Articles for category: Thüringen-Projekt

Paradoxien und Anpassungsbedarf im BVerfGG

Die Diskussion um ein Parteiverbot ist begleitet von politischen Bedenken vor allem hinsichtlich eines Scheiterns, das bei einem Antrag gegen die Gesamtpartei zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Doch bereits wenige Anpassungen im BVerfGG könnten ermöglichen, dass ein Verbotsantrag auch hinsichtlich der Teilorganisation einer Partei gestellt werden kann. Dasselbe gilt für den Ausschluss von der staatlichen Finanzierung.

Keine Spielchen mehr mit den verdeckten Stimmzetteln

Viele der Maßnahmen, die jetzt erwogen werden, um sich gegen das Szenario einer schrittweisen Machtübernahme der rechtsextremen AfD zu wappnen, betreffen das Parlamentsrecht. So wichtig und richtig es ist, den automatischen Zugriff der AfD auf diese Ämter zu beschränken oder Blockademöglichkeiten zu minimieren, so merkwürdig bleibt, dass in der Debatte ein Aspekt regelmäßig ausgeklammert bleibt, der die Durchführung der Wahlen betrifft. Die geheime Wahl des Regierungschefs ist aus demokratischer Sicht nur schwer zu rechtfertigen.

Party Bans and Populism in Europe

In the latest episode in a decades-long conversation about militant democracy, the growing electoral success and radicalization of Alternative for Germany have relaunched debates about the appropriateness of restricting the political rights of those who might use those rights to undermine the liberal democratic order. While it is typical for dictatorships to ban parties, democracies also do so, but for different reasons and with compunction. Party bans respond to varying rationales which have evolved over time. However, a ban on the right-wing populist Alternative for Germany would be out of step with more general patterns of opposition to such parties in Europe.

Delegitimation durch Verfahren

Oft firmiert die Annahme, dass soziale Ungleichheit politisch umso umstrittener sei, je weiter die Angleichung zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen vorangeschritten ist, nach ihrem Entdecker als das Tocqueville-Paradox. Im Hinblick auf ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD ließe sich weniger bildungsbürgerlich, aber durchaus treffend auf ein „Herr Tur Tur-Paradox“ verweisen. Ähnlich wie der Scheinriese aus dem Kinderbuch Michael Endes wirkt das Instrument des Parteiverbots aus der Entfernung sehr imposant – und schnurrt dann aber immer mehr zusammen, je besser sich die Eröffnung eines Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht begründen ließe.

Einerseits und Andererseits

Die derzeitige Diskussion um ein Verbot der AfD ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich die Wahrnehmung auch ganz grundlegender verfassungsrechtlicher Institute im Laufe der Zeit verändern kann. Bis in die siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts war das Parteiverbot bei vielen geradezu verschrien; es galt zusammen mit den Notstandsgesetzen und dem Radikalenerlass als weiteres Repressionsinstrument eines autoritären Staates, als sichtbarer Beleg für dessen immer nur vorgeschobene Liberalität. Aber ob man den Antrag stellt oder nicht, ist eine schwierige Abwägungsentscheidung, die man auch nicht dadurch unterlaufen kann, dass man sie zu einer rechtlichen erklärt oder sie in der Verfassung schon vorweggenommen sieht.

Ausfalloption Karlsruhe

Antidemokratische Kräfte erstarken – und mit ihnen die parlamentarische Obstruktion in Bund und Ländern. Wenn solche Kräfte in den anstehenden Landtagswahlen mehr als ein Drittel oder gar die Mehrheit der Stimmen gewinnen, stellt sich mit Dringlichkeit die Frage, wie die Landesverfassungsgerichte funktionsfähig bleiben können. Eine derzeit diskutierte Möglichkeit besteht darin, die für das Bundesverfassungsgericht diskutierten Mechanismen auch auf die Landesverfassungsgerichtsbarkeit zu übertragen. Eine andere Option wäre es, den Weg zu beschreiten, den das Grundgesetz in Art. 99 GG vorgezeichnet hat: die Organleihe.

Straflos im Landtag

Einmal angenommen, die AfD bekäme eine absolute Mehrheit im Thüringer Landtag. Und einer ihrer Abgeordneten verharmloste auf einer Parteiveranstaltung den Holocaust. Oder schlüge eine Demonstrantin krankenhausreif. Sofern er nicht bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages deshalb festgenommen würde, könnte seine Fraktion es zumindest für die Dauer der Legislaturperiode verhindern, dass er dafür zur Verantwortung gezogen würde. Dieser Immunitätsschutz offenbart im Lichte einer möglicherweise extremistischen Parlamentsmehrheit einen blinden Fleck.

Wie der Verfassungsgerichtshof sich selbst schützen kann

Ein Gespenst geht um in Thüringen, und es heißt: Beschlussunfähigkeit des Verfassungsgerichtshofes. Die AfD braucht gerade etwas mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag, um Wahlen von Mitgliedern zum „obersten Hüter der Landesverfassung“ zu torpedieren und damit den Verfassungsgerichtshof beschlussunfähig zu machen. »Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch«, wusste schon Friedrich Hölderlin, und das Rettende heißt in diesem Fall: „Selbstergänzung“. Denn mit einer solchen „Auffangregelung“, so eine Hoffnung, könnte der Verfassungsgerichtshof unabhängig von Parteien und Parlament vakante Richterposten besetzen. Taugt die Selbstergänzung aber auch in der Praxis als Schutzstrategie?