Articles for category: Tagungsberichte

Was hilft mir das Recht auf Vergessen, wenn ich nicht für mich sein kann?

Privacy heißt, für mich bleiben zu können. Eine Grenze ziehen zu dürfen zwischen mir und der Gesellschaft, ab der sie mich in Ruhe lassen muss und ich von ihrer moralischen, politischen und ökonomischen Inanspruchnahme unbehelligt bleibe. Mich undurchsichtig machen, mich verhüllen, mich verbergen zu dürfen, in meinen Kleidern am Leib, in den Wänden meiner Wohnung, in meiner eigenen Person. Das Google-Urteil des EuGH hat eine Menge Kritik erfahren, weil es das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Meinungsfreiheit derer, die Informationen verbreiten wollen, nicht ausreichend schützt. Sollten wir uns nicht mindestens genau so viel Sorgen um jenes Recht auf Privacy machen, das das Google-Urteil eigentlich schützen soll? Reflexionen über das Recht auf Vergessen anlässlich eines Vortrags von Jack Balkin zu Freedom of Speech im Überwachungsstaat.

Justice Sotomayor in Berlin: Werk und Autor am US Supreme Court

Sonia Sotomayor: Latina, progressiv, auskunftsfreudig. Clarence Thomas: schwarz, konservativ, verschlossen. Wenn es um Diskriminierungs- und Minderheitenfragen geht, ist der jeweilige Ansatz bei der Verfassungsinterpretation der beiden Richter am US Supreme Court untrennbar mit ihren politischen Ansichten verbunden, die wiederum Resultat ihrer eigenen Lebenserzählung sind.

Wie „Habeas Corpus“ die Speziesgrenze transzendieren könnte

Ist „Person“ eine abgeschlossene rechtliche Kategorie, die außer dem Homo sapiens keiner weiteren Spezies mehr offen steht? Schon seit einigen Jahren empfehlen sich Schimpansen und andere Non-Homo-sapiens-Menschenaffen als mögliche Kandidaten. Der Diskurs um deren Rechtsstatus wird nicht nur de lege ferenda geführt. Und er ist nicht nur theoretisch.

Hoffnung jenseits der Illusion: Global Animal Law

„Global Animal Law“ glänzte bis vor wenigen Jahren primär durch seine Absenz. Trotz der Tatsache, dass sich dieses Rechtsgebiet in statu nascendi befindet, vermochten die ReferentInnen des Panels bemerkenswert komplexes und packendes Wissen zu vermitteln. Der „Animal Turn“ wurde in diesem Panel nicht nur im klassischen Sinne als Wendepunkt aufgefasst, sondern ist als Ausgangspunkt einer ganz neuen Debatte zu verstehen.The "animal turn" in this panel was not only understood in its traditional sense as a turning point, but to some extent also as the starting point of completely new debates. Until few years ago, global animal law was notable primarily for its absence. Despite the fact that this field of law is still in its nascent state, the panelists successfully transmitted remarkably complex and thrilling knowledge.

Tiere im Recht – ein neues Rechtsgebiet in Europa?

Am 4. und 5. April kamen an der juristischen Fakultät der Universität Basel Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler und Vertreterinnen anderer Disziplinen zur ersten jährlichen europäischen Tierrechtskonferenz zusammen. Ein breiter interdisziplinärer Ansatz versprach den Animal Turn in the Law aufzugreifen. Am Anfang stand dabei die rechtsphilosophische Frage, wie sich das Thema Tiere im Recht zu der seit einigen Dekaden bestehenden Tierrechtefrage der Tierethikdiskussion verhält. Gibt es eine Mensch-Tier-Grenze? Wie betrachten wir eigentlich andere Tiere?On 4 and 5 April 2014 the first European Annual Animal Law Conference took place in Basel´s law faculty, Switzerland. The first panel involved the human animal boundary from a biological – philosophical approach, the second panel concerned global animal law, the third panel was called “Are animals the New Women?” and the fourth panel finally discussed ground-breaking cases in animal law.

