Articles for category: Lektürenotizen

Koffer auspacken 2013: Martti Koskenniemi

Zwei Graphic Novels hatte Martti Koskenniemi als Sommerlektüre im Gepäck, außerdem Bücher über Heidegger, Thomasius und Christian Wolff, Romane über Triest und die Parodie des akademischen Konferenzwesens sowie ein australischer Roman, der ihm ziemliche Mühe bereitet...

Verfassungskult per Infografik

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. So lautet eine alte, bis zur Abgedroschenheit wiederholte Zeitungsmacherweisheit. Misstrauisch sollte einen dabei schon die Tatsache stimmen, dass einem so leicht kein Bild einfällt, das diese Weisheit besser transportieren könnte als diese sieben Worte, aber gut: es ist schon etwas dran. Wer jemals eine Straßenkarte benutzt hat, weiß deren Überlegenheit gegenüber jeder noch so präzisen Wegbeschreibung zu schätzen. Das Buch „Die Verfassung verstehen“, aus der Diplomarbeit eines jungen Grafikdesigners entstanden und von einem kleinen Typografie-Fachverlag mit viel Enthusiasmus und handwerklichem Können herausgebracht, unternimmt den Versuch, diese Weisheit auf die Welt der Verfassungsdidaktik zu ... continue reading

Der hochfliegende Versuch, die Welt zu ordnen

Dass dieses Buch in Deutschland genau zu dem Zeitpunkt erscheinen würde, da die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer kriegerischen Intervention des Westens in Syrien die Schlagzeilen beherrscht, konnten Autor und Verlag vielleicht ahnen, aber nicht wissen. Ein Zufall ist diese Koinzidenz dennoch nicht. Selten hat ein Werk der Geschichtsschreibung einen so klaren Fluchtpunkt in der Gegenwart wie dieses. Das macht die Lektüre spannend, aber auch heikel: Nicht immer eignet sich die Weitsicht des Historikers, ein scharfes Bild dessen zu bekommen, was sich direkt vor unserer Nase abspielt. Mark Mazower, gebürtiger Brite, lehrt als Historiker an der Columbia-Universität in New York und ... continue reading

Island, Occupy und der kurze Sommer der Anarchie

Ich bin gestern aus Island zurückgekehrt, wo ich knapp zwei Wochen lang mit meiner Familie durchs Land gereist bin. Meine Faszination für dieses entlegene Stückchen Vulkangestein im Nordatlantik ist entstanden, als ich vor zwei Jahren im Auftrag der WELT nach Reykjavik fuhr, um das isländische Verfassungsexperiment aus der Nähe zu beobachten. Diesmal stand vor allem Gletscher gucken, in heißen Quellen plantschen und im Mitternachtssonnenuntergang in Klippen herumklettern im Programm - aber auch verfassungspolitisch hört diese Insel nicht auf, mich aufs Tiefste zu faszinieren.

Theater und Wettkampf

Es tut ja immer mal ganz gut, als Jurist den Gegenstand des eigenen Nachdenkens aus dem Blickwinkel einer ganz anderen Disziplin vorgeführt zu bekommen. Dazu hatte ich heute beim Wissenschaftskolleg Gelegenheit, wo Alexandra Kemmerer und Markus Krajewski das posthum erschienene Buch der viel zu früh verstorbenen Weimarer Medienwissenschaftlerin Cornelia Vismann vorstellten: „Medien der Rechtsprechung“. Im Mittelpunkt des Buches steht eine Unterscheidung zwischen zwei Mustern oder „Dispositiven“, wie Vismann das nennt, die beide seit der Zeit des antiken Griechenland den Gerichtsprozess auf ganz unterschiedliche Weise prägen: Das Theater und der Wettkampf. Im theatralen Dispositiv geht es darum, ein Verbrechen, einen Anspruch ... continue reading

Die Fastenpredigt des Verfassungsrichters

Buchrezension für Deutschlandradio Kultur Udo Di Fabio: „Wachsende Wirtschaft und Steuernder Staat“, Berlin University Press, Berlin 2010, 225 Seiten Fünf Jahre ist es her, dass Udo Di Fabio ein berühmter Mann wurde: 2005 veröffentlichte der Staatsrechtsprofessor und Verfassungsrichter sein Buch „Die Kultur der Freiheit“. Darin forderte er die Deutschen derart unverbrämt zur Rückkehr zu Nation und Seitenscheitel, zu Fleiß und Vaterlandsliebe, zu Kirchgang und Kinderkriegen auf, dass der Kritik über so viel Mut zur Reaktion der Atem stockte. Das Buch wurde ein Bestseller. Seitdem ist viel passiert. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Welt erschüttert. Ein Scheitern der europäischen Einigung ... continue reading

Zu viel Geschichten, zu wenig Geschichtsschreibung

Wie kann es sein, dass einer Haus und Hof und sein gesamtes Hab und Gut verkaufen, verschenken oder vererben kann? An einen Wildfremden womöglich? Und was wird aus der Familie? Aus Frau, Söhnen, Töchtern, anderen Verwandten? Darf der das? Nur, weil der das so will? Das soll Recht sein? Sich mit Rechtsgeschichte zu befassen heißt, im scheinbar Selbstverständlichen das Unwahrscheinliche, das Enorme zu erkennen. Das, was heute Recht ist, ist es meist irgendwann erst geworden. Wie hat sich das zugetragen, und warum? Welche historische Situation hat die Ausdifferenzierung eines bestimmten Rechts erzwungen oder, je nachdem, behindert? Rechtsgeschichte ist eine juristische ... continue reading

Eine verpasste Chance, ein wirklich gutes Buch zu schreiben

Nichts weniger als die „Domestizierung einer Illusion“ verspricht uns Jörg Fisch laut Untertitel seines Buches über das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Das ist ein großes Wort, wie überhaupt das Buch große Erwartungen weckt: Seit mehr als zweihundert Jahren hält die Idee, dass jedes Volk ein Recht auf einen eigenen Staat hat, die Weltgeschichte in Aufruhr. Seit der Unabhängigkeitserklärung der nord- und südamerikanischen Staaten gehört sie zum Inventar der Diplomatie, seit den UN-Menschenrechtspakten von 1966 ist sie verbindliches Völkerrecht. Sie zersprengte die großen Imperien der Kolonialreiche, sie befreite die Völker Afrikas und Asiens aus der europäischen Fremdherrschaft. Erst in letzter Zeit, so ... continue reading

Fluch der Karibik: Von Tortuga Bay bis Guantanamo

Daniel Heller-Roazen: Der Feind aller. Der Pirat und das Recht. S. Fischer, 2010 Von der Antike bis heute werden Waren vorzugsweise auf dem Seeweg transportiert. Das ist nicht nur billig und schnell, sondern hat auch den Vorteil, dass man nicht ständig das Hoheitsgebiet von Staaten durchqueren muss, deren Zöllner an jeder Grenze erneut die Hand aufhalten. Das offene Meer gehört niemandem. Kein Staat kann dort draußen sein Recht und seine Ordnung durchsetzen. Die Kehrseite: Dort draußen im rechtsfreien Raum, da lauern die Piraten. Das Verhältnis von Staat und Piraterie ist der Gegenstand des neuen Buches von Daniel Heller-Roazen. Der Komparatistikprofessor ... continue reading