Articles for category: Thüringen-Projekt

Doppelt hält besser

Der „Hüter der Verfassung“ muss besser behütet werden – darüber besteht in der aktuellen Debatte weitgehende Einigkeit. Der vorzugswürdige Lösungsweg besteht in einer intensivierten Einbindung des Bundesrats. Die Repräsentation der Länder sorgt für demokratische Legitimation des Gerichts und eignet sich als Ersatzventil für eine Richterwahl, die im Bundestag durch eine Sperrminorität blockiert wurde. Zudem ist die Einführung einer Zustimmungspflicht bei Änderungen am BVerfGG sachgerecht, um die Rechtsgrundlage des Verfassungsgerichts vor einer destruktiven Bundestagsmehrheit zu schützen.

Die Voraussetzungen fördern oder „How Democracies Survive“

Das Böckenförde-Diktum ist so ein Satz, auf den sich auch in unsicheren Zeiten viele einigen können. Statt sich in ständiger Reproduktion des „Böckenförde-Diktums“ und gekünstelter Neutralität auf der Stelle zu drehen und dabei allenfalls „midcult“ zu betreiben, sollten auch die Verantwortlichen im Bereich der Demokratieförderung diese Tiefe endlich ausschöpfen. Die Strukturentscheidungen des Grundgesetzes sind als Aufruf dafür zu verstehen.

Wie klage ich meinen Landrat weg?

In Thüringen finden am 26. Mai 2024 Kommunalwahlen statt. Vergangene Woche hat der Wahlausschuss des Landkreises Hildburghausen Tommy Frenck mit drei zu zwei Stimmen als Kandidaten zugelassen und damit vorläufig die nötige Verfassungstreue attestiert. Sollte der Rechtsextremist zum Landrat gewählt werden, steht den Wahlberechtigten ein bislang wenig beachteter Weg offen, um diese Einschätzung gerichtlich überprüfen zu lassen: In Thüringen kann jede*r Wahlberechtigte mit einer Wahlanfechtung als Quasi-Popularklage die Verletzung der Wählbarkeitsvoraussetzungen vor den Verwaltungsgerichten geltend machen.

Offene Flanken der Brandenburger Justiz

Die seit dem Beginn der Rechtsstaatskrise in Polen (2015) geführte Debatte über die unzureichende Resilienz der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit steht mit zwei konkreten Entwürfen zur Änderung von Art. 93 und 94 GG auf der Zielgeraden. Zur Stärkung der Resilienz des Thüringer Verfassungsgerichtshofes hat das Thüringen-Projekt jüngst konkrete Vorschläge unterbreitet. Bislang nicht im Fokus der Debatte stand die Justiz in Brandenburg. Angesichts der Konsequenzen, die ein Erstarken solcher Kräfte hätte, besteht noch vor der Wahl Handlungsbedarf.

Kein Kniefall vorm Gericht

Eine klaffende Lücke im Rechtsschutzsystem der Bundesrepublik gäbe einer autoritär-populistischen Regierung die Möglichkeit, sich aus eigener Machtvollkommenheit über Gerichtsentscheidungen hinwegzusetzen – ohne nennenswerte Konsequenzen. Denn einer Regierung, die Urteile missachtet, setzen Gerichte kaum etwas entgegen. Deshalb soll das verwaltungsprozessuale Zwangsvollstreckungsrecht reformiert werden. Die geplanten Änderungen werden aber nicht für mehr Resilienz gegen exekutiven Ungehorsam sorgen.

Das ist Kunst, das kommt weg

Auch ohne Beteiligung einer autoritären Partei an einer Regierung hat der sog. „Kulturkampf von Rechts“ längst begonnen und zeitigt Erfolge. Nicht nur in Thüringen oder in Deutschland, sondern auch international dient Kultur als Strategie der Polarisierung. Sie bietet ein besonders wirksames, oft unterschätztes Feld für Legitimationsnarrative, denn sie baut Legitimationsbrücken zwischen Rechtspopulismus und Neonazismus. Jetzt kommt erst die schlechte Nachricht: Eine autoritäre Regierung kann sich dabei die Kunstförderung spielend leicht zu Nutze machen

Die erste von drei Säulen

Es ist gut, dass das Bundesministerium der Justiz vor Ostern nach längerer öffentlicher Debatte einen ersten Arbeitsentwurf zur Änderung von Art. 93 und 94 GG zur Stärkung der Stellung des Bundesverfassungsgerichts vorgelegt hat. Es ist auch gut, dass die CDU/CSU wieder bereit ist, mit den Regierungsparteien zu diskutieren und an den konkreten Vorschlägen mitzuarbeiten. Von den drei Säulen der aktuellen Resilienzdiskussion – Statusregeln, Zweidrittelmehrheit und Verfahrenssicherung – wird offenbar nur die erste thematisiert.

Karlsruhes Vollstrecker

Binnen weniger Wochen – und nach kurzzeitigem Ausstieg der CDU/CSU-Fraktion aus der Debatte – hat das Bundesjustizministerium einen Referentenvorschlag zur Änderung des Grundgesetzes zur Verankerung zusätzlicher Schutzmechanismen im Grundgesetz vorgelegt, über den nunmehr beraten wird. Ein Blick in die Historie des Bundesverfassungsgerichts und die Erfahrungen verschiedener ausländischer Verfassungsgerichte mit der Politik offenbaren jedoch, dass es nicht erst autoritärer politischer Parteien oder Strömungen bedarf, um die verfassungsgerichtliche Kontrolle auszuhebeln. Der Blick ist daher auf die Mittel zu richten, die sicherstellen können, dass die Entscheidungen Karlsruhes von allen Staatsorganen befolgt werden.

Physiotherapie für die Richterwahl

Das Erstarken autoritär-populistischer Kräfte in Deutschland hat eine Debatte um eine verfassungsrechtliche Absicherung des Bundes-, aber auch der Landesverfassungsgerichte ausgelöst. Ein neuralgischer Punkt ist die Richterwahl, insbesondere das Zweidrittelmehrheitserfordernis und dessen Kehrseite, die Sperrminorität. Um nicht zu versteifen, sind die Gesetzgeber daher aufgefordert, sich Gedanken zu machen, wie sich das Blockaderisiko verringern lässt, ohne den Pluralismusschutz aufzugeben. Eine Lösung könnte sein, ein Vorschlagsrecht des Verfassungsgerichts mit einem abgesenkten Mehrheitserfordernis im Parlament zu kombinieren.