bei Einsätzen im Ausland. Soweit sie innerhalb der deutschen Grenzen Soldaten in Marsch setzt, braucht die Bundesregierung den Bundestag nicht zu beteiligen. Bundeswehreinsätze im Inneren gehen den Bundestag nichts an – so wenig, dass er sie nicht einmal per Organklage in Karlsruhe überprüfen lassen kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht soeben bekannt gegeben. Anlass war der Einsatz von Spähpanzern und Aufklärungs-Tornados gegen Demonstranten beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. Art. 87a II GG, der den Bundeswehreinsatz im Inneren auf konkret im Grundgesetz benannte Fälle beschränkt, hat laut 2. Senat nicht zum Zweck, die Kompetenzen des Bundestages ... continue reading

Karlsruhe nimmt Entparlamentarisierung durch EU pragmatisch

Der Zweite Senat betont immer wieder mal gerne, dass die europäische Einigung nicht zur Entparlamentarisierung in Deutschland führen darf. Jetzt hatte der Senat, genauer die aus den drei Erz-EU-Skeptikern Di Fabio, Broß und Landau bestehende 2. Kammer, Gelegenheit, damit mal so richtig ernst zu machen. Er hat diese Gelegenheit verstreichen lassen. Das ist die Kernbotschaft des heutigen Milchquoten-Nichtannahmebeschlusses. Geklagt hatten zwei Milcherzeuger aus Hessen und Thüringen, die offenbar mit einiger krimineller Energie versucht hatten, die europäischen Milchquotenregelungen auszutricksen. Sie hielten ihre strafrechtliche Verurteilung für verfassungswidrig: Die Strafbarkeit ihres Handelns ergebe sich aus einer Kette von Verweisungen vom Steuerhinterziehungstatbestand bis in ... continue reading

Karlsruhe pfeift kreatives Landessozialgericht zurück

Null Punkte für das LSG Baden-Württemberg: Das Bundesverfassungsgerichts stellt in einer gerade veröffentlichten Kammerentscheidung die Landessozialrichter in einer Weise in den Senkel, die an einen übellaunigen Korrekturvermerk unter einer missratenen Klausur erinnert. Das LSG hatte einem Pharmaunternehmen, das bei einer Vergabe leer ausgegangen und dagegen erfolglos Beschwerde eingelegt hatte, Gerichtskosten in Höhe von 62.700 Euro aufgebrummt. Sozialgerichtsverfahren sind bekanntlich kostenfrei, aber nur für Versicherte und Leistungsempfänger. Für andere, zum Beispiel Pharmaunternehmen, verweist § 197a SGG auf das Gerichtskostengesetz. Das LSG hatte von dieser Verweisung allerdings keinen Gebrauch gemacht, sondern sich durch freihändige Rechtsfortbildung einen eigenen Weg zur Kostenfestsetzung konstruiert. Das ... continue reading

Kein Bailout-Stop aus Karlsruhe

Jedenfalls keine einstweilige Anordnung: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat gestern Abend die fünf professoralen Euroskeptiker in ihrem Versuch, den Griechenland-Bailout per Eilantrag zu stoppen, abblitzen lassen. Vielleicht irre ich mich, aber mir scheint, dass der gestrige Beschluss nicht gerade von überschäumender Lust der Verfassungsrichter zeugt, diese Gelegenheit zum großen Ultra-Vires-Knall zu nutzen. Die Betonung, die auf die Einschätzungsprärogative der Bundesregierung gelegt wird, mitsamt Zitatverweis auf das Euro-Urteil – das scheint mir schon darauf hinzudeuten, dass sich der Senat hier um richterliche Zurückhaltung bemühen will. Möglicherweise kann der Senat die Verfassungsbeschwerde auch über eine formale Hürde stolpern lassen: Sie wurde ... continue reading