Articles for category: Tagungsberichte

Man kann Rührei nicht wieder trennen

Ist die Euro-Krise die Chance, endlich ein demokratisches Europa zu gründen? Oder ist sie vielmehr der Beweis, dass es höchste Zeit ist, umzukehren und sich auf das nationale Eigene zurückzubesinnen? Zwei Schwergewichte unter den Exponenten dieser beiden Sichtweisen trafen letzte Woche in Berlin bei einer Tagung zum Thema „Grenzen der europäischen Integration“aufeinander, zu der der Gesprächskreis Recht und Politik um Franz Mayer (Bielefeld), Claudio Franzius (Hamburg) und Jürgen Neyer (Frankfurt/Oder) sowie die Friedrich-Ebert-Stiftung geladen hatten. Während der Sozialphilosoph Jürgen Habermas (Starnberg) für die Stunde der europäischen Verfassungsgebung focht, nahm  Fritz Scharpf (Köln), der emeritierte Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, den ... continue reading

Die Menschenwürde-Müdigkeit der Juristen

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Kein anderer Satz unserer Verfassung ist so populär, so sehr geflügeltes Wort wie dieser. Wer ihn in der Suchmaschine Google eingibt, erhält mehr als 800.000 Treffer – all die sarkastischen Abwandlungen und Verballhornungen nicht mitgezählt. Dieser erste Satz des Grundgesetzes spricht die Deutschen an. Er bewegt sie. Sie können etwas mit ihm anfangen – mit dem ungeheuren Versprechen, das er gibt, mit der Spannung, die er zur nur allzu oft menschenunwürdigen Wirklichkeit aufreißt. Wenn die Deutschen einen Satz aus ihrer Verfassung im Munde führen und im Herzen tragen, dann diesen. Das steht in merkwürdigem ... continue reading

Was die Eurokrise und die Zukunft der EMRK miteinander zu tun haben

Ich komme gerade von einer sehr hochkarätig besetzten Konferenz des Gesprächskreises Recht und Politik und der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema „Grenzen der europäischen Integration“. Habermas war da, und Fritz Scharpf und viele andere, und darüber, was sie zur Euro-Krise und ihren Auswirkungen auf die EU gesagt haben, werde ich einen gesonderten Text für die FAZ schreiben. Hier will ich einstweilen einen anderen Punkt aufgreifen, auf den Georg Nolte heute hingewiesen hat, der Staatsrechtler von der Humboldt-Universität. Es geht um den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Über die Pläne der Briten, dieser ehrwürdigen und wichtigen Institution ein paar Zähne zu ziehen, habe ... continue reading

A Human Rights Litigator’s Misgivings

Taking human rights violators to court can’t be a bad thing, can it? Old Augusto Pinochet (Foto) thought he’d get away with all the atrocities he committed in Chile, but no: A spanish judge had him arrested in London, and that sort of cracked the consensus in Chile that the success of democratic transition depends on leaving  uniformed torturers untouched. The general had to face justice after all (although he never spent a day in jail in the end). South American military dictators like Chile’s Pinochet and Argentina’s Videla might be prime examples of successful human rights litigation: Victims have ... continue reading

Das wichtigste Gericht der Welt

Europa hat generell keine so dolle Presse im Moment, und auch der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrem Straßburger Gerichtshof bläst seit einiger Zeit der Wind des wiedererstehenden Nationalismus mächtig ins Gesicht. Um so erfrischender bzw. (je nach Perspektive) erstaunlicher war es, gestern dem amerikanischen Politologen, Europaspezialisten und Verfassungsvergleicher Alec Stone Sweet aus Yale zu lauschen. Dieser stellte im Wissenschaftskolleg vor dem Berliner Seminar von „Recht im Kontext“ einen Aufsatzentwurf zur EMRK als „kosmopolitischer Rechtsordnung“ zur Diskussion. Und aus Stone Sweets amerikanisch-politologischer Außenperspektive scheint kaum ein Wölkchen den Straßburger Horizont zu beschatten: Jedenfalls gilt sein wissenschaftliches Interesse weit mehr der Erfolgsstory als ... continue reading