Zahlendämmerung

Gerichte legen das Recht nach normativen Kriterien aus und wenden es an, sogar bei Verfassungsgerichten in zigtausend Fällen. Bislang bewertete die kommentierende Rechtswissenschaft, ob die Gerichte richtig lagen. Ein relativ neuer Trend – jedenfalls in der hiesigen Rechtswissenschaft – will nicht bewerten, sondern erfasst, wie aktivistisch, wie moralisch, wie wortlautfixiert ein Gericht urteilt. Aber auch dies war und ist ein Anspruch vieler in der Rechtswissenschaft – nur verließ man sich in der Vergangenheit auf das individuelle Expertenurteil. Der neue Genosse der Rechtswissenschaft ist nun die Zahl: Z.B. sollen uns die Werte 0,7, 0,2, 0,5 sagen, wie es um die aktivistische Einstellung eines Gerichts oder die Interpretationsoffenheit einer Verfassung bestellt ist. Woher kommt das Bedürfnis nach der Zahl?

Wie EGMR und nationale Gerichte gemeinsam den Menschenrechtsschutz verbessern können

Einen großen Beitrag zur Diskussion über die Reform des Straßburger Systems leistete am vergangenen Wochenende eine Konferenz in der Göttinger Paulinerkirche, die von Anja Seibert-Fohr, Professorin in Göttingen und Mitglied des UN-Menschenrechtsausschusses, und dem EGMR-Richter Mark E. Villiger organisiert worden war. Unter der Überschrift „Judgments of the European Court of Human Rights – Effects and Implementation“ wurden in transnationaler Perspektive neue Wege diskutiert, wie das Zusammenspiel zwischen der Rechtsprechung des Gerichtshofes und ihrer innerstaatlichen Durchsetzung verbessert werden kann.

Die Frage nach der Menschenwürde, und wofür sie gut ist

Dafür, dass die Menschenwürde der Haken sein soll, an dem zumindest bei uns in Deutschland die gesamte Grundrechtsordnung hängt, haben wir bemerkenswert ungenaue Vorstellungen darüber, was damit eigentlich gemeint ist. Um dem abzuhelfen hat „Recht im Kontext“ dieses Jahr erneut eine Runde von illustren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um den Konferenztisch des Wissenschaftskollegs versammelt. Gestern und heute haben sie so ziemlich jeden Stein umgedreht, den es in diesem Bereich umzudrehen gibt. Und wie so oft wissen wir die Antwort immer noch nicht – aber die Frage und all ihre Verworrenheiten und Implikationen kennen wir dafür um so genauer. Essentialia Einige Teilnehmer ... continue reading

Hans Joas wider den westlichen Menschenrechte-Triumphalismus

Wenn die Idee der Menschenrechte ein Kennzeichen der westlich-europäischen Kultur ist, Fluchtpunkt der christlich-jüdischen und humanistisch-aufklärerischen Stränge ihrer jahrtausendealten Geschichte – wie kann es dann sein, dass den größten Teil dieser Geschichte Sklaverei und Folter von Europäern legal und ohne großen Skandal praktiziert wurde? Diese Frage stand im Mittelpunkt der „Rechtskulturen Lecture“ des katholischen Sozialphilosophen und Ideenhistorikers Hans Joas, mit der die zweitägige Konferenz zum Begriff der Menschenwürde am Wissenschaftskolleg in Berlin heute Abend eingeleitet wurde. Joas zählt zu den schärfsten Kritikern des westlichen Menschenrechte-„Triumphalismus“. Und wer ihm heute zuhörte, dürfte, sofern Europäer, in seiner Neigung zur menschenrechsthistorischen Selbstgefälligkeit einen ... continue reading

Transnationale Gerechtigkeit meets Global Constitutionalism

Am Montag hatte ich das Privileg, in Hamburg einen Roundtable zu moderieren, an dem Rainer Forst sowie vier der fünf Herausgeber der Zeitschrift Global Constitutionalism Platz genommen hatten. Es ging um Forsts Theorie transnationaler Gerechtigkeit im Kontext globaler Konstitutionalisierung. Die Diskussion mit Antje Wiener, James Tully, Anthony Lang und Mattias Kumm sowie vielen klugen Fragestellern im Publikum war sehr lebhaft und spannend. Hier der Videomitschnitt zu der Veranstaltung.