Articles for category: BVerfG

Asylrechtliche Einzelfallgerechtigkeit und Demokratieprinzip

Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit wurde eine Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs durch das Bundesverfassungsgericht auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft. Nachdem die gegen die Verwerfung des Parité-Wahlrechts durch den Verfassungsgerichtshof eingelegte Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen wurde, wählte die 3. Kammer des Zweiten Senats nun die verfahrensrechtliche Alternative der Nichtannahme zur Entscheidung wegen Unbegründetheit. Das eröffnet die Möglichkeit, zu den wesentlichen Streitfragen auch inhaltlich Stellung zu nehmen.

Prekariat Gefängnis

In seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden zweier Gefangener aus NRW und Bayern vom 20.6.2023 erklärt das Bundesverfassungsgericht die landesgesetzlichen Regelungen zur Vergütung von Gefangenenarbeit für mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG unvereinbar. Auf den ersten Blick ist die Entscheidung für die Beschwerdeführer ein Erfolg, da das BVerfG eine Verletzung ihres Grundrechts auf Resozialisierung durch die bestehenden landesrechtlichen Vorschriften anerkennt. Jedoch relativiert das Gericht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine angemessene Bezahlung von Gefangenenarbeit, indem es das Kriterium der Angemessenheit aufweicht. Klare Vorgaben in Bezug auf die Vergütung von Gefangenenarbeit sucht man in der Entscheidung vergeblich.

Der Gesetzgeber ist zu weit gegangen

Am 29. März 2023, veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht seine lang erwartete Entscheidung zum Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen. Kritiker des Gesetzes werden sich durch die Entscheidung bestätigt sehen, wenn auch nicht vollständig. Denn während das Gericht die Rechtsfolgen kritisiert, bestätigt es im Wesentlichen die Statusentscheidung des Gesetzgebers, Kinderehen, die vor dem sechzehnten Lebensjahr geschlossen wurden, für unwirksam zu erklären.

Zwei Jahre Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 wurde von der Deutschen Umwelthilfe als „die wohl bedeutendste Umweltschutz-Entscheidung in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts“ gelobt. Wenn man mit dem Abstand von zwei Jahren auf die Entscheidung und ihre (Nicht)Folgen sieht, muss die Bewertung deutlich nüchterner ausfallen. Zum einen wird meist übersehen, dass die unmittelbare Wirkung des Beschlusses denkbar gering war. Vor allem wird er aber von der Politik, von den Verwaltungsgerichten und sogar vom Bundesverfassungsgericht selbst nicht umgesetzt. Das Problem, wie effektiver Klimaschutz durchgesetzt werden kann, ist nach wie vor nicht gelöst.

A New Volume and an Old Error

It looked as if this useful series of red books had been dropped off or discontinued. However, in 2022, the Court published a voluminous book on the “General Right of Personality” (Article 2(1) Basic Law). The collection is interesting because it gives an impression of the many facets that the Court has found over time in Art. 2(1) Basic Law. But beyond that, the collection is also interesting as correction of an initial error of the Court, which, however, was never recognized as an error by the Court itself.

Opferrechte in der Sackgasse

Am 07. Januar 2005 verbrannte Oury Jalloh in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers in Dessau. Die Todesumstände gelten nach wie vor als nicht aufgeklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat nun die Verfassungsbeschwerde, mit der weitere Ermittlungen zum Tod von Oury Jalloh begehrt wurden, nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschluss erleichtert die Ablehnung von Klageerzwingungsanträgen und schwächt die Rechte von Opfern und Hinterbliebenen von Polizeigewalt.

Das Ende der „Schattenfinanzierung“ parteinaher Stiftungen

Mit Urteil vom 22.02.2023 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die bisherige staatliche Mittelvergabe an die parteinahen Stiftungen unter Aussparung der Desiderius-Erasmus-Stiftung die AfD in ihrer politischen Chancengleichheit verletzt. Was nach einem Sieg auf ganzer Linie für die AfD klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Pyrrhussieg – Geld für den gerügten Zeitraum vor 2021 wird die Desiderius-Erasmus-Stiftung (kurz: DES) wohl nicht bekommen und auch für die Zeit danach hängt vieles von der neuen gesetzlichen Regelung ab. Neben der Entscheidung in der Sache hat das Gericht auch noch einige bemerkenswerte Fingerzeige für eine gesetzliche Ausgestaltung gegeben, die sich zu beleuchten lohnen.

Handlungsbedarf im Gefahrenabwehrrecht

Mit einem Beschluss vom 9. Dezember 2022, bekannt geworden am 3. Februar 2023, hat das Bundesverfassungsgericht verschiedene Vorschriften des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes von Mecklenburg-Vorpommern für verfassungswidrig und nichtig bzw. (jedenfalls) unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Im Ausgangspunkt erfasst die Entscheidung allein Regelungen des Landesrechts eines einzelnen Bundeslandes. Jedoch ergeben sich Folgefragen und ‑probleme auch für andere (landes-) gesetzliche Regelungen, zumal schon die Vorgaben aus der vorangegangenen Entscheidung zum BKA-Gesetz aus dem Jahre 2016 bislang nicht überall und durchgängig umgesetzt worden sind.

Daumenschrauben für den Gesetzgeber

Was haben Annalena Baerbock, Marco Buschmann und Gregor Gysi gemeinsam? Sie und 213 andere Bundestagsabgeordnete von Grünen, FDP und Linken waren Antragsteller einer abstrakten Normenkontrolle, welche sich gegen die Erhöhung der staatlichen Parteienfinanzierung richtete, die die damalige Große Koalition 2018 beschloss. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Erhöhung nun für verfassungswidrig erklärt. Das Urteil vom 24.01.23 ist kein „drittes Parteienfinanzierungsurteil“, dafür mangelt es der Entscheidung an einem wirklichen inhaltlichen Umbruch. Neuland betritt das Gericht dann aber in der Folge durch die Herausarbeitung von prozeduralen und inhaltlichen Anforderungen an eine Erhöhung der absoluten Obergrenze.

Ein bisschen kleinlich

Nachdem es um die Parteienfinanzierung bald dreißig Jahre schon fast verdächtig still geworden war, hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom Dienstag dieser Woche erneut ein Ausrufezeichen gesetzt. Das Gericht kippte den Aufschlag, den der Gesetzgeber den Parteien mit dem Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 10. Juli 2018 genehmigt hatte; dadurch war das Gesamtvolumen der staatlichen Zuwendungen nach § 18 II PartG von 165 auf 190 Millionen Euro erhöht worden. Das Ergebnis war von meisten Beobachtern und auch von den Parteien selbst so vorhergesehen worden, aber die Begründung fiel am Ende doch anders aus als noch vor der mündlichen Verhandlung erwartet.