Articles for category: EuGH

“Sauvons l’Europe” applaudiert Karlsruher Lissabon-Urteil

Franz Mayer, der Bielefelder Europarechtler und Prozessvertreter des Bundestags im Lissabon-Verfahren, hat das Urteil des Zweiten Senats mit dem kopfschüttelnden Ausspruch „Rashomon in Karlsruhe“ bedacht: Vom begeisterten Integrationisten bis zum säuerlichsten Euroskeptiker, jeder findet etwas für seinen Geschmack darin. Die europhilen Blogger von Sauvons l’Europe haben sich die Entscheidung durchgelesen, und lo and behold: Sie finden sie ganz prima. Fern vom „souverainisme à la papa“ preisen sie die Ausführungen des Senats als gerechtfertigtes Plädoyer für demokratische Selbstbestimmung der Deutschen, und gegen die Ansage, ein europäischer Bundesstaat sei auf Basis des Grundgesetzes nicht zu machen, haben sie auch nichts einzuwenden: Ein ... continue reading

Joseph Weiler zum Lissabon-Urteil: milde und voller Verachtung

Vor 15 Jahren, als der Zweite Senat sein Urteil über den Maastricht-Vertrag fällte, gehörte Joseph H. H. Weiler zu den schärfsten Kritikern: Damals schreckte er nicht davor zurück, Kirchhof und Kollegen mit ihrer dubiosen Doktrin vom „homogenen Staatsvolk“ in die Nähe ethnischer Säuberungen zu rücken. Kirchhof und Böckenförde als Karadzic und Mladic von Karlsruhe – das war starker Tobak. Jetzt, nach dem Lissabon-Urteil, scheint Professor Weiler die Dinge deutlich milder zu betrachten. Das dürfte damit zusammenhängen, dass die Homogenitäts-Doktrin diesmal gottlob keine Rolle mehr spielt. Aber auch integrationspolitisch gibt sich Weiler in seinem Editorial zum jüngsten Heft des European Journal ... continue reading

EGMR schützt den Humor, nicht die Bigotterie

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat normalerweise nicht viel zu lachen. Die Berliner Eltern beispielsweise, die ihren Kreuzzug gegen das Pflichtfach Ethik auch nach zwei verlorenen BVerfG-Verfahren noch nicht aufgeben wollten, scheinen mir nicht mit einem Übermaß an Humor gesegnet zu sein. Jetzt haben sie auch in Straßburg verloren, und ihr Töchterlein wird künftig mit Heiden, Muselmännern und anderen der Verdammnis Anheimgegebenen die Ethik-Schulbank drücken müssen. Zitat aus der Pressemitteilung: It was not possible to deduce from the Convention a right not to be exposed to convictions other than one’s own. Zwei andere heute entschiedene Fälle verdienen ... continue reading

Innen und Justiz: Auch in Brüssel zwei Paar Stiefel

In der nächsten EU-Kommission wird es je einen Kommissar für Inneres und einen für Justiz geben: “Most governments, if not all governments in Europe, have a minister for justice and a minister for interior or security and internal affairs, so that’s one of the reasons I decided to have instead of one commissioner in charge of all these matters to separate [them] in the new Commission,” Barroso told a press conference today. So schreibt EuropeanVoice. Wir erinnern uns an Clements Versuch in NRW Ende der 90er, das Innen- und das Justizressort zusammenzulegen. Das ging nicht gut aus, und zu Recht. Der ... continue reading

Europäische Verfassungsgrundsätze

Allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts haben die Qualität europäischen Verfassungsrechts. Das hatte man sich denken können, aber so klar hat der EuGH dies noch nie gesagt wie jetzt im Fall Audiolux (C-101/08): Dabei ging es um die Frage, ob die Aktionärsgleichheit als ein solcher Grundsatz gelten kann. Kann er nicht, so der EuGH: Ein Grundsatz, wie er von Audiolux geltend gemacht wird, setzt gesetzgeberische Entscheidungen voraus, die auf der Abwägung der in Rede stehenden Interessen und im Vorhinein festgelegten klaren und detaillierten Regeln beruhen (…)   Die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts haben nämlich Verfassungsrang, während der von Audiolux geltend gemachte Grundsatz ... continue reading