Konfiktbereitschaft schafft Vertrauen

Dieser Artikel ist heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen. Von Maximilian Steinbeis Das Bundesverfassungsgericht ist die Institution, dem die Deutschen am meisten vertrauen. Dieses Vertrauen nimmt gelegentlich Züge innigster Verehrung an, vor allem in diesen Tagen, da es anlässlich seines 60. Geburtstags gelegentlich sogar als „Gnadenort“ und „Wunder von Karlsruhe“ (Heribert Prantl) in die Sphäre des Numinosen erhoben wird. Wissenschaft dient, anders als mancher Journalismus, der Aufklärung, und so wehte denn auch bei einer Konferenz von Politologen und Verfassungsjuristen an der Berliner Humboldt-Universität letzten Freitag zum Thema „Verfassungsgerichtsbarkeit in politischen Transformationsprozessen“ ein spürbar kritischerer Geist. Das Bundesverfassungsgericht hat keine ... continue reading

Constitutional Justices have feelings too, you know

Susanne Baer, the newest member of the Federal Constitutional Court, appointed in Novemer 2010, has been long enough in office to know all about the ways and mores of that venerable institution, but not long enough to lose her scientist’s disposition to ponder and wonder how this thing actually works, as well as her refreshing openness about sharing her thoughts and feelings. Yesterday I heard her speaking at a conference on „Constitutional Courts and their Role in Political Transformation Processes“ at Humboldt-University here in Berlin. Her topic was „the daily life experience at the court“ – a number of unsystematic, ... continue reading

Das Bundesverfassungsgericht und die entfesselte Exekutive

Das Bundesverfassungsgericht wird in diesem Monat 60 Jahre alt. Das wird bestimmt zu allen möglichen Laudatien und andachtsvollen Gratulationsadressen Anlass geben, die diese sechs Jahrzehnte als beispiellose Erfolgsgeschichte nacherzählen, als Aufstiegsnarrativ from rags to riches, vom Neuling auf der Verfassungsbühne, der sich ab 1951 den Respekt von Politik und Justiz erst kämpferisch erwerben musste, über die spektakulären Heldentaten von Lüth und Elfes, bis hin zur Etablierung als populärstem Verfassungsorgan, als „Ersatzkaiser“ und Exportschlager, überall in der Welt nachgeahmt und selten erreicht. Das ist alles ganz gut und richtig. Aber viel interessanter ist eigentlich die Frage, ob und wo es Anlass ... continue reading

Blogs in den Sozialwissenschaften

Ein kollaborativer Bericht vom Berliner Theorieblog-Workshop am 9. April 2011 Wie wichtig sind Offline-Aktivitäten für Blogs? Das Ergebnis des Workshops, zu dem das Team des Theorieblogs am 9. April an die Humboldt-Uni eingeladen hatte, war eindeutig: Offline ist – trotz aller Blogeuphorie – unersetzbar. Rund 15 BloggerInnen (plus sieben TheoriebloggerInnen) folgten der Einladung, sich über das eigene Tun auszutauschen und sich nicht nur virtuell, sondern auch ganz klassisch zu vernetzen. Drei thematische Blöcke – 1) Was macht einen guten Blogbeitrag aus? 2) Blogs und ihre Leser 3) Blogs und Öffentlichkeit – strukturierten den Tag. Doch in den Diskussionen zeigte sich ... continue reading

Recht jenseits von Schrift

Ralf Zosel von Beck Online hat mich zum Verfassungsblog interviewt und das Ergebnis als Podcast online gestellt. Wir hatten uns auf der 2. Münchner Tagung zu Rechtsvisualisierung und multisensorischem Recht kennengelernt – eine sehr spannende Veranstaltung: Im Mittelpunkt stand die Beobachtung, dass sich Recht nicht länger allein schriftlich-textuell verstehen lässt, sondern sich zunehmend in Bild, Ton etc. verkörpert. Ein Beispiel, das mir besonders einprägsam erschien: Im IT-Recht werden Powerpoint-Slides mit Grafiken zu Vertragsbestandteilen gemacht. Initiatorin Colette Brunschwig von der Universität Zürich hat dafür den Begriff multisensorisches Recht geprägt. Ich bin nicht sicher, ob das die Sache trifft. Das Kennzeichnende ist ... continue reading