Articles for category: Gerichte

Full House in Karlsruhe

Gestern begann die mit Spannung erwartete mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition. Zwei Tage verhandelt der Zweite Senat über die Frage, ob die Einführung der Zweitstimmendeckung und der Wegfall der Grundmandatsklausel mit dem Grundgesetz vereinbar sind oder nicht. Viel Prominenz aus Politik und deutscher Staatsrechtlehre sorgen für – so hat es Vizepräsidentin Doris König ausgedrückt – „Full House“ in Karlsruhe. Nach einem humorvollen Auftakt dürften die Beteiligten versuchen, am heutigen zweiten Tag ihre Asse auszuspielen.

Gewalt als körperliche Zwangswirkung

Sitzblockaden gelten gemeinhin als Form des friedlichen Protests. Die Strafgerichte sehen in der Störung der freien Fahrt der Autofahrer:innen jedoch eine Nötigung durch „Gewalt“ nach § 240 StGB. Aus unserer Sicht setzt Gewalt dagegen eine Einwirkung auf den Körper des Opfers voraus. Der Gewaltbegriff der Zweite-Reihe-Rechtsprechung verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG und führt auch strafrechtsintern zu gravierenden Unstimmigkeiten.

Without a Doubt

The German Federal Court of Justice recently announced that the exclusion of functional immunity for foreign state officials in cases of international crimes is “without a doubt” part of customary international law. Like many others in academic literature, we agree with this conclusion – the German government would be well advised to embrace it and put an end to its long-standing ambiguous position on the matter.

Menschenrecht auf Klimaschutz als »lebensrettende Behandlung«?

Manuela Niehaus verteidigt die menschenrechtsgestützte Klimarechtsprechung – insbesondere des EGMR – gegen meine Kritik. Es handele sich nicht um „Globuli für Umweltjuristen“, sondern um ein potentiell lebensrettendes Medikament, das – im Zusammenspiel mit anderen Mitteln – einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten könne. Das sehen sicher viele ähnlich und darum bin ich dankbar für Niehaus Argumente und für ihren sanften Spott. Ihr Spott trifft mich zu Recht, ihre Argumente aber überzeugen mich nur sehr teilweise.

Die erste von drei Säulen

Es ist gut, dass das Bundesministerium der Justiz vor Ostern nach längerer öffentlicher Debatte einen ersten Arbeitsentwurf zur Änderung von Art. 93 und 94 GG zur Stärkung der Stellung des Bundesverfassungsgerichts vorgelegt hat. Es ist auch gut, dass die CDU/CSU wieder bereit ist, mit den Regierungsparteien zu diskutieren und an den konkreten Vorschlägen mitzuarbeiten. Von den drei Säulen der aktuellen Resilienzdiskussion – Statusregeln, Zweidrittelmehrheit und Verfahrenssicherung – wird offenbar nur die erste thematisiert.

Climate Litigation Reaches Italian Courts

With Giudizio Universale, climate litigation has found its way to Italy. This case has many aspects in common with the general transnational phenomenon, both in terms of the structure and content of the legal arguments used. The case highlights the difficulties that courts face in view of the high social expectations connected to this kind of proceedings.

Globuli für Umweltjuristen

Sind Gerichte als Institutionen des einzelfallbezogenen Rechtsschutzes geeignete Einrichtungen zur Bewältigung der Klimakrise? Könnten sie die sicherlich notwendigen gesamtgesellschaftlichen und globalen Transformationsprozesse anleiten? Bernhard Wegener bezieht klar Stellung gegen die „zuckersüße Illusion von Climate Justice“. 

Das Ende des parlamentarischen Konsensprinzips?

Am Mittwoch verhandelte das Bundesverfassungsgericht zu zwei Organstreitverfahren der AfD-Bundestagsfraktion gegen den Bundestag und verschiedene Bundestagsausschüsse. Das erste Verfahren richtet sich gegen die Abwahl des Abgeordneten Stephan Brandner als Vorsitzenden des Rechtsausschusses in der vergangenen Legislaturperiode, das zweite Verfahren betrifft die „Nichtwahl“ der AfD-Kandidaten für den Vorsitz von Innenausschuss, Gesundheitsausschuss und Entwicklungsausschuss in der laufenden Legislaturperiode. Die mündliche Verhandlung verstärkte den Eindruck, dass bewährte Parlamentstraditionen, die auf konsensualem Zusammenwirken aller Fraktionen basieren, mit dem Einzug der AfD in den Bundestag kaum noch zukunftsfähig sind.

CILFIT in Strasbourg

On 19 February 2024, the European Court of Human Rights decided not to answer the Estonian Supreme Court’s request for an advisory opinion on the basis of Protocol 16 (P16). For the first time, it dismissed a request because it did not concern a question of principle concerning the interpretation and application of ECHR rights. The decision is significant because the ECtHR provides clear contours as to what types of questions courts should (not) ask.