Neues zu “Neues aus Karlsruhe zum EU-Haftbefehl”

Irgendwie häuft es sich in letzter Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht immer wieder die gleichen Fälle erneut auf den Tisch bekommt. Am 3. September hatte die 2. Kammer des Zweiten Senats einem Deutsch-Griechen zu seinem Recht verholfen, der in Griechenland wegen einer nach deutschem Recht verjährten Tat gesucht worden war. Anschließend hatten die Griechen einfach einen neuen Haftbefehl erlassen, und dann wenig später noch einen dritten – wegen ganz anderer Taten als beim ersten Mal. An Tatvorwürfen gegen den Mann scheint kein Mangel zu herrschen: Diesmal soll er dem griechischen Staat zur Olympiade 2004 ein Sicherheitssystem verkauft haben, das er von ... continue reading

Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig (in Rumänien)

Das rumänische Verfassungsgericht hat laut Heise die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Wie die Richter dabei mit der dazugehörigen EG-Richtlinie umgegangen sind, geht weder aus dem Bericht noch aus der zugrundeliegenden Agenturmeldung hervor. Das wäre ja mal ganz interessant… Eine Originalquelle ist nirgends zu finden (kann eh kein rumänisch). Die Website des Verfassungsgerichts zeigt dagegen eindrucksvoll, zu welch lausiger Pressearbeit Verfassungsgerichte anderenorts fähig sind. Dafür ist der Senatssaal ziemlich klasse:

Das grausige Schicksal der Staatenlosigkeit

Staatenlos – das klingt wie ein Anachronismus, wie tiefstes 20. Jahrhundert, das klingt nach Nansen-Pass und Schwarzweißfilmdrama. Der Fall Rottmann, anhängig vor dem EuGH und gestern von Generalanwalt Maduro im Schlussantrag begutachtet, hat etwas zutiefst Gruseliges in diesen Zeiten nationaletatistischer Reaktion. Im Kern sagt Maduro: Jawoll, es kann einem EU-Bürger passieren, dass er plötzlich ohne Staatsangehörigkeit dasteht. Die EU-Bürgerschaft schützt ihn nicht davor. Der Österreicher Janko Rottmann hatte in München die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt und dabei verschwiegen, dass er daheim in Graz wegen schweren gewerbsmäßigen Betruges gesucht wurde. Das blieb den bayerischen Behörden aber nicht lange verborgen, und so entzogen ... continue reading

An Deutschland wird Lissabon nicht mehr scheitern

Das ging schnell, und das Ergebnis ist erfreulich eindeutig: Das BVerfG hat den vorerst letzten Versuch, den Lissabon-Vertrag doch noch zum Platzen zu bringen, im Ansatz gestoppt. Die 2. Kammer des Zweiten Senats – Besetzung: Broß (!), Di Fabio (!!), Landau (!!!) – hat die Verfassungsbeschwerde gegen die Begleitgesetze nicht zur Entscheidung angenommen. Und Köhler hat heute unterschrieben. Ein Ende macht die Kammer auch der Murswiek-Saga, dass das Lissabon-Urteil eine Ratifikation des Vertrags nur unter völkerrechtlichem Vorbehalt zulasse: Dafür sei überhaupt keine Notwendigkeit erkennbar, so die Kammer knapp und kühl. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 30. Juni 2009 entschieden, ... continue reading

US-Repräsentantenhaus: Von wegen one man, one vote

Das BVerfG hat im Lissabon-Urteil – wir erinnern uns – dem Europäischen Parlament den Bescheid ausgestellt, gar kein richtiges Parlament zu sein: weil in Malta viel weniger Wähler nötig sind, um einen Abgeordneten nach Brüssel zu schicken, als in Deutschland. Was gegen „one man, one vote“ verstoße. Derartig ausgeprägte Ungleichgewichte werden in föderalen Staaten regelmäßig nur für die zweite Kammer neben dem Parlament – in Deutschland und Österreich entspricht dieser zweiten Kammer der Bundesrat, in Australien, Belgien und den Vereinigten Staaten von Amerika der Senat – toleriert. Sie werden aber nicht in der Volksvertretung selbst hingenommen, weil diese sonst das Volk nicht ... continue reading